Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kein anderes Nahrungsmittel als ein paar Hände voll Neis, und dessen ganzer
Reichthum im Ertrag seines Ackers besteht? Außerdem ist die Grundsteuer seit
Jahrhunderten in Ostindien üblich, und der indische Landmann zahlt lieber eine
lästige Steuer, die er gewohnt ist, als eine leichte, die ihm neu ist, so sehr
hängt er am Alten. Eine neue Vertheilung scheint jedoch erforderlich zu sein.
Die Salzsteuer beträgt uur ^6. auf das Pfd., also der jährliche Verbrauch zu
12 Pfd. gerechnet, 9 et. auf den Kopf, was gewiß nicht übertrieben ist, da alle
andern Artikel ganz frei vom Zoll sind.

Für die Erziehung ist durch Schulen nicht wenig gethan worden, aber hier
treten in der Indolenz der Eingebornen und in der Furcht der Hindus vor dem
Umsichgreifen des Christenthums gewaltige Hindernisse entgegen. Die Hindnkinder
sind äußerst intelligent und fassen schneller als die Europäer; aber kaum reift
das Kind zum Jüngling heran, so sieht es sich vou allen entnervenden Einflüssen
des indischen Lebens umgeben, die die geistigen Fähigkeiten und das sittliche Ge¬
fühl abstumpfen. Die Hnkah und der Zenanah (der Harem) mache" aus dem
geistcsfrischen Kinde bald einen brütenden Träumer, der nnr noch im Sinnen-
genuß schwelgen kann. Ganz ohne Frucht sind jedoch auch diese Bemühungen
nicht geblieben. Größer noch sind die Siege, welche die europäische Gesittung
über Aberglauben und Barbarei davongetragen hat. In den letzten zwanzig
Jahren ist in dem Gebiete der Compagnie durch die Gesetzgebung, und in dem
der benachbarten Fürsten durch den Einfluß der Compagnie die Sklaverei abge¬
schafft, so daß sie fast in ganz Indien aufgehört hat. Das Witwenverbrennen
hat im Gebiete der Compagnie seit -1829 aufgehört, einheimische Fürsten folgten
diesem Beispiele, und 1847 konnte Lord Hardinge sagen, daß es im ganzen
Gebiete der Halbinsel bis nach Cashemir verboten sei. Bei den Nadschpnten war
die Ermordung der neugeborenen Kinder weiblichen Geschlechts feststehende Sitte.
Noch 1843 wurde in Mirzuk, einem der Ratschputcnstaaten, kein einziges weib¬
liches Kind am Leben gelassen; im Jahre 18S0 wurden 1430 weibliche Kinder
daselbst geboren und alle lebte" noch am Schlüsse des Jahres. Früher galt es
bei den Nadschpnten für eine Schande, weibliche Kinder zu haben, und man
kann sich denken, welche Anstrengungen es gekostet hat, dieses Verbrechen bei
ihnen auszurotten. Vor ungefähr zwanzig Jahren kam man den Thugs auf die
Spur, gewerbsmäßigen Mördern ans religiösen Motiven, welche das ganze Land
durchstreiften und viele Tausende ermordet haben. Sie sind jetzt bis ans den
letzten Mann ausgerottet. Ostindien hat den Engländern eine Wohlthat zu verdauten,
von der es früher keine Ahnung hatte, die Sicherheit und eine starke, stabile
Regierung, und gegenwärtig bewirkt ein von einem Beamten unterschriebener
Zettel, oder das Amtszeichen eines subalternen Dieners der Regierung mehr als
früher ein Geschwader Reiter. Und alles dieses ist ein Werk des englischen
Bürgerstandes, ans dem sämmtliche Beamte der Compagnie mit äußerst seltenen


kein anderes Nahrungsmittel als ein paar Hände voll Neis, und dessen ganzer
Reichthum im Ertrag seines Ackers besteht? Außerdem ist die Grundsteuer seit
Jahrhunderten in Ostindien üblich, und der indische Landmann zahlt lieber eine
lästige Steuer, die er gewohnt ist, als eine leichte, die ihm neu ist, so sehr
hängt er am Alten. Eine neue Vertheilung scheint jedoch erforderlich zu sein.
Die Salzsteuer beträgt uur ^6. auf das Pfd., also der jährliche Verbrauch zu
12 Pfd. gerechnet, 9 et. auf den Kopf, was gewiß nicht übertrieben ist, da alle
andern Artikel ganz frei vom Zoll sind.

