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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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konnte. Allein die Geschichte der letzten Jahre hat doch eines bewiesen, daß eine
Verbindung der belgischen Dynastie init irgend einem kleineren Hofe Deutschlands
viel angemessener gewesen wäre. Belgien würde weder der Revolution, noch der
neuen französischen Dynastie gegenüber als Agent der orleanistischeu Familien-
interessen gegolten haben. Der Verfasser hat anch hierin recht, daß die östreichisch¬
belgische Heirath unter den gegenwärtigen Umständen eine Herausforderung der
französischen Negierung sei, und daß sie hier auch als solche betrachtet wird, be-
weist die Fernhaltung des französischen Gesandten von Brüssel auf schlagende
Weise. Wem war es übrigens unbekannt, daß die Anschauung, welche Oestreich,
Rußland und Preußen und gewissermaßen auch England von der Stellung der
französischen Dynastie hatten und noch haben, die Hauptveranlassung zu dieser
Verbindung gewesen. Aber daß diese Ansicht und folglich anch die Politik
der europäischen Dynastie sich möglicherweise ändern könne, das hat Belgien
übersehen, und der Verfasser hat wieder recht, wenn er der Negierung dieses
Landes einen Vorwurf daraus macht. Belgien wird nur wenig durch diese Heirath
gewinnen, und es ist möglich, daß auch diese östreichische Prinzessin zu einer
traurigen, wenn auch nicht so tragischen Rolle berufen ist, wie die letzte östreichi¬
sche Prinzessin, welche auf dem französischen Throne saß.

Wie sehr man Frankreichs Macht" wie sehr man die Macht selbst dieser Ne¬
gierung in deu europäischen Kanzleien unterschätzt, hatte erst seit ganz kürzlich
die orientalische Frage dargethan. -- Oestreichs) Preußens?) und England mu߬
ten sich mit dem noch vor kurzem ganz isolirten Frankreich verständigen und ihm
die Hand bieten zum Ansgleichungsversuche zwischen der Pforte und Rußland. Ja
sie gingen sozusagen den Weg, den Frankreich vorgeschlagen, weil es den Vor¬
theil hatte, weiter gehen zu wollen, als selbst England (gleichviel, ob dies ernst
gemeint war und in welcher Absicht) und man verstand sich gern zu seinen con-
ciliatorischen Planen, weil namentlich die englische Regierung fühlte, daß sie von
der öffentlichen Meinung in ihrem Lande zur französischen Kriegspolitik hinge¬
drängt werden würde. Rußlands Sieg ist darum nicht geringer, aber neben ihm
hat nnr die französische Regierung (nicht Frankreich) sich zu dem Glück zu wün¬
schen, was geschehe" ist. Wer kann uns aber verbürgen, daß sich die Sachen in
Frankreich nicht auch so gestalten, daß die europäischen Regierungen Frankreichs,
des bonapartistischen absolutistischen Frankreichs Freundschaft ebenso suchen werden,
wie sie sich jetzt von ihm zurückzuziehen so auffallend constatiren. Denn wahr¬
lich, daß Frankreich absolutistisch regiert wird, das allein ist kein Grund
zur Feindschaft weder mit der russischen noch mit den deutscheu Regierungen.
Auch diese Voraussetzung des Verfassers als politische Möglichkeit muß man gelten
lassen, wenn man anch für jetzt noch soviel dagegen einzuwenden hätte.

Die Heirath ist demnach wirklich ein Fehler, denn sie entfernt Belgien ent¬
schieden von Frankreich, sie gibt dem Kaiser einen Vorwand, dem nur die Ge-


konnte. Allein die Geschichte der letzten Jahre hat doch eines bewiesen, daß eine
Verbindung der belgischen Dynastie init irgend einem kleineren Hofe Deutschlands
viel angemessener gewesen wäre. Belgien würde weder der Revolution, noch der
neuen französischen Dynastie gegenüber als Agent der orleanistischeu Familien-
interessen gegolten haben. Der Verfasser hat anch hierin recht, daß die östreichisch¬
belgische Heirath unter den gegenwärtigen Umständen eine Herausforderung der
französischen Negierung sei, und daß sie hier auch als solche betrachtet wird, be-
weist die Fernhaltung des französischen Gesandten von Brüssel auf schlagende
Weise. Wem war es übrigens unbekannt, daß die Anschauung, welche Oestreich,
Rußland und Preußen und gewissermaßen auch England von der Stellung der
französischen Dynastie hatten und noch haben, die Hauptveranlassung zu dieser
Verbindung gewesen. Aber daß diese Ansicht und folglich anch die Politik
der europäischen Dynastie sich möglicherweise ändern könne, das hat Belgien
übersehen, und der Verfasser hat wieder recht, wenn er der Negierung dieses
Landes einen Vorwurf daraus macht. Belgien wird nur wenig durch diese Heirath
gewinnen, und es ist möglich, daß auch diese östreichische Prinzessin zu einer
traurigen, wenn auch nicht so tragischen Rolle berufen ist, wie die letzte östreichi¬
sche Prinzessin, welche auf dem französischen Throne saß.

Wie sehr man Frankreichs Macht» wie sehr man die Macht selbst dieser Ne¬
gierung in deu europäischen Kanzleien unterschätzt, hatte erst seit ganz kürzlich
die orientalische Frage dargethan. — Oestreichs) Preußens?) und England mu߬
ten sich mit dem noch vor kurzem ganz isolirten Frankreich verständigen und ihm
die Hand bieten zum Ansgleichungsversuche zwischen der Pforte und Rußland. Ja
sie gingen sozusagen den Weg, den Frankreich vorgeschlagen, weil es den Vor¬
theil hatte, weiter gehen zu wollen, als selbst England (gleichviel, ob dies ernst
gemeint war und in welcher Absicht) und man verstand sich gern zu seinen con-
ciliatorischen Planen, weil namentlich die englische Regierung fühlte, daß sie von
der öffentlichen Meinung in ihrem Lande zur französischen Kriegspolitik hinge¬
drängt werden würde. Rußlands Sieg ist darum nicht geringer, aber neben ihm
hat nnr die französische Regierung (nicht Frankreich) sich zu dem Glück zu wün¬
schen, was geschehe« ist. Wer kann uns aber verbürgen, daß sich die Sachen in
Frankreich nicht auch so gestalten, daß die europäischen Regierungen Frankreichs,
des bonapartistischen absolutistischen Frankreichs Freundschaft ebenso suchen werden,
wie sie sich jetzt von ihm zurückzuziehen so auffallend constatiren. Denn wahr¬
lich, daß Frankreich absolutistisch regiert wird, das allein ist kein Grund
zur Feindschaft weder mit der russischen noch mit den deutscheu Regierungen.
Auch diese Voraussetzung des Verfassers als politische Möglichkeit muß man gelten
lassen, wenn man anch für jetzt noch soviel dagegen einzuwenden hätte.

Die Heirath ist demnach wirklich ein Fehler, denn sie entfernt Belgien ent¬
schieden von Frankreich, sie gibt dem Kaiser einen Vorwand, dem nur die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/430>, abgerufen am 23.07.2024.