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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Feindes gebliebe". Es war selbst nicht mehr möglich, die Truppen unseres rechten
Flügels zu erwarten. Mau weiß, was die tapferste Armee der Welt ist, wenn
sie durcheinandergemischt ist und ihre Organisation nicht mehr existirt.

Der Kaiser hat die Sambre zu Charlervi den 19. ö Uhr Morgens passirt.
Philippeville und Avesnes sind zu Vereinigungspunkten gegeben morde". Der
Prinz Jirome, der General Morand und die andern Generale haben daselbst
schon einen Theil der Armee wieder gesammelt. Der Marschall Grouchy, mit
dem Corps des rechten Flügels, richtet seine Bewegungen auf die untere Sambre.

Der Verlust des Feindes muß sehr groß gewesen sein, nach den Fahnen
zu schließen, die wir ihm genommen haben, und nach den Nückbewegungen, die
er gemacht hat. Der unserige wird sich erst uach Sammlung der Truppen
berechne" lasse". Ehe die Unordnung ausbrach, hatten wir schon beträcht¬
liche Verluste erlitten, hauptsächlich in unserer Cavalerie, die sich so verderblicher'
weise und doch so tapfer in den Kampf verwickelt hatte. Ungeachtet jener Ver¬
luste hat diese tapfere Cavalerie standhaft die Stellung behauptet, die sie den
Engländern genommen hatte, und sie wich erst, als der Tumult und die Unord-
nung des Schlachtfeldes sie dazu zwangen. Inmitten der Nacht und der Hinder¬
nisse, welche die Straße anfüllten, hat sie sogar ihre Organisation nicht aufrecht
erhalten könne". Die Artillerie hat sich, ihrer Gewohnheit nach, mit Ruhm be¬
deckt. Die Wagen des Hauptquartiers waren in ihrer gewöhnlichen Stellung
geblieben, da keine rückgängige Bewegung für nothwendig erachtet wurde. Im
Lauf der Nacht siud sie in die Hände des Feindes gefallen.

So war der Ausgang der Schlacht von Mont-Saint-Jean, ruhmvoll für
die französische" Waffen und doch so verderblich." -- --

So war also die Katastrophe von Waterloo, wie Bonaparte mit seinen
Augen sie gesehen, wie er sie in seinen Erinnerungen ohne große Anstren¬
gung des Gedächtnisses wiedergefunden und wie es ihm beliebt hat, sie Frank¬
reich und Europa zu erzählen. Am 2-1. Juni 1816 hatte Bonaparte weder
vo" der Lüge, noch von der Wahrheit etwas zu hoffen. Es war mit ihm zu
Ende, völlig zu Eude; er halte kein Reich, er hatte keine Armee mehr; und
er bereitete sich zur Abbüßuug des 18. Brumaire vor, indem er schimpflicher¬
weise ans die erste Aufforderung der Deputirtenkammer abdankte. Man kann
ihn nicht beargwöhnen, zu seinem Nachtheil gelogen zu haben; das Interesse
seines Ruhmes genügte, um ihm eine gewisse Zurückhaltung einzuflößen; und
wenn sein Bericht nicht wesentlich von den englischen Berichten abweicht, wenn
er viele Dinge beinahe ans dieselbe Art erzählt, verdient er wol einigen Glanben.

Man tan" nicht daran zweifeln, es gibt zwei Schlachten von Waterloo:
die, welche Bonaparte gesehen und die er mit einer gewissen Freimüthigkeit
erzählt hat; und die, welche seine Bewunderer entdeckt und mit allen Gaben
des Geistes und der Phantasie verschönert haben.


Feindes gebliebe». Es war selbst nicht mehr möglich, die Truppen unseres rechten
Flügels zu erwarten. Mau weiß, was die tapferste Armee der Welt ist, wenn
sie durcheinandergemischt ist und ihre Organisation nicht mehr existirt.

Der Kaiser hat die Sambre zu Charlervi den 19. ö Uhr Morgens passirt.
Philippeville und Avesnes sind zu Vereinigungspunkten gegeben morde». Der
Prinz Jirome, der General Morand und die andern Generale haben daselbst
schon einen Theil der Armee wieder gesammelt. Der Marschall Grouchy, mit
dem Corps des rechten Flügels, richtet seine Bewegungen auf die untere Sambre.

Der Verlust des Feindes muß sehr groß gewesen sein, nach den Fahnen
zu schließen, die wir ihm genommen haben, und nach den Nückbewegungen, die
er gemacht hat. Der unserige wird sich erst uach Sammlung der Truppen
berechne» lasse». Ehe die Unordnung ausbrach, hatten wir schon beträcht¬
liche Verluste erlitten, hauptsächlich in unserer Cavalerie, die sich so verderblicher'
weise und doch so tapfer in den Kampf verwickelt hatte. Ungeachtet jener Ver¬
luste hat diese tapfere Cavalerie standhaft die Stellung behauptet, die sie den
Engländern genommen hatte, und sie wich erst, als der Tumult und die Unord-
nung des Schlachtfeldes sie dazu zwangen. Inmitten der Nacht und der Hinder¬
nisse, welche die Straße anfüllten, hat sie sogar ihre Organisation nicht aufrecht
erhalten könne». Die Artillerie hat sich, ihrer Gewohnheit nach, mit Ruhm be¬
deckt. Die Wagen des Hauptquartiers waren in ihrer gewöhnlichen Stellung
geblieben, da keine rückgängige Bewegung für nothwendig erachtet wurde. Im
Lauf der Nacht siud sie in die Hände des Feindes gefallen.

