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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Der Verfasser gibt vor, ein Belgier zu sein, allein seine Schlußfolgerungen sind
zu specifisch französisch, als daß man in Paris an die belgische Nationalität des
anonymen Verfassers glauben könnte. Man raunte sich zuerst in die Ohren,
Troplong hätte wieder die Feder ergriffen, um seinem Herrn einen angenehmen
Dienst zu erweisen, aber diese Andichtung wurde bald fallen gelassen und man
behauptet jetzt, dieses Schriftchen rühre von Hys de Buttenval, dem ehemaligen
französischen Gesandten in Brüssel her. Dieser Diplomat habe sich durch dieses
Factum dafür gerächt, daß er trotz seiner Spione keine Ahnung von den Unter¬
handlungen Belgiens mit Oestreich gehabt habe. Uns lassen alle diese Forschungen
über den Verfasser selbst kalt, uns ist es ganz gleichgiltig, ob diese Broschüre
in Brüssel oder in Paris geschrieben worden, aber die Schrift scheint uns wichtig
genng, um sie einer Besprechung zu würdigen.

Der Verfasser geht von dem Grundsatze ans, daß Belgien einen Fehler
begangen habe, sich von Holland loszusagen. Seine Unabhängigkeit sei dadurch
unmöglich und die frühere oder spätere Verschmelzung mit einem größeren Staate
zur Nothwendigkeit geworden.

Es ist eigenthümlich genug, einem Lande zu sagen, daß die beste Art seine
Unabhängigkeit zu bewahren die sei, einem andern unterthänig zu bleiben, allein
die Schwäche Belgiens und die Annahme, daß es in einer gegebenen Zeit von
Frankreich absorbirt werden würde, bleibt doch eine politische, und die factische
Neutralität, welche dieser kleine Staat zu seinem Glücke seit seiner Revolution
beobachten mußte, ist mit ein Beweis dafür. Allein die Verbindung mit Holland
als eine Panacee zu betrachten, ist kindisch. Wenn organische Interessen oder
große Ereignisse zur Sprache kommen, ist ein solcher Persoualverband viel zu
schwach um einen genügenden Damm zu bilden.

Mit dem zweiten Hauptgrundsätze dieser Schrift, daß Belgien auf die Dauer
der Zeit sich uicht halten könne, sind wir einverstanden, und mit der Schlu߬
folgerung, daß die östreichische Heirath ein Fehlgriff, ebenfalls.*)

Ein Staat wie Belgien mußte namentlich unter den gegenwärtigen Verhält¬
nissen und bei den Möglichkeiten, welche diese offen lassen, alles vermeiden,
was seine Zukunft irgendwie binden kann. Er mußte alles vermeiden, was
ihm im gegebenen Falle den Anschluß an den Stärkeren erschwert, gleichviel, ob
es Frankreich oder Deutschland ist. Die Allianz mit der orleanistischen Familie
war blos darum kein Fehler, weil dadurch ein freundschaftliches Verhältniß
nach der Seite hin gegründet wurde, von welcher her unmittelbar die drin-
gendste Gefahr drohte, und weil diese Allianz das Freundschaftsverhältniß mit
England weder im Augenblicke, noch voraussichtlich in der Zukunft gefährden



Die Redaction keineswegs; doch glaubt sie, dem geehrten Correspondenten einen Ausdruck
seiner Ansichten nicht versagen zu dürfen.

Der Verfasser gibt vor, ein Belgier zu sein, allein seine Schlußfolgerungen sind
zu specifisch französisch, als daß man in Paris an die belgische Nationalität des
anonymen Verfassers glauben könnte. Man raunte sich zuerst in die Ohren,
Troplong hätte wieder die Feder ergriffen, um seinem Herrn einen angenehmen
Dienst zu erweisen, aber diese Andichtung wurde bald fallen gelassen und man
behauptet jetzt, dieses Schriftchen rühre von Hys de Buttenval, dem ehemaligen
französischen Gesandten in Brüssel her. Dieser Diplomat habe sich durch dieses
Factum dafür gerächt, daß er trotz seiner Spione keine Ahnung von den Unter¬
handlungen Belgiens mit Oestreich gehabt habe. Uns lassen alle diese Forschungen
über den Verfasser selbst kalt, uns ist es ganz gleichgiltig, ob diese Broschüre
in Brüssel oder in Paris geschrieben worden, aber die Schrift scheint uns wichtig
genng, um sie einer Besprechung zu würdigen.

Der Verfasser geht von dem Grundsatze ans, daß Belgien einen Fehler
begangen habe, sich von Holland loszusagen. Seine Unabhängigkeit sei dadurch
unmöglich und die frühere oder spätere Verschmelzung mit einem größeren Staate
zur Nothwendigkeit geworden.

