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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Der Herzog von Wellington begriff die ganze Bedeutung dieses Documents.
Demnach schrieb er an Herrn von Talleyrand am 23. Juni 18is: ,,Jch bin es,
der den König ersucht hat, sofort nach Frankreich zurückzukehren, weil ich die
ganze Große unseres Erfolgs am -18. kannte. Ich schmeichele mir mit dem
Glauben, daß, wenn Sie den Stand der Dinge gesehen oder gekannt hätten,
Sie, weit entfernt, dem König von der Rückkehr abzurathen, Sr. Maj. einen
anderslautenden Rath gegeben, und ihn selbst begleitet haben würden. Alles,
was ich heute thun kann, um Ihnen die Richtigkeit meiner Meinung über die
Größe unserer Erfolge zu beweisen, ist, Ihnen beiliegend das Journal de
l'Empire vom 22. zu schicken, wo Sie den Bericht Bonapartes über die Schlacht
finden werden. ES ist unmöglich, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, da er
völlig gegen sich selbst spricht."

Lord Wellington hatte sich nicht getäuscht. Bonaparte hat die Wahrheit in
diesem berüchtigten Bulletin gesagt. Nichtsdestoweniger sagt das Bulletin vom
21. Juni nicht die ganze Wahrheit; und das aus einem vortrefflichen
Grnnde, weil Bonaparte nämlich am 20. Juni selbst die ganze Wahrheit nicht
wußte.

Indem man diesen ofstciellen Bericht liest, ist man äußerst erstaunt, es con-
statiren zu müssen, daß sich darin nicht ein einziges Wort findet, das, direct oder
indirect, auf die Mitwirkung des Feldmarschall Blücher und auf die Bereinigung
der preußischen Armee mit der englischen Bezug nimmt. Durch eine letzte
Regung des Mitleids scheint das Schicksal dem Kaiser eine treffliche Entschul¬
digung an die Hand zu geben, ausdrücklich gewählt, um die Bitterkeit dieser
uicht wieder gut zu machenden und unvergleichlichen Niederlage zu lindern. Der
Feldmarschall Blücher war an der Spitze des Gros der preußischen Armee gegen
Ende des Tages ans dem Schlachtfelde erschienen. Anstatt zu glauben, daß
Blücher um 9 Uhr gekommen war, konnte man sich erlauben zu glauben, er sei
um 8 Uhr, selbst um 7 Uhr gekommen; und daraus gab sich folgendes.*)

Die Schlacht von Waterloo nahm eine neue Gestalt an. Die Entwickelung
blieb etwas nebelhaft; dieses Halbdunkel konnte man zu einer halben Lüge be¬
nutzen. Man konnte z. B. die Rollen austauschen und dem Feldmarschall Blücher
alle Ehre dieses Tages zutheile". Es wäre schon ein Trost für den Kaiser 'ge¬
wesen, von den Preußen, und nicht von den Engländern geschlagen zu sein.
Dies begriff Bonaparte später, als er, von Wellington sprechend, sagte: "Seine



Blücher ist wol mit dem Gros der preußischen Armee um 8 Uhr auf dem Schlacht¬
felde eingetroffen, allerdings nachdem der letzte Angriff der alten Garde von Wellington zurück¬
geworfen war. Der Verfasser vergißt außerdem eine Auslassung des Bulletins zu berichtige":
daß wenn auch die Preußen uuter Bülow, nachdem sie Planchenoit gewonnen, einmal heraus¬
gedrängt wurden, sie ihren Angriff erneuerten und sich dieses Dorfes, dessen Besitz auf Na¬
poleons rechten Flügel entscheidend war, wieder bemächtigen, als die letzten Anstrengungen
Anm. d. Red. des französischen Heeres an der englischen Schlachtlinie scheiterten.

Der Herzog von Wellington begriff die ganze Bedeutung dieses Documents.
Demnach schrieb er an Herrn von Talleyrand am 23. Juni 18is: ,,Jch bin es,
der den König ersucht hat, sofort nach Frankreich zurückzukehren, weil ich die
ganze Große unseres Erfolgs am -18. kannte. Ich schmeichele mir mit dem
Glauben, daß, wenn Sie den Stand der Dinge gesehen oder gekannt hätten,
Sie, weit entfernt, dem König von der Rückkehr abzurathen, Sr. Maj. einen
anderslautenden Rath gegeben, und ihn selbst begleitet haben würden. Alles,
was ich heute thun kann, um Ihnen die Richtigkeit meiner Meinung über die
Größe unserer Erfolge zu beweisen, ist, Ihnen beiliegend das Journal de
l'Empire vom 22. zu schicken, wo Sie den Bericht Bonapartes über die Schlacht
finden werden. ES ist unmöglich, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, da er
völlig gegen sich selbst spricht."

Lord Wellington hatte sich nicht getäuscht. Bonaparte hat die Wahrheit in
diesem berüchtigten Bulletin gesagt. Nichtsdestoweniger sagt das Bulletin vom
21. Juni nicht die ganze Wahrheit; und das aus einem vortrefflichen
Grnnde, weil Bonaparte nämlich am 20. Juni selbst die ganze Wahrheit nicht
wußte.

