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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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ist noch sehr die Frage. Ernstere Uebel wären für den Augenblick kaum zu
erwarten. Einen Kreuzzug gegen die Türkei würde auch Herr v. Gerlach, wenn
er Minister wäre, nicht unternehmen; an der Auflösung der gegenwärtigen par¬
lamentarischem Zustände durch einen CabinetSbeschluß liegt der äußersten Rechten
anch nichts, und was im Innern geschehen kann, daran lassen es die Herren
v. Raumer und v. Westphalen nicht fehlen. Für jetzt scheint es also für die¬
jenigen, welche eine bessere Zukunft für Preußen herbeiführen möchten, am noth¬
wendigsten, sich intakt zu erhalten, sich immer enger aneinander zu schließe",
dadurch den Einfluß auf die öffentliche Meinung zu gewinnen, der bisher noch
in einem viel zu geringen Grade vorhanden ist, und nicht um eines augenblick¬
lichen Vortheils willen die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Wir sind überzeugt,
daß so redliche und in Staatsangelegenheiten so gewiegte Männer, wie die
Mitglieder der Bethmann - Hollwegschen Fraction, diese Betrachtungen selbst
anstellen werden, und daß also eine entschiedene Widerlegung jener voreiligen
Gerüchte baldigst in Aussicht gestellt.

Was die äußerste Rechte betrifft, so hat sie neuerdings zweimal Gelegenheit
gehabt, wieder etwas von ihren Principien hören zu lassen; wir meinen den be¬
kannten Artikel von Heinrich Leo im Halleschen Volksblatt, und Stahls akade¬
mische Rede am 3. August. Die letztere ist gegenwärtig bei Hertz im Druck er¬
schienen, und da über beides in den Grenzboten noch nichts gesagt ist, wollen
wir einige Bemerkungen nachträglich daran knüpfen.

Leo ist das "znlÄvt terribls der reactionären Partei. Er hat sich mit seinen
Ideen, Einfällen und Principien an eine so bequeme, nachlässige und nngenirte
Manier gewöhnt, daß es ihm eigentlich gar nicht mehr darauf ankommt, was er
sagt. Jene Redensarten von dem scrophulösen Gesindel, das durch den Krieg
ausgerottet werden müsse, von der Canaille des materiellen Besitzes u. s. w.
haben große Entrüstung hervorgerufen. Eigentlich hätte man aber doch mehr
die spaßhafte Seite hervorkehren sollen. Wir haben vor den geistigen Gaben
Leos immer große Achtung gehabt, und es thut uus leid, daß er sich gegen¬
wärtig gradezu wie ein Hanswurst geberdet, aber es ist uicht anders. Jene
Redensarten waren reine Hanswurstiaden, ohne eine Spur von Sinn und Ver¬
stand, und daher anch durchaus nicht geeignet, etwas Anderes hervorzurufen, als
Gelächter. Wir erinnern uus noch lebhaft an die Zeit, wo die Zöglinge der
absoluten Charlottenburger Kritik mit ihren hastigen Entdeckungen über das
Wesen des Geistes hervortraten, und wo ihnen Huber (der gegenwärtig mit der
Ritterschaft ebenso gebrochen hat, wie mit der Revolution) zurufen konnte: Die
Todten reiten schnell. Dasselbe kann man jetzt von der Reaction sagen. Sie
fängt bereits an zu deliriren. -- Ganz anders ist es mit Stahl. Es ist in
diesem Manne eine Geschmeidigkeit ohne gleichen. In jener Denkrede aus
Friedrich Wilhelm III. waltet eine Milde und Nachsicht gegen die liberalen Neu-


ist noch sehr die Frage. Ernstere Uebel wären für den Augenblick kaum zu
erwarten. Einen Kreuzzug gegen die Türkei würde auch Herr v. Gerlach, wenn
er Minister wäre, nicht unternehmen; an der Auflösung der gegenwärtigen par¬
lamentarischem Zustände durch einen CabinetSbeschluß liegt der äußersten Rechten
anch nichts, und was im Innern geschehen kann, daran lassen es die Herren
v. Raumer und v. Westphalen nicht fehlen. Für jetzt scheint es also für die¬
jenigen, welche eine bessere Zukunft für Preußen herbeiführen möchten, am noth¬
wendigsten, sich intakt zu erhalten, sich immer enger aneinander zu schließe»,
dadurch den Einfluß auf die öffentliche Meinung zu gewinnen, der bisher noch
in einem viel zu geringen Grade vorhanden ist, und nicht um eines augenblick¬
lichen Vortheils willen die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Wir sind überzeugt,
daß so redliche und in Staatsangelegenheiten so gewiegte Männer, wie die
Mitglieder der Bethmann - Hollwegschen Fraction, diese Betrachtungen selbst
anstellen werden, und daß also eine entschiedene Widerlegung jener voreiligen
Gerüchte baldigst in Aussicht gestellt.

Was die äußerste Rechte betrifft, so hat sie neuerdings zweimal Gelegenheit
gehabt, wieder etwas von ihren Principien hören zu lassen; wir meinen den be¬
kannten Artikel von Heinrich Leo im Halleschen Volksblatt, und Stahls akade¬
mische Rede am 3. August. Die letztere ist gegenwärtig bei Hertz im Druck er¬
schienen, und da über beides in den Grenzboten noch nichts gesagt ist, wollen
wir einige Bemerkungen nachträglich daran knüpfen.

Leo ist das «znlÄvt terribls der reactionären Partei. Er hat sich mit seinen
Ideen, Einfällen und Principien an eine so bequeme, nachlässige und nngenirte
Manier gewöhnt, daß es ihm eigentlich gar nicht mehr darauf ankommt, was er
sagt. Jene Redensarten von dem scrophulösen Gesindel, das durch den Krieg
ausgerottet werden müsse, von der Canaille des materiellen Besitzes u. s. w.
haben große Entrüstung hervorgerufen. Eigentlich hätte man aber doch mehr
die spaßhafte Seite hervorkehren sollen. Wir haben vor den geistigen Gaben
Leos immer große Achtung gehabt, und es thut uus leid, daß er sich gegen¬
wärtig gradezu wie ein Hanswurst geberdet, aber es ist uicht anders. Jene
Redensarten waren reine Hanswurstiaden, ohne eine Spur von Sinn und Ver¬
stand, und daher anch durchaus nicht geeignet, etwas Anderes hervorzurufen, als
Gelächter. Wir erinnern uus noch lebhaft an die Zeit, wo die Zöglinge der
absoluten Charlottenburger Kritik mit ihren hastigen Entdeckungen über das
Wesen des Geistes hervortraten, und wo ihnen Huber (der gegenwärtig mit der
Ritterschaft ebenso gebrochen hat, wie mit der Revolution) zurufen konnte: Die
Todten reiten schnell. Dasselbe kann man jetzt von der Reaction sagen. Sie
fängt bereits an zu deliriren. — Ganz anders ist es mit Stahl. Es ist in
diesem Manne eine Geschmeidigkeit ohne gleichen. In jener Denkrede aus
Friedrich Wilhelm III. waltet eine Milde und Nachsicht gegen die liberalen Neu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/506>, abgerufen am 23.07.2024.