Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Zu der Geschlossenheit der ministeriellen Partei bildet die Zerfahrenheit der Oppo¬ -- Den Is. September. -- Der gegenwärtige Au¬ Wer mag es einem Deutschen verdenken, wenn er, beim Hinblick darauf, zuerst an Der Beweis hierfür ist leicht zu führen. Schon gegenwärtig ist Wien, also die Grenzboten. IV. -I8S3. -13
Zu der Geschlossenheit der ministeriellen Partei bildet die Zerfahrenheit der Oppo¬ — Den Is. September. — Der gegenwärtige Au¬ Wer mag es einem Deutschen verdenken, wenn er, beim Hinblick darauf, zuerst an Der Beweis hierfür ist leicht zu führen. Schon gegenwärtig ist Wien, also die Grenzboten. IV. -I8S3. -13
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Zu der Geschlossenheit der ministeriellen Partei bildet die Zerfahrenheit der Oppo¬
sition einen traurigen Gegensatz. Der Bruch zwischen Herrn dJsraeli und der Partei,
die er im Unterhause einmal zum Siege führte, und deren einziges Talent er daselbst
war, ist vollständig; er ist den englischen Junkern zu geistreich geworden und die Füh¬
rung der Partei ist an Sir I. Pakiugto» übergegangen, während Herr dJsraeli sich
darauf beschränkt, in seinem Blatt „The Press" auf eigene Hand mit dem Ministerium
Fehde zu führen. Die Führer der ehemaligen Protectionistcnpartci büßen jetzt dafür,
daß sie, dem Fanatismus und der eigennützigen Engherzigkeit ihrer Anhänger zu ge¬
fallen, eine Sache vertheidigten, deren Unhaltbarkeit ihnen nicht unbekannt sein konnte,
die einzugestehen sie aber nicht genug politischen Muth hatten. Sie haben die Demüthigung
der Niederlage ohne den Trost, nach bester Ueberzeugung gehandelt zu haben, und ohne
die Aussicht, vor Verlauf einer geraumen Zeit wieder ans Ruder zu kommen.
— Den Is. September. — Der gegenwärtige Au¬
genblick ladet wunderbar und wie lange Zeit keiner vor ihm zur politischen Betrach¬
tung ein. Die eigentliche Streitfrage zwischen Rußland und der Pforte scheint besei¬
tigt zu sein und die europäische Diplomatie arbeitet eifrigst daran, die daraus ent¬
sprungenen Wirren einer baldigen friedlichen Losung entgegenzuführen; aber nichts
destoweniger lebt eine unruhevolle und beängstigende Ueberzeugung in jedem ernsten Be¬
schauer der hiesige» Dinge, nach wie vor, fort: die Ueberzeugung nämlich von dem
Herannahen einer großen und unvermeidlichen Katastrophe.
Wer mag es einem Deutschen verdenken, wenn er, beim Hinblick darauf, zuerst an
sein Vaterland denkt, und die Folgen, gute oder Hose, überrechnet, welche das unge¬
heure Ereigniß der Sprengung des osmanischen Reiches zunächst für unser Volk mit
sich bringen würde! Denn es ist unschwer zu erkennen, daß mit der Entscheidung
über das Geschick der Monarchie der Sultane, gleichzeitig der Würfel über die deutsche
Zukunft geworfen werden wird. Richtig benutzt kann der Untergang des türkischen
Großstaates für uns, wie für keine andere Nation, der Anfangspunkt einer Epoche
grandioser Entwickelung werden, wogegen eine Versäumniß des rechten Moments sich
hier bitterer rächen und verhängnißvoller für uns werden würde, wie irgend anderswo.
Denn keines der größeren europäischen Völker, auch das russische uicht, ist den in Rede
stehenden Ländern geographisch und eben deshalb commerciell, militärisch und politisch so
nahe gestellt, wie wir es sind. Wenn es seither anders scheinen wollte, so liegt dies nnr
lediglich daran, daß Deutschland nicht verstanden hat, die unermeßlichen Vortheile seiner
Lage zum Orient geltend zu machen.
Der Beweis hierfür ist leicht zu führen. Schon gegenwärtig ist Wien, also die
Capitale der ersten deutschen Großmacht, der Ausgangspunkt für die bei weitem größere
Anzahl von Communicatiouslinicn geworden, welche die Landestheile der europäischen
und der größeren Hälfte der asiatischen Türkei, insbesondere aber Stambul, den Keru-
und Herzpunkt des Reiches, mit Europa verbinden. Diese Ccntralität Wiens wird sich
steigern und eine erhöhte Bedeutung gewinnen, sobald die projectirten Eisenbahnen zur
Ausführung gekommen sein werden, welche in naher Zukunft den Bosporus mit den
Usern der Donau zu verbinde» versprechen; denn es ist klar, daß wenn jetzt bereits
Grenzboten. IV. -I8S3. -13
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