Für die Erziehung ist durch Schulen nicht wenig gethan worden, aber hier
treten in der Indolenz der Eingebornen und in der Furcht der Hindus vor dem
Umsichgreifen des Christenthums gewaltige Hindernisse entgegen. Die Hindnkinder
sind äußerst intelligent und fassen schneller als die Europäer; aber kaum reift
das Kind zum Jüngling heran, so sieht es sich vou allen entnervenden Einflüssen
des indischen Lebens umgeben, die die geistigen Fähigkeiten und das sittliche Ge¬
fühl abstumpfen. Die Hnkah und der Zenanah (der Harem) mache» aus dem
geistcsfrischen Kinde bald einen brütenden Träumer, der nnr noch im Sinnen-
genuß schwelgen kann. Ganz ohne Frucht sind jedoch auch diese Bemühungen
nicht geblieben. Größer noch sind die Siege, welche die europäische Gesittung
über Aberglauben und Barbarei davongetragen hat. In den letzten zwanzig
Jahren ist in dem Gebiete der Compagnie durch die Gesetzgebung, und in dem
der benachbarten Fürsten durch den Einfluß der Compagnie die Sklaverei abge¬
schafft, so daß sie fast in ganz Indien aufgehört hat. Das Witwenverbrennen
hat im Gebiete der Compagnie seit -1829 aufgehört, einheimische Fürsten folgten
diesem Beispiele, und 1847 konnte Lord Hardinge sagen, daß es im ganzen
Gebiete der Halbinsel bis nach Cashemir verboten sei. Bei den Nadschpnten war
die Ermordung der neugeborenen Kinder weiblichen Geschlechts feststehende Sitte.
Noch 1843 wurde in Mirzuk, einem der Ratschputcnstaaten, kein einziges weib¬
liches Kind am Leben gelassen; im Jahre 18S0 wurden 1430 weibliche Kinder
daselbst geboren und alle lebte» noch am Schlüsse des Jahres. Früher galt es
bei den Nadschpnten für eine Schande, weibliche Kinder zu haben, und man
kann sich denken, welche Anstrengungen es gekostet hat, dieses Verbrechen bei
ihnen auszurotten. Vor ungefähr zwanzig Jahren kam man den Thugs auf die
Spur, gewerbsmäßigen Mördern ans religiösen Motiven, welche das ganze Land
durchstreiften und viele Tausende ermordet haben. Sie sind jetzt bis ans den
letzten Mann ausgerottet. Ostindien hat den Engländern eine Wohlthat zu verdauten,
von der es früher keine Ahnung hatte, die Sicherheit und eine starke, stabile
Regierung, und gegenwärtig bewirkt ein von einem Beamten unterschriebener
Zettel, oder das Amtszeichen eines subalternen Dieners der Regierung mehr als
früher ein Geschwader Reiter. Und alles dieses ist ein Werk des englischen
Bürgerstandes, ans dem sämmtliche Beamte der Compagnie mit äußerst seltenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96634"/>
          <p xml:id="ID_1583" prev="#ID_1582"> kein anderes Nahrungsmittel als ein paar Hände voll Neis, und dessen ganzer<lb/>
Reichthum im Ertrag seines Ackers besteht? Außerdem ist die Grundsteuer seit<lb/>
Jahrhunderten in Ostindien üblich, und der indische Landmann zahlt lieber eine<lb/>
lästige Steuer, die er gewohnt ist, als eine leichte, die ihm neu ist, so sehr<lb/>
hängt er am Alten. Eine neue Vertheilung scheint jedoch erforderlich zu sein.<lb/>
Die Salzsteuer beträgt uur ^6. auf das Pfd., also der jährliche Verbrauch zu<lb/>
12 Pfd. gerechnet, 9 et. auf den Kopf, was gewiß nicht übertrieben ist, da alle<lb/>
andern Artikel ganz frei vom Zoll sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1584" next="#ID_1585"> Für die Erziehung ist durch Schulen nicht wenig gethan worden, aber hier<lb/>
treten in der Indolenz der Eingebornen und in der Furcht der Hindus vor dem<lb/>
Umsichgreifen des Christenthums gewaltige Hindernisse entgegen. Die Hindnkinder<lb/>
sind äußerst intelligent und fassen schneller als die Europäer; aber kaum reift<lb/>
das Kind zum Jüngling heran, so sieht es sich vou allen entnervenden Einflüssen<lb/>
des indischen Lebens umgeben, die die geistigen Fähigkeiten und das sittliche Ge¬<lb/>
fühl abstumpfen. Die Hnkah und der Zenanah (der Harem) mache» aus dem<lb/>
geistcsfrischen Kinde bald einen brütenden Träumer, der nnr noch im Sinnen-<lb/>
genuß schwelgen kann. Ganz ohne Frucht sind jedoch auch diese Bemühungen<lb/>
nicht geblieben. Größer noch sind die Siege, welche die europäische Gesittung<lb/>
über Aberglauben und Barbarei davongetragen hat. In den letzten zwanzig<lb/>
Jahren ist in dem Gebiete der Compagnie durch die Gesetzgebung, und in dem<lb/>
der benachbarten Fürsten durch den Einfluß der Compagnie die Sklaverei abge¬<lb/>
schafft, so daß sie fast in ganz Indien aufgehört hat. Das Witwenverbrennen<lb/>
hat im Gebiete der Compagnie seit -1829 aufgehört, einheimische Fürsten folgten<lb/>
