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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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nie ein Kolumbus gelebt hätte, daß, nachdem einmal das Mittel gefunden war,
bei Hellem wie bei bedecktem Himmel eine und dieselbe Richtung einzuhalten, auch
der Versuch gemacht wurde, weiter nach Westen vorzudringen, um das alte Laud
der Fabel, die Atlantis aufzusuchen oder den geraden Weg nach Indien zu senden.
Die Veränderungen, welche der Welthandel dadurch erlitt, sowie die Folgen,
welche daraus für die Cnltnrentwicklnng der Menschheit entsprangen, sind bekannt.
Der Handel wandte sein Angesicht von Osten nach Westen. Die blühenden
Handelsrepnbliken des mittelländischen Meeres geriethen in Verfall, seitdem die
Producte Indiens nicht mehr über Alexandria und Arabien, sondern ans dem
Seewege um die Südspitze von Afrika herum bezogen wurden. Der Schwerpunkt
der europäischen Civilisation, der früher ohne Zweifel im europäischen Süden
gelegen hatte, rückte nach Westen. Während die commercielle und politische
Macht der Holländer und Engländer in riesenhaften Dimensionen zunahm, ver¬
armten die Gestade des mittelländischen Meeres und der größte Theil des von
dem europäischen Civilisationsleben nicht mehr so lebhaft berührten Orients sank
in die alte Erstarrung zurück.

Außer dieser Veränderung ging indeß noch eine andre vor sich, auf welche
in der Regel weniger Gewicht gelegt wird, die indeß grade für das commercielle
und politische Leben Deutschlands sehr verhängnißvoll wurde, eine Veränderung,
welche wie die eben geschilderte nothwendig eintreten mußte, in dem Maße als
das geflügelte Roß der Meere an die Stelle des Lastthicrs und des Strom-
fahrzenges trat. Das Kulturleben zog sich ans den Mittelpunkten des Comments
mehr nach den Küstenländern hin. Das war die schönste Zeit in Deutschlands
Geschichte, als der europäisch-asiatische Handel sich noch die Donan entlang, durch
das südliche Deutschland über Bulgarien und Byzanz nach Alexandria und Trape-
zunt bewegte, als der Landhandel noch die Concurrenz mit der beschwerlichen
Küstenschiffahrt -- denn alle Schiffahrt war damals Küstenschiffahrt -- des
mittelländischen Meeres aushalten konnte, als die Verbindung des westlichen
Europas mit Byzanz, dem Mittelpunkte des europäisch-asiatischen Handels, ans
zwei gleich lebhaft besuchten Wegen über Venedig oder über Wien unterhalten
wurde.

Die großartige Revolution im Verkchrslebcn, welche eintrat, als die See¬
schiffahrt über den Landhandel, siegte, ist ein Vorbild dessen, was zu erwarten ist,
wenn die Sache sich wieder umkehrt, wenn das Seeschiff, welches das langsame
Lastthier besiegt, seinerseits der Locomotive unterliegt, und der Landtransport auf
dem unermeßlichen Territorium von der Halbinsel Malakka bis Calais und
Amsterdam wieder das Uebergewicht erlangt.

Nichts Geringeres ist es, was das Project des Herrn I. B. Thompson, die
indische Route von Trieft ab nicht nach den Mündungen des Nils, sondern nach
der des Orontes und von hier in möglichst gerader Linie nach Bombay zu führen,


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nie ein Kolumbus gelebt hätte, daß, nachdem einmal das Mittel gefunden war,
bei Hellem wie bei bedecktem Himmel eine und dieselbe Richtung einzuhalten, auch
der Versuch gemacht wurde, weiter nach Westen vorzudringen, um das alte Laud
der Fabel, die Atlantis aufzusuchen oder den geraden Weg nach Indien zu senden.
Die Veränderungen, welche der Welthandel dadurch erlitt, sowie die Folgen,
welche daraus für die Cnltnrentwicklnng der Menschheit entsprangen, sind bekannt.
Der Handel wandte sein Angesicht von Osten nach Westen. Die blühenden
Handelsrepnbliken des mittelländischen Meeres geriethen in Verfall, seitdem die
Producte Indiens nicht mehr über Alexandria und Arabien, sondern ans dem
Seewege um die Südspitze von Afrika herum bezogen wurden. Der Schwerpunkt
der europäischen Civilisation, der früher ohne Zweifel im europäischen Süden
gelegen hatte, rückte nach Westen. Während die commercielle und politische
Macht der Holländer und Engländer in riesenhaften Dimensionen zunahm, ver¬
armten die Gestade des mittelländischen Meeres und der größte Theil des von
dem europäischen Civilisationsleben nicht mehr so lebhaft berührten Orients sank
in die alte Erstarrung zurück.

Außer dieser Veränderung ging indeß noch eine andre vor sich, auf welche
in der Regel weniger Gewicht gelegt wird, die indeß grade für das commercielle
und politische Leben Deutschlands sehr verhängnißvoll wurde, eine Veränderung,
welche wie die eben geschilderte nothwendig eintreten mußte, in dem Maße als
das geflügelte Roß der Meere an die Stelle des Lastthicrs und des Strom-
fahrzenges trat. Das Kulturleben zog sich ans den Mittelpunkten des Comments
mehr nach den Küstenländern hin. Das war die schönste Zeit in Deutschlands
Geschichte, als der europäisch-asiatische Handel sich noch die Donan entlang, durch
das südliche Deutschland über Bulgarien und Byzanz nach Alexandria und Trape-
zunt bewegte, als der Landhandel noch die Concurrenz mit der beschwerlichen
Küstenschiffahrt — denn alle Schiffahrt war damals Küstenschiffahrt — des
mittelländischen Meeres aushalten konnte, als die Verbindung des westlichen
Europas mit Byzanz, dem Mittelpunkte des europäisch-asiatischen Handels, ans
zwei gleich lebhaft besuchten Wegen über Venedig oder über Wien unterhalten
wurde.

Die großartige Revolution im Verkchrslebcn, welche eintrat, als die See¬
schiffahrt über den Landhandel, siegte, ist ein Vorbild dessen, was zu erwarten ist,
wenn die Sache sich wieder umkehrt, wenn das Seeschiff, welches das langsame
Lastthier besiegt, seinerseits der Locomotive unterliegt, und der Landtransport auf
dem unermeßlichen Territorium von der Halbinsel Malakka bis Calais und
Amsterdam wieder das Uebergewicht erlangt.

Nichts Geringeres ist es, was das Project des Herrn I. B. Thompson, die
indische Route von Trieft ab nicht nach den Mündungen des Nils, sondern nach
der des Orontes und von hier in möglichst gerader Linie nach Bombay zu führen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/91>, abgerufen am 28.09.2024.