Es ist eigenthümlich genug, einem Lande zu sagen, daß die beste Art seine
Unabhängigkeit zu bewahren die sei, einem andern unterthänig zu bleiben, allein
die Schwäche Belgiens und die Annahme, daß es in einer gegebenen Zeit von
Frankreich absorbirt werden würde, bleibt doch eine politische, und die factische
Neutralität, welche dieser kleine Staat zu seinem Glücke seit seiner Revolution
beobachten mußte, ist mit ein Beweis dafür. Allein die Verbindung mit Holland
als eine Panacee zu betrachten, ist kindisch. Wenn organische Interessen oder
große Ereignisse zur Sprache kommen, ist ein solcher Persoualverband viel zu
schwach um einen genügenden Damm zu bilden.

Mit dem zweiten Hauptgrundsätze dieser Schrift, daß Belgien auf die Dauer
der Zeit sich uicht halten könne, sind wir einverstanden, und mit der Schlu߬
folgerung, daß die östreichische Heirath ein Fehlgriff, ebenfalls.*)

Ein Staat wie Belgien mußte namentlich unter den gegenwärtigen Verhält¬
nissen und bei den Möglichkeiten, welche diese offen lassen, alles vermeiden,
was seine Zukunft irgendwie binden kann. Er mußte alles vermeiden, was
ihm im gegebenen Falle den Anschluß an den Stärkeren erschwert, gleichviel, ob
es Frankreich oder Deutschland ist. Die Allianz mit der orleanistischen Familie
war blos darum kein Fehler, weil dadurch ein freundschaftliches Verhältniß
nach der Seite hin gegründet wurde, von welcher her unmittelbar die drin-
gendste Gefahr drohte, und weil diese Allianz das Freundschaftsverhältniß mit
England weder im Augenblicke, noch voraussichtlich in der Zukunft gefährden



Die Redaction keineswegs; doch glaubt sie, dem geehrten Correspondenten einen Ausdruck
seiner Ansichten nicht versagen zu dürfen.
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[0429] Der Verfasser gibt vor, ein Belgier zu sein, allein seine Schlußfolgerungen sind zu specifisch französisch, als daß man in Paris an die belgische Nationalität des anonymen Verfassers glauben könnte. Man raunte sich zuerst in die Ohren, Troplong hätte wieder die Feder ergriffen, um seinem Herrn einen angenehmen Dienst zu erweisen, aber diese Andichtung wurde bald fallen gelassen und man behauptet jetzt, dieses Schriftchen rühre von Hys de Buttenval, dem ehemaligen französischen Gesandten in Brüssel her. Dieser Diplomat habe sich durch dieses Factum dafür gerächt, daß er trotz seiner Spione keine Ahnung von den Unter¬ handlungen Belgiens mit Oestreich gehabt habe. Uns lassen alle diese Forschungen über den Verfasser selbst kalt, uns ist es ganz gleichgiltig, ob diese Broschüre in Brüssel oder in Paris geschrieben worden, aber die Schrift scheint uns wichtig genng, um sie einer Besprechung zu würdigen. Der Verfasser geht von dem Grundsatze ans, daß Belgien einen Fehler begangen habe, sich von Holland loszusagen. Seine Unabhängigkeit sei dadurch unmöglich und die frühere oder spätere Verschmelzung mit einem größeren Staate zur Nothwendigkeit geworden. Es ist eigenthümlich genug, einem Lande zu sagen, daß die beste Art seine Unabhängigkeit zu bewahren die sei, einem andern unterthänig zu bleiben, allein die Schwäche Belgiens und die Annahme, daß es in einer gegebenen Zeit von Frankreich absorbirt werden würde, bleibt doch eine politische, und die factische Neutralität, welche dieser kleine Staat zu seinem Glücke seit seiner Revolution beobachten mußte, ist mit ein Beweis dafür. Allein die Verbindung mit Holland als eine Panacee zu betrachten, ist kindisch. Wenn organische Interessen oder große Ereignisse zur Sprache kommen, ist ein solcher Persoualverband viel zu schwach um einen genügenden Damm zu bilden. Mit dem zweiten Hauptgrundsätze dieser Schrift, daß Belgien auf die Dauer der Zeit sich uicht halten könne, sind wir einverstanden, und mit der Schlu߬ folgerung, daß die östreichische Heirath ein Fehlgriff, ebenfalls.*) Ein Staat wie Belgien mußte namentlich unter den gegenwärtigen Verhält¬ nissen und bei den Möglichkeiten, welche diese offen lassen, alles vermeiden, was seine Zukunft irgendwie binden kann. Er mußte alles vermeiden, was ihm im gegebenen Falle den Anschluß an den Stärkeren erschwert, gleichviel, ob es Frankreich oder Deutschland ist. Die Allianz mit der orleanistischen Familie war blos darum kein Fehler, weil dadurch ein freundschaftliches Verhältniß nach der Seite hin gegründet wurde, von welcher her unmittelbar die drin- gendste Gefahr drohte, und weil diese Allianz das Freundschaftsverhältniß mit England weder im Augenblicke, noch voraussichtlich in der Zukunft gefährden Die Redaction keineswegs; doch glaubt sie, dem geehrten Correspondenten einen Ausdruck seiner Ansichten nicht versagen zu dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/429>, abgerufen am 23.07.2024.