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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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verneinende Votum eines Standes wird analysirt dnrch die bejahenden Vota der
drei anderen. Nur in Betreff der Modifikation des Grundgesetzes und der Be¬
fugnisse der drei großen Staatsgewalten ist Einstimmigkeit der vier Stände
erforderlich und der von einem Landtag discutirte Antrag kann endgiltig erst
von dem folgenden Landtage, also drei Jahre später, entschieden werden.

Augenfällig sind die zahllosen Nachtheile, welche aus dieser künstlichen Thei¬
lung der Nation in vier Stände entspringen müssen, dieser unsichern und unvoll¬
ständigen Repräsentation und dieser Hindernisse, mit denen die Constitution den
Mechanismus der Ständeversammlung und die Ausführung von Reformen umgeben
hat. Der schreiendste Nachtheil in den Augen derer, welche die politische" Rechte
den Würdigsten verliehen sehen oder dieselben uuter alle getheilt habe" wolle",
ist der, welcher in einem Staate, wo die Bauern durch eine bestimmte Zahl ihrer
Standesgenossen vertreten sind, von der Nation die unterrichtete" oder intelli¬
genten Männer ausschließt, welche die Mittelclasse bilden, die man in Frankreich
als Bourgeoisie bezeichnet. Denn i" Schweden stellt der Bürgerstand keineswegs
die französische Bourgeoste dar; er ist eine Corporation mit ihren Privilegien, ihren
besonderen Chefs und ihrem exklusive" Geist. Der Titel Bürger erfordert die
Erfüllung ganz specieller Bedingungen, und der, welcher sie uicht erfüllt, wäre er
auch großer Eigenthümer oder ein großer Industrieller, Gelehrter oder Magistrat,
wird zu keiner Classe der Nation gerechnet.

Dieser eigenthümlichen Theilung der bürgerliche" Gesellschaft entspricht ein
officielles Kirchenthum, das vom Staate nicht getrennt ist. Niemand kann el"
öffentliches Amt erhalte", wem, er nicht den Nachweis seiner Confirmation bei¬
bringt; eines Actes, der in Schweden im 16. Lebensjahre nach einer laugen
und gründlichen Vorbereitung vollzogen wird. Nicht allein erkennt der Staat
eine andre Confession als das Lutherthum nicht an, sondern das Staatsgesetzbuch
enthält a"es noch folgende Bestimmung: "Wenn jemand die wahre lutherische
Lehre verläßt, um einer falschen Lehre sich zuzuwenden, soll er aus dem Königreiche
verbannt werden und alle seine bürgerlichen Rechte verlieren, wofern ihn der
König nicht begnadigt." Ganz kürzlich uoch hat die schwedische Negierung dieses
Gesetz der Intoleranz mehrfach zur Anwendung gebracht. Die Secte der "Leser",
welche behauptet, durch eine gewissenhafte Lesung der Bibel wieder zu der
ursprünglichen Reinheit des Lutherthums zu gelange", hatte sich in mehren Pro--
vinzcn Schwedens, namentlich in Nvrrland, Smaland und Schonen verbreitet;
einer ihrer Propheten, der Bauer Erie Jausso", der, wie seiue Schüler behaup¬
teten, Wunder verrichtet und frei von jeder Sünde ist, hat, um den Verfolguuge"
des Gesetzes zu entgehen, einen Theil seiner Anhänger veranlassen müssen, nach
Nordamerika auszuwandern und mit ihnen in Wisconsin sich niedergelassen.
Ferner hat18S0 die Secte der Anabaptisten i" Halland und in der Umgegend
von Gothenburg sich gezeigt. Ein Seemann, abgesendet von der Anabaptisten-


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verneinende Votum eines Standes wird analysirt dnrch die bejahenden Vota der
drei anderen. Nur in Betreff der Modifikation des Grundgesetzes und der Be¬
fugnisse der drei großen Staatsgewalten ist Einstimmigkeit der vier Stände
erforderlich und der von einem Landtag discutirte Antrag kann endgiltig erst
von dem folgenden Landtage, also drei Jahre später, entschieden werden.

Augenfällig sind die zahllosen Nachtheile, welche aus dieser künstlichen Thei¬
lung der Nation in vier Stände entspringen müssen, dieser unsichern und unvoll¬
ständigen Repräsentation und dieser Hindernisse, mit denen die Constitution den
Mechanismus der Ständeversammlung und die Ausführung von Reformen umgeben
hat. Der schreiendste Nachtheil in den Augen derer, welche die politische» Rechte
den Würdigsten verliehen sehen oder dieselben uuter alle getheilt habe» wolle»,
ist der, welcher in einem Staate, wo die Bauern durch eine bestimmte Zahl ihrer
Standesgenossen vertreten sind, von der Nation die unterrichtete» oder intelli¬
genten Männer ausschließt, welche die Mittelclasse bilden, die man in Frankreich
als Bourgeoisie bezeichnet. Denn i» Schweden stellt der Bürgerstand keineswegs
die französische Bourgeoste dar; er ist eine Corporation mit ihren Privilegien, ihren
besonderen Chefs und ihrem exklusive» Geist. Der Titel Bürger erfordert die
Erfüllung ganz specieller Bedingungen, und der, welcher sie uicht erfüllt, wäre er
auch großer Eigenthümer oder ein großer Industrieller, Gelehrter oder Magistrat,
wird zu keiner Classe der Nation gerechnet.

Dieser eigenthümlichen Theilung der bürgerliche» Gesellschaft entspricht ein
officielles Kirchenthum, das vom Staate nicht getrennt ist. Niemand kann el»
öffentliches Amt erhalte«, wem, er nicht den Nachweis seiner Confirmation bei¬
bringt; eines Actes, der in Schweden im 16. Lebensjahre nach einer laugen
und gründlichen Vorbereitung vollzogen wird. Nicht allein erkennt der Staat
eine andre Confession als das Lutherthum nicht an, sondern das Staatsgesetzbuch
enthält a»es noch folgende Bestimmung: „Wenn jemand die wahre lutherische
Lehre verläßt, um einer falschen Lehre sich zuzuwenden, soll er aus dem Königreiche
verbannt werden und alle seine bürgerlichen Rechte verlieren, wofern ihn der
König nicht begnadigt." Ganz kürzlich uoch hat die schwedische Negierung dieses
Gesetz der Intoleranz mehrfach zur Anwendung gebracht. Die Secte der „Leser",
welche behauptet, durch eine gewissenhafte Lesung der Bibel wieder zu der
ursprünglichen Reinheit des Lutherthums zu gelange», hatte sich in mehren Pro--
vinzcn Schwedens, namentlich in Nvrrland, Smaland und Schonen verbreitet;
einer ihrer Propheten, der Bauer Erie Jausso», der, wie seiue Schüler behaup¬
teten, Wunder verrichtet und frei von jeder Sünde ist, hat, um den Verfolguuge»
des Gesetzes zu entgehen, einen Theil seiner Anhänger veranlassen müssen, nach
Nordamerika auszuwandern und mit ihnen in Wisconsin sich niedergelassen.
Ferner hat18S0 die Secte der Anabaptisten i» Halland und in der Umgegend
von Gothenburg sich gezeigt. Ein Seemann, abgesendet von der Anabaptisten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/11>, abgerufen am 05.02.2025.