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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Gnaden, wie sie ihn nenne", schuldet dem alten Blücher eine schöne Kerze! Er
ist es, der ..." -- Siehe die Denkwürdigkeiten von Se. Helena.

Al'er am 2V. Juni 1815 denkt er nicht im entferntesten daran. Er argwohnt
nichts davon; er schreibt seine Niederlage einem panischen Schrecken zu.
Er sagt dies nicht einmal, sondern dreimal; er sagt es in bestimmten, in harten
und sehr wenig schmeichelhaften Ausdrücken für die braven Soldaten, die so
großherzig gekommen waren, um sich auf sein Geheiß todten zu lasse". Er be¬
schreibt diesen panischen Schrecken wie eine Wirkung ohne Ursache. Augen-
scheinlich wußte er nicht, daß gegen 9 Uhr Blücher seine Vereinigung mit den
Engländern bewirkt hatte; er erzählt ziemlich genau, was sich während des größten
Theils des Tages zugetragen hatte, bis zu dem verhängnißvollen Augenblick, wo
er seine herrliche Cavalerie von der englischen Artillerie und Infanterie zu
Gründe gerichtet und die vier Bataillone Garde, die er, um° die Kürassiere los¬
zumachen, schickte, durch die englischen Escadrons in die Flucht geschlagen sah.
So sind seine Ausdrücke. Er spricht von diesem Unglück mit einer stolzen
Kaltblütigkeit. Jlnn zufolge hat die Armee eine Art von Nerveuzufall verspürt,
der sie in die schrecklichste Unordnung geworfen hat. Er verbreitet sich mit
Wohlgefallen über diesen panischen Schrecken, der sich seiner Truppen be¬
mächtigt, der sie in einem Augenblick durcheinander gemischt, verwirrt und zer¬
streut hat. Es ist augenscheinlich, daß er seit halb 9 Uhr Abends nichts mehr
wußte. Blücher ist im Begriff, seine Vereinigung zu bewirken; er sagt nicht
ein Wort von diesem großen Ereigniß, welches die Niederlage entscheidend
machte. Hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, er hätte davon gesprochen,
um etwas von seiner Ehre, um die Ehre seiner Armee zu retten. Nein, er
erzählt seine Niederlage langsam und ruhig; nud er nimmt keinen Anstand zu
gestehen, daß er die Flucht ergriffen habe, weil dies der bestmögliche Entschluß
gewesen sei.

Seine Haltung an diesem entscheidenden Tage und die Eile, mit der er
dem Strome folgte, werden ihn nicht sehr vor der Geschichte vergrößern.
Es ist nöthig, hier einfach, ohne Phrasen und ohne den mindesten Anspruch auf
Eleganz zu sprechen. Es ist nöthig, dem Leser das nackte Wort zu sagen; dies
ist die einzige Art, die Dinge zu bezeichnen. Das Bulletin über den Tag von
Mont-Saint-Jean zeigt, daß Bon aparte am 18. Juni unter den ersten
die Flucht ergriffen hat; er hat das Schlachtfeld verlassen, ohne selbst zu
wisse", was vorging u"d mit welchem Feinde er es zu thun hatte; er hat nicht
daran gedacht, weder seiue Person' auszusetze", um der Unordnung zu steuern,
noch sein Genie anzustrengen, um gegen das Schicksal zu kämpfen. Oberster
Feldherr und Kaiser führte er 100,000 tapfere Leute zum Tode, und diese
100,000 Braven stellte er daselbst sehr heitern Muthes ans; er rettete sich selbst
vortrefflich und kam in einem Lauf nach Paris, um seiner Gewohnheit gemäß


Grenzboten. III. 18ö3. 33

Gnaden, wie sie ihn nenne», schuldet dem alten Blücher eine schöne Kerze! Er
ist es, der ..." — Siehe die Denkwürdigkeiten von Se. Helena.

Al'er am 2V. Juni 1815 denkt er nicht im entferntesten daran. Er argwohnt
nichts davon; er schreibt seine Niederlage einem panischen Schrecken zu.
Er sagt dies nicht einmal, sondern dreimal; er sagt es in bestimmten, in harten
und sehr wenig schmeichelhaften Ausdrücken für die braven Soldaten, die so
großherzig gekommen waren, um sich auf sein Geheiß todten zu lasse». Er be¬
schreibt diesen panischen Schrecken wie eine Wirkung ohne Ursache. Augen-
scheinlich wußte er nicht, daß gegen 9 Uhr Blücher seine Vereinigung mit den
Engländern bewirkt hatte; er erzählt ziemlich genau, was sich während des größten
Theils des Tages zugetragen hatte, bis zu dem verhängnißvollen Augenblick, wo
er seine herrliche Cavalerie von der englischen Artillerie und Infanterie zu
Gründe gerichtet und die vier Bataillone Garde, die er, um° die Kürassiere los¬
zumachen, schickte, durch die englischen Escadrons in die Flucht geschlagen sah.
So sind seine Ausdrücke. Er spricht von diesem Unglück mit einer stolzen
Kaltblütigkeit. Jlnn zufolge hat die Armee eine Art von Nerveuzufall verspürt,
der sie in die schrecklichste Unordnung geworfen hat. Er verbreitet sich mit
Wohlgefallen über diesen panischen Schrecken, der sich seiner Truppen be¬
mächtigt, der sie in einem Augenblick durcheinander gemischt, verwirrt und zer¬
streut hat. Es ist augenscheinlich, daß er seit halb 9 Uhr Abends nichts mehr
wußte. Blücher ist im Begriff, seine Vereinigung zu bewirken; er sagt nicht
ein Wort von diesem großen Ereigniß, welches die Niederlage entscheidend
machte. Hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, er hätte davon gesprochen,
um etwas von seiner Ehre, um die Ehre seiner Armee zu retten. Nein, er
erzählt seine Niederlage langsam und ruhig; nud er nimmt keinen Anstand zu
gestehen, daß er die Flucht ergriffen habe, weil dies der bestmögliche Entschluß
gewesen sei.

