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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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organismen Berücksichtigung finden müssen, wir, deren Gedächtniß aber noch so
stark, deren Auge noch scharf genug ist, um uns bewußt zu werden, daß da
drüben Fleisch von unserem Fleische und Blut von unserem Blute, nicht aber
eine sonderbare Species von Menschen lebt, die das Privilegium staatlicher und
gesellschaftlicher Freiheit für sich allein zu beanspruchen berechtigt ist, wir dürfen
uns nicht mit den wohlfeilen Distinctionen begnügen, die eine privileqiensüchtige
Partei zu erfinden beliebt, wir suchen nach einer tiefern Erklärung der Erscheinung,
daß eine Volksmasse, ursprünglich ohne Zweifel zusammengesetzt ans den wildesten
Elementen der alten Welt, also rccrntirt aus den Unzufriedenen aller Nationen,
die sich hier am wenigsten in die complicirten Schranken einer tausendjährigen Gesell¬
schaftsordnung zu finden wußte", zerstreut über eine weite Fläche, wo die Civilisation -
in den meisten anderen Fällen ans Mangel an naheliegenden Bildungsmitteln zurück¬
schreite" würde, eine höhere Stufe des materiellen Wohlseins, der socialen Befrie¬
digung und der politischen Freiheit errungen hat, als die meiste" übrige" Volker.

Es kan" hier nicht die Absicht sein, die Wurzelverzweigungen des nord¬
amerikanische" Gesellschaftslebens nach allen Richtungen hin zu untersuchen, wir
wollen unsere Aufmerksamkeit uur auf einen Gegenstand richten, ohne Zweifel
einen der wichtigsten, wenn nicht den allerwichtigsten in den amerikanischen Zu¬
ständen, ans die wunderbarste, schwierigste nud eigenthümlichste Schöpfung der
neuen Welt, und doch zugleich diejenige, die am wenigste" bekannt und'beachtet
wird, das nordamerikanische Unterrichtswesen, besonders wie es sich in
der Volksschule darstellt.

Wie viele von uns wissen, daß sich da drüben, wenigstens in den nördlichen
und mittleren Staaten der Union fast überall, wo sich ein Dutzend Familien zu¬
sammenfinden, um eine Gemeinde zu bilden, alsbald auch, oft mitten unter
provisorisch aufgerichteten, ziemlich hinfälligen Blockhäusern, ein Schulhaus erhebt,
in den meisten Fällen stattlicher, als die Gememdeschulhäuscr in unserem hoch-
cultivirten Europa, nicht selten ein Palast, verglichen mit den ärmlichen Schulen
unsrer Dörfer und Landstädtchen? Man sollte meinen, daß wenigstens in den
westlicher gelegenen Gegenden, in denen noch vor wenigen Jahrzehnten der
tätvwirte Eingeborne mit dem Federbüschel anf dem Kopfe, mit Pfeil und Bogen
in der Hand, als ausschließlicher Gebieter sein Jagdrecht geltend machte, vor¬
läufig von einer Fürsorge für deu intellectuelle" Fortschritt keine Rede sein könne.
Doch anch hier wird der Volksunterricht, wenngleich nicht soviel als wünschenswerth,
wenigstens so gut als möglich, ins Werk gesetzt. Wer den Nordamerikaner n"r
als einen Menschen kennt, dessen ganzes Streben auf Geld und Gut gerichtet
ist, der an Intelligenz und sittlichen Fortschritt höchstens in deu Feierstunde"
denkt, i" de"c" sich durchaus nichts Anderes vornehmen läßt, der unterschätzt
ihn sehr. Derselbe erscheint erst groß als Träger der Cultur und als Förderer
derselben an sich selbst.


organismen Berücksichtigung finden müssen, wir, deren Gedächtniß aber noch so
stark, deren Auge noch scharf genug ist, um uns bewußt zu werden, daß da
drüben Fleisch von unserem Fleische und Blut von unserem Blute, nicht aber
eine sonderbare Species von Menschen lebt, die das Privilegium staatlicher und
gesellschaftlicher Freiheit für sich allein zu beanspruchen berechtigt ist, wir dürfen
uns nicht mit den wohlfeilen Distinctionen begnügen, die eine privileqiensüchtige
Partei zu erfinden beliebt, wir suchen nach einer tiefern Erklärung der Erscheinung,
daß eine Volksmasse, ursprünglich ohne Zweifel zusammengesetzt ans den wildesten
Elementen der alten Welt, also rccrntirt aus den Unzufriedenen aller Nationen,
die sich hier am wenigsten in die complicirten Schranken einer tausendjährigen Gesell¬
schaftsordnung zu finden wußte», zerstreut über eine weite Fläche, wo die Civilisation -
in den meisten anderen Fällen ans Mangel an naheliegenden Bildungsmitteln zurück¬
schreite» würde, eine höhere Stufe des materiellen Wohlseins, der socialen Befrie¬
digung und der politischen Freiheit errungen hat, als die meiste» übrige» Volker.

Es kan» hier nicht die Absicht sein, die Wurzelverzweigungen des nord¬
amerikanische» Gesellschaftslebens nach allen Richtungen hin zu untersuchen, wir
wollen unsere Aufmerksamkeit uur auf einen Gegenstand richten, ohne Zweifel
einen der wichtigsten, wenn nicht den allerwichtigsten in den amerikanischen Zu¬
ständen, ans die wunderbarste, schwierigste nud eigenthümlichste Schöpfung der
neuen Welt, und doch zugleich diejenige, die am wenigste» bekannt und'beachtet
wird, das nordamerikanische Unterrichtswesen, besonders wie es sich in
der Volksschule darstellt.

Wie viele von uns wissen, daß sich da drüben, wenigstens in den nördlichen
und mittleren Staaten der Union fast überall, wo sich ein Dutzend Familien zu¬
sammenfinden, um eine Gemeinde zu bilden, alsbald auch, oft mitten unter
provisorisch aufgerichteten, ziemlich hinfälligen Blockhäusern, ein Schulhaus erhebt,
in den meisten Fällen stattlicher, als die Gememdeschulhäuscr in unserem hoch-
cultivirten Europa, nicht selten ein Palast, verglichen mit den ärmlichen Schulen
unsrer Dörfer und Landstädtchen? Man sollte meinen, daß wenigstens in den
westlicher gelegenen Gegenden, in denen noch vor wenigen Jahrzehnten der
tätvwirte Eingeborne mit dem Federbüschel anf dem Kopfe, mit Pfeil und Bogen
in der Hand, als ausschließlicher Gebieter sein Jagdrecht geltend machte, vor¬
läufig von einer Fürsorge für deu intellectuelle» Fortschritt keine Rede sein könne.
Doch anch hier wird der Volksunterricht, wenngleich nicht soviel als wünschenswerth,
wenigstens so gut als möglich, ins Werk gesetzt. Wer den Nordamerikaner n»r
als einen Menschen kennt, dessen ganzes Streben auf Geld und Gut gerichtet
ist, der an Intelligenz und sittlichen Fortschritt höchstens in deu Feierstunde»
denkt, i» de»c» sich durchaus nichts Anderes vornehmen läßt, der unterschätzt
ihn sehr. Derselbe erscheint erst groß als Träger der Cultur und als Förderer
derselben an sich selbst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/104>, abgerufen am 06.02.2025.