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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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in Jerusalem gegenüber bestritten, überhaupt Kenntniß von dem besagten Fernau
zu haben und ihn später nur mit Rußland beleidigenden Restrictionen ver¬
lesen ; der Divan selbst hat bald darauf mit Frankreich -- das ihn allerdings,
wie man weiß, mit heftigen Drohungen bedrängte -- eine Convention abge¬
schlossen, welche die Rechte der lateinischen Kirche auf die heiligen Orte auf Kosten
der griechischen erweiterte. Dies ist der Gesammtbestaud der russischen Beschwer¬
den gegen die Pforte und nehmen wir mit Herrn von Nesselrode an, daß der
wichtigste, dabei in Frage kommende Punkt -- es ist der einzig von ihm hervor¬
gehobene, also wol sicher der wichtigste -- die Aushändigung des Schlüssels zur
Hauptthür der Kirche von Bethlehem an den lateinischen Patriarchen, in der
That die Stellung des russischen Kaisers vor der orientalischen Christenheit herab¬
würdigt. Um diesen kostbaren Schlüssel den Lateinern wieder zu entreißen und
Genugthuung für die Rußland zugefügten Beleidigungen zu erlangen, ward der
Fürst Menschikoff nach Konstantinopel gesendet. Er stellte die Forderungen Ru߬
lands inbetreff der heiligen Orte, sie wurden durch zwei großherrliche Fermane
bewilligt, er verlangte Genugthuung, sie ward ihm, trotz seines im höchsten Grade
beleidigenden Auftretens in jeder Weise. Fuad Efendi, der Minister, von dem
das russische Cabinet betrogen zu sein behauptet, trat aus dem Conseil des'
Sultans. Fügen wir hinzu, daß Frankreich, das zunächst in dieser Frage be¬
theiligt war, das bereitwilligste Entgegenkommen zu einer friedlichen Schlichtung
zeigte, daß der Vertreter Englands, Lord Stratford de Redcliffe, die russischen
Ansprüche, soweit sie die heiligen Orte betrafen, unterstützte, wofür der ihm
dafür ausgesprochene Dank Menschikvffs der Beleg ist.

Nun verlangt der russische Gesandte als "Garantie und einzige Genug¬
thuung" einen Vertrag der Pforte mit Rußland, der erstens alle Rechte und Im¬
munitäten der griechische" Kirche, ad NMrw im ganzen ottomanischen Reiche,
zweitens die ihr zugestandenen Rechte inbetreff des heiligen Grabes bekräftigt.
Wie in aller Welt kommen die allgemeinen Rechte der griechischen Kirche in diese
specielle Frage? Als einzige Genugthuung? Nun, diese, soll sie nicht ganz will¬
kürlich nach dem Recht des Stärkern gefordert werden, sondern ans irgend
welchen Grundsätzen des Rechts und der Billigkeit beruhen, kann doch nur darin
bestehen, daß die Pforte Rußland inbetreff des heiligen Grabes gewährt, was
dieses behauptet, daß ihm bereits zugestanden und unredlicher Weise wieder ent¬
zogen sei, daß die an Rußland angeblich begangene Täuschung an den dabei be¬
theiligten Personen gebührend geahndet werde. Beides ist geschehen. Jetzt
Plötzlich als "einzige Genugthuung" in dieser Angelegenheit einen Vertrag zur
Bekräftigung der allgemeinen Rechte der griechischen Kirche fordern, hat dieselbe
Berechtigung, als ob der Kaiser Nikolaus die Abtretung einer Provinz, oder die
Auslieferung der türkischen Flotte, oder die Einräumung der Sophienmoschee an
den griechischen Cultus forderte. Es mag die gewaltsame Ungerechtigkeit jener


in Jerusalem gegenüber bestritten, überhaupt Kenntniß von dem besagten Fernau
zu haben und ihn später nur mit Rußland beleidigenden Restrictionen ver¬
lesen ; der Divan selbst hat bald darauf mit Frankreich — das ihn allerdings,
wie man weiß, mit heftigen Drohungen bedrängte — eine Convention abge¬
schlossen, welche die Rechte der lateinischen Kirche auf die heiligen Orte auf Kosten
der griechischen erweiterte. Dies ist der Gesammtbestaud der russischen Beschwer¬
den gegen die Pforte und nehmen wir mit Herrn von Nesselrode an, daß der
wichtigste, dabei in Frage kommende Punkt — es ist der einzig von ihm hervor¬
gehobene, also wol sicher der wichtigste — die Aushändigung des Schlüssels zur
Hauptthür der Kirche von Bethlehem an den lateinischen Patriarchen, in der
That die Stellung des russischen Kaisers vor der orientalischen Christenheit herab¬
würdigt. Um diesen kostbaren Schlüssel den Lateinern wieder zu entreißen und
Genugthuung für die Rußland zugefügten Beleidigungen zu erlangen, ward der
Fürst Menschikoff nach Konstantinopel gesendet. Er stellte die Forderungen Ru߬
lands inbetreff der heiligen Orte, sie wurden durch zwei großherrliche Fermane
bewilligt, er verlangte Genugthuung, sie ward ihm, trotz seines im höchsten Grade
beleidigenden Auftretens in jeder Weise. Fuad Efendi, der Minister, von dem
das russische Cabinet betrogen zu sein behauptet, trat aus dem Conseil des'
Sultans. Fügen wir hinzu, daß Frankreich, das zunächst in dieser Frage be¬
theiligt war, das bereitwilligste Entgegenkommen zu einer friedlichen Schlichtung
zeigte, daß der Vertreter Englands, Lord Stratford de Redcliffe, die russischen
Ansprüche, soweit sie die heiligen Orte betrafen, unterstützte, wofür der ihm
dafür ausgesprochene Dank Menschikvffs der Beleg ist.

Nun verlangt der russische Gesandte als „Garantie und einzige Genug¬
thuung" einen Vertrag der Pforte mit Rußland, der erstens alle Rechte und Im¬
munitäten der griechische» Kirche, ad NMrw im ganzen ottomanischen Reiche,
zweitens die ihr zugestandenen Rechte inbetreff des heiligen Grabes bekräftigt.
Wie in aller Welt kommen die allgemeinen Rechte der griechischen Kirche in diese
specielle Frage? Als einzige Genugthuung? Nun, diese, soll sie nicht ganz will¬
kürlich nach dem Recht des Stärkern gefordert werden, sondern ans irgend
welchen Grundsätzen des Rechts und der Billigkeit beruhen, kann doch nur darin
bestehen, daß die Pforte Rußland inbetreff des heiligen Grabes gewährt, was
dieses behauptet, daß ihm bereits zugestanden und unredlicher Weise wieder ent¬
zogen sei, daß die an Rußland angeblich begangene Täuschung an den dabei be¬
theiligten Personen gebührend geahndet werde. Beides ist geschehen. Jetzt
Plötzlich als „einzige Genugthuung" in dieser Angelegenheit einen Vertrag zur
Bekräftigung der allgemeinen Rechte der griechischen Kirche fordern, hat dieselbe
Berechtigung, als ob der Kaiser Nikolaus die Abtretung einer Provinz, oder die
Auslieferung der türkischen Flotte, oder die Einräumung der Sophienmoschee an
den griechischen Cultus forderte. Es mag die gewaltsame Ungerechtigkeit jener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/79>, abgerufen am 23.07.2024.