Indem man diesen ofstciellen Bericht liest, ist man äußerst erstaunt, es con-
statiren zu müssen, daß sich darin nicht ein einziges Wort findet, das, direct oder
indirect, auf die Mitwirkung des Feldmarschall Blücher und auf die Bereinigung
der preußischen Armee mit der englischen Bezug nimmt. Durch eine letzte
Regung des Mitleids scheint das Schicksal dem Kaiser eine treffliche Entschul¬
digung an die Hand zu geben, ausdrücklich gewählt, um die Bitterkeit dieser
uicht wieder gut zu machenden und unvergleichlichen Niederlage zu lindern. Der
Feldmarschall Blücher war an der Spitze des Gros der preußischen Armee gegen
Ende des Tages ans dem Schlachtfelde erschienen. Anstatt zu glauben, daß
Blücher um 9 Uhr gekommen war, konnte man sich erlauben zu glauben, er sei
um 8 Uhr, selbst um 7 Uhr gekommen; und daraus gab sich folgendes.*)

Die Schlacht von Waterloo nahm eine neue Gestalt an. Die Entwickelung
blieb etwas nebelhaft; dieses Halbdunkel konnte man zu einer halben Lüge be¬
nutzen. Man konnte z. B. die Rollen austauschen und dem Feldmarschall Blücher
alle Ehre dieses Tages zutheile». Es wäre schon ein Trost für den Kaiser 'ge¬
wesen, von den Preußen, und nicht von den Engländern geschlagen zu sein.
Dies begriff Bonaparte später, als er, von Wellington sprechend, sagte: „Seine



Blücher ist wol mit dem Gros der preußischen Armee um 8 Uhr auf dem Schlacht¬
felde eingetroffen, allerdings nachdem der letzte Angriff der alten Garde von Wellington zurück¬
geworfen war. Der Verfasser vergißt außerdem eine Auslassung des Bulletins zu berichtige»:
daß wenn auch die Preußen uuter Bülow, nachdem sie Planchenoit gewonnen, einmal heraus¬
gedrängt wurden, sie ihren Angriff erneuerten und sich dieses Dorfes, dessen Besitz auf Na¬
poleons rechten Flügel entscheidend war, wieder bemächtigen, als die letzten Anstrengungen
Anm. d. Red. des französischen Heeres an der englischen Schlachtlinie scheiterten.
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[0438] Der Herzog von Wellington begriff die ganze Bedeutung dieses Documents. Demnach schrieb er an Herrn von Talleyrand am 23. Juni 18is: ,,Jch bin es, der den König ersucht hat, sofort nach Frankreich zurückzukehren, weil ich die ganze Große unseres Erfolgs am -18. kannte. Ich schmeichele mir mit dem Glauben, daß, wenn Sie den Stand der Dinge gesehen oder gekannt hätten, Sie, weit entfernt, dem König von der Rückkehr abzurathen, Sr. Maj. einen anderslautenden Rath gegeben, und ihn selbst begleitet haben würden. Alles, was ich heute thun kann, um Ihnen die Richtigkeit meiner Meinung über die Größe unserer Erfolge zu beweisen, ist, Ihnen beiliegend das Journal de l'Empire vom 22. zu schicken, wo Sie den Bericht Bonapartes über die Schlacht finden werden. ES ist unmöglich, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, da er völlig gegen sich selbst spricht." Lord Wellington hatte sich nicht getäuscht. Bonaparte hat die Wahrheit in diesem berüchtigten Bulletin gesagt. Nichtsdestoweniger sagt das Bulletin vom 21. Juni nicht die ganze Wahrheit; und das aus einem vortrefflichen Grnnde, weil Bonaparte nämlich am 20. Juni selbst die ganze Wahrheit nicht wußte. Indem man diesen ofstciellen Bericht liest, ist man äußerst erstaunt, es con- statiren zu müssen, daß sich darin nicht ein einziges Wort findet, das, direct oder indirect, auf die Mitwirkung des Feldmarschall Blücher und auf die Bereinigung der preußischen Armee mit der englischen Bezug nimmt. Durch eine letzte Regung des Mitleids scheint das Schicksal dem Kaiser eine treffliche Entschul¬ digung an die Hand zu geben, ausdrücklich gewählt, um die Bitterkeit dieser uicht wieder gut zu machenden und unvergleichlichen Niederlage zu lindern. Der Feldmarschall Blücher war an der Spitze des Gros der preußischen Armee gegen Ende des Tages ans dem Schlachtfelde erschienen. Anstatt zu glauben, daß Blücher um 9 Uhr gekommen war, konnte man sich erlauben zu glauben, er sei um 8 Uhr, selbst um 7 Uhr gekommen; und daraus gab sich folgendes.*) Die Schlacht von Waterloo nahm eine neue Gestalt an. Die Entwickelung blieb etwas nebelhaft; dieses Halbdunkel konnte man zu einer halben Lüge be¬ nutzen. Man konnte z. B. die Rollen austauschen und dem Feldmarschall Blücher alle Ehre dieses Tages zutheile». Es wäre schon ein Trost für den Kaiser 'ge¬ wesen, von den Preußen, und nicht von den Engländern geschlagen zu sein. Dies begriff Bonaparte später, als er, von Wellington sprechend, sagte: „Seine Blücher ist wol mit dem Gros der preußischen Armee um 8 Uhr auf dem Schlacht¬ felde eingetroffen, allerdings nachdem der letzte Angriff der alten Garde von Wellington zurück¬ geworfen war. Der Verfasser vergißt außerdem eine Auslassung des Bulletins zu berichtige»: daß wenn auch die Preußen uuter Bülow, nachdem sie Planchenoit gewonnen, einmal heraus¬ gedrängt wurden, sie ihren Angriff erneuerten und sich dieses Dorfes, dessen Besitz auf Na¬ poleons rechten Flügel entscheidend war, wieder bemächtigen, als die letzten Anstrengungen Anm. d. Red. des französischen Heeres an der englischen Schlachtlinie scheiterten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/438>, abgerufen am 23.07.2024.