So war der Ausgang der Schlacht von Mont-Saint-Jean, ruhmvoll für
die französische» Waffen und doch so verderblich." — —

So war also die Katastrophe von Waterloo, wie Bonaparte mit seinen
Augen sie gesehen, wie er sie in seinen Erinnerungen ohne große Anstren¬
gung des Gedächtnisses wiedergefunden und wie es ihm beliebt hat, sie Frank¬
reich und Europa zu erzählen. Am 2-1. Juni 1816 hatte Bonaparte weder
vo» der Lüge, noch von der Wahrheit etwas zu hoffen. Es war mit ihm zu
Ende, völlig zu Eude; er halte kein Reich, er hatte keine Armee mehr; und
er bereitete sich zur Abbüßuug des 18. Brumaire vor, indem er schimpflicher¬
weise ans die erste Aufforderung der Deputirtenkammer abdankte. Man kann
ihn nicht beargwöhnen, zu seinem Nachtheil gelogen zu haben; das Interesse
seines Ruhmes genügte, um ihm eine gewisse Zurückhaltung einzuflößen; und
wenn sein Bericht nicht wesentlich von den englischen Berichten abweicht, wenn
er viele Dinge beinahe ans dieselbe Art erzählt, verdient er wol einigen Glanben.

Man tan» nicht daran zweifeln, es gibt zwei Schlachten von Waterloo:
die, welche Bonaparte gesehen und die er mit einer gewissen Freimüthigkeit
erzählt hat; und die, welche seine Bewunderer entdeckt und mit allen Gaben
des Geistes und der Phantasie verschönert haben.


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[0437] Feindes gebliebe». Es war selbst nicht mehr möglich, die Truppen unseres rechten Flügels zu erwarten. Mau weiß, was die tapferste Armee der Welt ist, wenn sie durcheinandergemischt ist und ihre Organisation nicht mehr existirt. Der Kaiser hat die Sambre zu Charlervi den 19. ö Uhr Morgens passirt. Philippeville und Avesnes sind zu Vereinigungspunkten gegeben morde». Der Prinz Jirome, der General Morand und die andern Generale haben daselbst schon einen Theil der Armee wieder gesammelt. Der Marschall Grouchy, mit dem Corps des rechten Flügels, richtet seine Bewegungen auf die untere Sambre. Der Verlust des Feindes muß sehr groß gewesen sein, nach den Fahnen zu schließen, die wir ihm genommen haben, und nach den Nückbewegungen, die er gemacht hat. Der unserige wird sich erst uach Sammlung der Truppen berechne» lasse». Ehe die Unordnung ausbrach, hatten wir schon beträcht¬ liche Verluste erlitten, hauptsächlich in unserer Cavalerie, die sich so verderblicher' weise und doch so tapfer in den Kampf verwickelt hatte. Ungeachtet jener Ver¬ luste hat diese tapfere Cavalerie standhaft die Stellung behauptet, die sie den Engländern genommen hatte, und sie wich erst, als der Tumult und die Unord- nung des Schlachtfeldes sie dazu zwangen. Inmitten der Nacht und der Hinder¬ nisse, welche die Straße anfüllten, hat sie sogar ihre Organisation nicht aufrecht erhalten könne». Die Artillerie hat sich, ihrer Gewohnheit nach, mit Ruhm be¬ deckt. Die Wagen des Hauptquartiers waren in ihrer gewöhnlichen Stellung geblieben, da keine rückgängige Bewegung für nothwendig erachtet wurde. Im Lauf der Nacht siud sie in die Hände des Feindes gefallen. So war der Ausgang der Schlacht von Mont-Saint-Jean, ruhmvoll für die französische» Waffen und doch so verderblich." — — So war also die Katastrophe von Waterloo, wie Bonaparte mit seinen Augen sie gesehen, wie er sie in seinen Erinnerungen ohne große Anstren¬ gung des Gedächtnisses wiedergefunden und wie es ihm beliebt hat, sie Frank¬ reich und Europa zu erzählen. Am 2-1. Juni 1816 hatte Bonaparte weder vo» der Lüge, noch von der Wahrheit etwas zu hoffen. Es war mit ihm zu Ende, völlig zu Eude; er halte kein Reich, er hatte keine Armee mehr; und er bereitete sich zur Abbüßuug des 18. Brumaire vor, indem er schimpflicher¬ weise ans die erste Aufforderung der Deputirtenkammer abdankte. Man kann ihn nicht beargwöhnen, zu seinem Nachtheil gelogen zu haben; das Interesse seines Ruhmes genügte, um ihm eine gewisse Zurückhaltung einzuflößen; und wenn sein Bericht nicht wesentlich von den englischen Berichten abweicht, wenn er viele Dinge beinahe ans dieselbe Art erzählt, verdient er wol einigen Glanben. Man tan» nicht daran zweifeln, es gibt zwei Schlachten von Waterloo: die, welche Bonaparte gesehen und die er mit einer gewissen Freimüthigkeit erzählt hat; und die, welche seine Bewunderer entdeckt und mit allen Gaben des Geistes und der Phantasie verschönert haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/437>, abgerufen am 23.07.2024.