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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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ersteren Forderung, ihre gefährliche Tragweite sich eher bemänteln lassen, als es
mit den von uns genannten der Fall sein würde; darum ist sie aber im Grunde
um nichts gerechter, ja wer weiß, ob sie nicht gefährlicher ist, als jene es
sein würden.

Herr v. Nesselrode hat nicht einmal den Versuch gemacht, die Hinein¬
ziehung der allgemeinen Rechte der griechischen Kirche in die specielle Frage des
heiligen Grabes zu rechtfertigen. Sicherlich unterließ er es, weil er keinen irgend¬
wie haltbaren Vorwand dafür zu finden wußte. Da war es freilich diplomatischer,
die Miene anzunehmen, als verstände sich dies von selbst, als wisse er gar nicht,
daß jemand behauptet habe, die beiden Fragen hätten gar nichts miteinander
zu thun. Dagegen versucht er es, jene monströse Forderung selbst zu rechtfertigen.
Rußland verlange damit nichts, als was ihm schon vertragsmäßig zugestanden
sei, durch deu Frieden von Kainardshi von 1774 und durch den von Adrianopel
von 1829. Ja, Nußland sei so voll Mäßigung, daß es, um jeden Anstoß zu ver.
meiden, auf die Form des ausdrücklichen Vertrags verzichte. Es habe diese er¬
mäßigt auf einen,,Sened", einen im Orient mehr gebräuchlichen Act, zuletzt sogar
erklärt, mit einer einfachen Note zufrieden sein zu wollen, in der die Pforte jene
Verbindlichkeiten eingehe.

Bemerken wir zuvorderst, daß es ein Zugeständniß ohne jede Erheblichkeit
Vonseiten Rußlands ist, wenn es von der Pforte statt eines Vertrags oder
eines Seneds nur eine Note verlangt. Das Wesentliche ist, es verlangt eine
internationale Verpflichtung in einer Form, die ihm in der Zukunft gestatten
würde, unaufhörliche diplomatische Interventionen zu Gunsten der griechischen
Kirche eintreten zu lassen und der Regierung des Sultans in ihren innern Be¬
ziehungen zahllose Chicanen zu bereiten. Beruft es sich aber auf die Friedens¬
schlüsse von 1774 und 1829, in denen alles, was es jetzt fordere, schon ent¬
halten sei, so ist es völlig unbegreiflich, warum es mit dem Kriege droht, um
in einer Note die Anerkennung von Rechten zu erhalten, die ihm in zwei Ver¬
trägen bereits ertheilt waren. Herr v. Nesselrode erklärt an einer andern Stelle
seines Circulars, Rußland könne sich nicht bei den beiden Fermanen beruhige",
die der Sultan jetzt inbetreff der heiligen Stätten erlassen habe; dnrch die Er¬
fahrung sei bewiesen, daß hierdurch allein keine Garantie gegeben werde. Es
müsse eine Convention oder wenigstens eine Verpflichtung seitens der Pforte er¬
langen -- wie sie in der besagten Note vorhanden sein würde -- auf Grund
deren es später seine Ansprüche geltend machen könne. Man kann nun, mit Rück¬
sicht auf die Herbeiziehung der Friedensschlüsse von Kainardshi und Adrianopel,
Herrn v. Nesselrode mit seiner eigenen Argumentation erwidern, daß wenn, wie
die Erfahrung bewiesen, Rußland durch zwei feierliche Verträge die allgemeinen Rechte
der griechischen Kirche nicht hat sicher stellen können, dies gewiß noch weniger durch
eine bloße Note der Pforte zu erzielen sein werde. Die Sache verhält sich aber


ersteren Forderung, ihre gefährliche Tragweite sich eher bemänteln lassen, als es
mit den von uns genannten der Fall sein würde; darum ist sie aber im Grunde
um nichts gerechter, ja wer weiß, ob sie nicht gefährlicher ist, als jene es
sein würden.

Herr v. Nesselrode hat nicht einmal den Versuch gemacht, die Hinein¬
ziehung der allgemeinen Rechte der griechischen Kirche in die specielle Frage des
heiligen Grabes zu rechtfertigen. Sicherlich unterließ er es, weil er keinen irgend¬
wie haltbaren Vorwand dafür zu finden wußte. Da war es freilich diplomatischer,
die Miene anzunehmen, als verstände sich dies von selbst, als wisse er gar nicht,
daß jemand behauptet habe, die beiden Fragen hätten gar nichts miteinander
zu thun. Dagegen versucht er es, jene monströse Forderung selbst zu rechtfertigen.
Rußland verlange damit nichts, als was ihm schon vertragsmäßig zugestanden
sei, durch deu Frieden von Kainardshi von 1774 und durch den von Adrianopel
von 1829. Ja, Nußland sei so voll Mäßigung, daß es, um jeden Anstoß zu ver.
meiden, auf die Form des ausdrücklichen Vertrags verzichte. Es habe diese er¬
mäßigt auf einen,,Sened", einen im Orient mehr gebräuchlichen Act, zuletzt sogar
erklärt, mit einer einfachen Note zufrieden sein zu wollen, in der die Pforte jene
Verbindlichkeiten eingehe.

Bemerken wir zuvorderst, daß es ein Zugeständniß ohne jede Erheblichkeit
Vonseiten Rußlands ist, wenn es von der Pforte statt eines Vertrags oder
eines Seneds nur eine Note verlangt. Das Wesentliche ist, es verlangt eine
internationale Verpflichtung in einer Form, die ihm in der Zukunft gestatten
würde, unaufhörliche diplomatische Interventionen zu Gunsten der griechischen
Kirche eintreten zu lassen und der Regierung des Sultans in ihren innern Be¬
ziehungen zahllose Chicanen zu bereiten. Beruft es sich aber auf die Friedens¬
schlüsse von 1774 und 1829, in denen alles, was es jetzt fordere, schon ent¬
halten sei, so ist es völlig unbegreiflich, warum es mit dem Kriege droht, um
in einer Note die Anerkennung von Rechten zu erhalten, die ihm in zwei Ver¬
trägen bereits ertheilt waren. Herr v. Nesselrode erklärt an einer andern Stelle
seines Circulars, Rußland könne sich nicht bei den beiden Fermanen beruhige»,
die der Sultan jetzt inbetreff der heiligen Stätten erlassen habe; dnrch die Er¬
fahrung sei bewiesen, daß hierdurch allein keine Garantie gegeben werde. Es
müsse eine Convention oder wenigstens eine Verpflichtung seitens der Pforte er¬
langen — wie sie in der besagten Note vorhanden sein würde — auf Grund
deren es später seine Ansprüche geltend machen könne. Man kann nun, mit Rück¬
sicht auf die Herbeiziehung der Friedensschlüsse von Kainardshi und Adrianopel,
Herrn v. Nesselrode mit seiner eigenen Argumentation erwidern, daß wenn, wie
die Erfahrung bewiesen, Rußland durch zwei feierliche Verträge die allgemeinen Rechte
der griechischen Kirche nicht hat sicher stellen können, dies gewiß noch weniger durch
eine bloße Note der Pforte zu erzielen sein werde. Die Sache verhält sich aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/80>, abgerufen am 23.07.2024.