Seine Haltung an diesem entscheidenden Tage und die Eile, mit der er
dem Strome folgte, werden ihn nicht sehr vor der Geschichte vergrößern.
Es ist nöthig, hier einfach, ohne Phrasen und ohne den mindesten Anspruch auf
Eleganz zu sprechen. Es ist nöthig, dem Leser das nackte Wort zu sagen; dies
ist die einzige Art, die Dinge zu bezeichnen. Das Bulletin über den Tag von
Mont-Saint-Jean zeigt, daß Bon aparte am 18. Juni unter den ersten
die Flucht ergriffen hat; er hat das Schlachtfeld verlassen, ohne selbst zu
wisse», was vorging u»d mit welchem Feinde er es zu thun hatte; er hat nicht
daran gedacht, weder seiue Person' auszusetze», um der Unordnung zu steuern,
noch sein Genie anzustrengen, um gegen das Schicksal zu kämpfen. Oberster
Feldherr und Kaiser führte er 100,000 tapfere Leute zum Tode, und diese
100,000 Braven stellte er daselbst sehr heitern Muthes ans; er rettete sich selbst
vortrefflich und kam in einem Lauf nach Paris, um seiner Gewohnheit gemäß


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[0439] Gnaden, wie sie ihn nenne», schuldet dem alten Blücher eine schöne Kerze! Er ist es, der ..." — Siehe die Denkwürdigkeiten von Se. Helena. Al'er am 2V. Juni 1815 denkt er nicht im entferntesten daran. Er argwohnt nichts davon; er schreibt seine Niederlage einem panischen Schrecken zu. Er sagt dies nicht einmal, sondern dreimal; er sagt es in bestimmten, in harten und sehr wenig schmeichelhaften Ausdrücken für die braven Soldaten, die so großherzig gekommen waren, um sich auf sein Geheiß todten zu lasse». Er be¬ schreibt diesen panischen Schrecken wie eine Wirkung ohne Ursache. Augen- scheinlich wußte er nicht, daß gegen 9 Uhr Blücher seine Vereinigung mit den Engländern bewirkt hatte; er erzählt ziemlich genau, was sich während des größten Theils des Tages zugetragen hatte, bis zu dem verhängnißvollen Augenblick, wo er seine herrliche Cavalerie von der englischen Artillerie und Infanterie zu Gründe gerichtet und die vier Bataillone Garde, die er, um° die Kürassiere los¬ zumachen, schickte, durch die englischen Escadrons in die Flucht geschlagen sah. So sind seine Ausdrücke. Er spricht von diesem Unglück mit einer stolzen Kaltblütigkeit. Jlnn zufolge hat die Armee eine Art von Nerveuzufall verspürt, der sie in die schrecklichste Unordnung geworfen hat. Er verbreitet sich mit Wohlgefallen über diesen panischen Schrecken, der sich seiner Truppen be¬ mächtigt, der sie in einem Augenblick durcheinander gemischt, verwirrt und zer¬ streut hat. Es ist augenscheinlich, daß er seit halb 9 Uhr Abends nichts mehr wußte. Blücher ist im Begriff, seine Vereinigung zu bewirken; er sagt nicht ein Wort von diesem großen Ereigniß, welches die Niederlage entscheidend machte. Hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, er hätte davon gesprochen, um etwas von seiner Ehre, um die Ehre seiner Armee zu retten. Nein, er erzählt seine Niederlage langsam und ruhig; nud er nimmt keinen Anstand zu gestehen, daß er die Flucht ergriffen habe, weil dies der bestmögliche Entschluß gewesen sei. Seine Haltung an diesem entscheidenden Tage und die Eile, mit der er dem Strome folgte, werden ihn nicht sehr vor der Geschichte vergrößern. Es ist nöthig, hier einfach, ohne Phrasen und ohne den mindesten Anspruch auf Eleganz zu sprechen. Es ist nöthig, dem Leser das nackte Wort zu sagen; dies ist die einzige Art, die Dinge zu bezeichnen. Das Bulletin über den Tag von Mont-Saint-Jean zeigt, daß Bon aparte am 18. Juni unter den ersten die Flucht ergriffen hat; er hat das Schlachtfeld verlassen, ohne selbst zu wisse», was vorging u»d mit welchem Feinde er es zu thun hatte; er hat nicht daran gedacht, weder seiue Person' auszusetze», um der Unordnung zu steuern, noch sein Genie anzustrengen, um gegen das Schicksal zu kämpfen. Oberster Feldherr und Kaiser führte er 100,000 tapfere Leute zum Tode, und diese 100,000 Braven stellte er daselbst sehr heitern Muthes ans; er rettete sich selbst vortrefflich und kam in einem Lauf nach Paris, um seiner Gewohnheit gemäß Grenzboten. III. 18ö3. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/439>, abgerufen am 23.07.2024.