diesem Beispiele, und 1847 konnte Lord Hardinge sagen, daß es im ganzen<lb/>
Gebiete der Halbinsel bis nach Cashemir verboten sei. Bei den Nadschpnten war<lb/>
die Ermordung der neugeborenen Kinder weiblichen Geschlechts feststehende Sitte.<lb/>
Noch 1843 wurde in Mirzuk, einem der Ratschputcnstaaten, kein einziges weib¬<lb/>
liches Kind am Leben gelassen; im Jahre 18S0 wurden 1430 weibliche Kinder<lb/>
daselbst geboren und alle lebte» noch am Schlüsse des Jahres. Früher galt es<lb/>
bei den Nadschpnten für eine Schande, weibliche Kinder zu haben, und man<lb/>
kann sich denken, welche Anstrengungen es gekostet hat, dieses Verbrechen bei<lb/>
ihnen auszurotten. Vor ungefähr zwanzig Jahren kam man den Thugs auf die<lb/>
Spur, gewerbsmäßigen Mördern ans religiösen Motiven, welche das ganze Land<lb/>
durchstreiften und viele Tausende ermordet haben. Sie sind jetzt bis ans den<lb/>
letzten Mann ausgerottet. Ostindien hat den Engländern eine Wohlthat zu verdauten,<lb/>
von der es früher keine Ahnung hatte, die Sicherheit und eine starke, stabile<lb/>
Regierung, und gegenwärtig bewirkt ein von einem Beamten unterschriebener<lb/>
Zettel, oder das Amtszeichen eines subalternen Dieners der Regierung mehr als<lb/>
früher ein Geschwader Reiter. Und alles dieses ist ein Werk des englischen<lb/>
Bürgerstandes, ans dem sämmtliche Beamte der Compagnie mit äußerst seltenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] kein anderes Nahrungsmittel als ein paar Hände voll Neis, und dessen ganzer Reichthum im Ertrag seines Ackers besteht? Außerdem ist die Grundsteuer seit Jahrhunderten in Ostindien üblich, und der indische Landmann zahlt lieber eine lästige Steuer, die er gewohnt ist, als eine leichte, die ihm neu ist, so sehr hängt er am Alten. Eine neue Vertheilung scheint jedoch erforderlich zu sein. Die Salzsteuer beträgt uur ^6. auf das Pfd., also der jährliche Verbrauch zu 12 Pfd. gerechnet, 9 et. auf den Kopf, was gewiß nicht übertrieben ist, da alle andern Artikel ganz frei vom Zoll sind. Für die Erziehung ist durch Schulen nicht wenig gethan worden, aber hier treten in der Indolenz der Eingebornen und in der Furcht der Hindus vor dem Umsichgreifen des Christenthums gewaltige Hindernisse entgegen. Die Hindnkinder sind äußerst intelligent und fassen schneller als die Europäer; aber kaum reift das Kind zum Jüngling heran, so sieht es sich vou allen entnervenden Einflüssen des indischen Lebens umgeben, die die geistigen Fähigkeiten und das sittliche Ge¬ fühl abstumpfen. Die Hnkah und der Zenanah (der Harem) mache» aus dem geistcsfrischen Kinde bald einen brütenden Träumer, der nnr noch im Sinnen- genuß schwelgen kann. Ganz ohne Frucht sind jedoch auch diese Bemühungen nicht geblieben. Größer noch sind die Siege, welche die europäische Gesittung über Aberglauben und Barbarei davongetragen hat. In den letzten zwanzig Jahren ist in dem Gebiete der Compagnie durch die Gesetzgebung, und in dem der benachbarten Fürsten durch den Einfluß der Compagnie die Sklaverei abge¬ schafft, so daß sie fast in ganz Indien aufgehört hat. Das Witwenverbrennen hat im Gebiete der Compagnie seit -1829 aufgehört, einheimische Fürsten folgten diesem Beispiele, und 1847 konnte Lord Hardinge sagen, daß es im ganzen Gebiete der Halbinsel bis nach Cashemir verboten sei. Bei den Nadschpnten war die Ermordung der neugeborenen Kinder weiblichen Geschlechts feststehende Sitte. Noch 1843 wurde in Mirzuk, einem der Ratschputcnstaaten, kein einziges weib¬ liches Kind am Leben gelassen; im Jahre 18S0 wurden 1430 weibliche Kinder daselbst geboren und alle lebte» noch am Schlüsse des Jahres. Früher galt es bei den Nadschpnten für eine Schande, weibliche Kinder zu haben, und man kann sich denken, welche Anstrengungen es gekostet hat, dieses Verbrechen bei ihnen auszurotten. Vor ungefähr zwanzig Jahren kam man den Thugs auf die Spur, gewerbsmäßigen Mördern ans religiösen Motiven, welche das ganze Land durchstreiften und viele Tausende ermordet haben. Sie sind jetzt bis ans den letzten Mann ausgerottet. Ostindien hat den Engländern eine Wohlthat zu verdauten, von der es früher keine Ahnung hatte, die Sicherheit und eine starke, stabile Regierung, und gegenwärtig bewirkt ein von einem Beamten unterschriebener Zettel, oder das Amtszeichen eines subalternen Dieners der Regierung mehr als früher ein Geschwader Reiter. Und alles dieses ist ein Werk des englischen Bürgerstandes, ans dem sämmtliche Beamte der Compagnie mit äußerst seltenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/459>, abgerufen am 23.07.2024.