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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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verführen, aber dieser bleibt fest und mit der heftigsten Spannung zwischen den
beiden Brüdern schließt dieser Act, mit dem der Dichter bezweckt, uns über die
Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit des beabsichtigten Aufstandes aufzuklären,
was für das Drama eine sehr schwierige Aufgabe, aber hier dem Dichter vollständig
gelungen ist, denn wir kommen sehr entschieden zu der Ansicht, daß wir für Oranien
gegen die Verschwörung Antheil nehmen müssen.-- Im dritten Act wird Rainer
trotzdem dazu bestimmt, sich wenigstens indirect soweit in die Verschwörung ein¬
zulassen, daß er sich dadurch compromittirt. Das Motiv dieser entscheidenden
Handlung ist nicht sowol die Theilnahme für seinen Bruder, als vielmehr ein
ganz neuer Umstand, der plötzlich und überraschend eintritt. Wilhelms Gemahlin,
Walburg, hegt nämlich für Rainer eine geheime Liebe, die anch im stillen er¬
wiedert wird, obgleich beide zu tugendhaft sind, sich ihr Verhältniß einzugestehen.
Rainer trägt also das Bewußtsein einer geheimen Schuld gegen seinen Bruder
im Herzen, und das bestimmt ihn, seinem Bruder das schwerste Opfer zu bringen,
das ein Mensch bringen kann, nicht nur das Opfer seines Lebens, sondern das
Opfer seiner Ueberzeugung. Dieses Motiv ist an sich schon sehr bedenklich, ein
offenbarer Fehler ist es aber, daß es erst so spät eintritt und so wenig vorbereitet
wird; den" da in diesem Motiv der Knoten der Intrigue liegt, so mußte uns die
Ahnung davon so früh als möglich mitgetheilt werden, und wir mußten über die
Natur desselben genau unterrichtet sei", um uns ein klares Urtheil zu bilden. --
Im vierten Act wird die Verschwörung dem Prinzen entdeckt. Hier ist wieder
etwas zu viel motivirt, da es doch im Grunde gleichgiltig ist, durch wen eine solche im
Lauf der Dinge unvermeidliche Entdeckung vermittelt wird, und da dadurch einigen
neuen exotischen Figuren ein zu breiter Raum verstattet wird. Die Verschwornen,
die grade im Begriff sind, ihr Unternehmen auszuführen, werden umzingelt, und
der Prinz beschließt, sie alle aufzuopfern, mit einziger Ausnahme Rainers, den
er theills um seines Vaters willen, theils weil er ein an sich ehrenwerther Mann ist
und nur dnrch zufällige Combinationen in die Verschwörung verwickelt, gern retten
möchte. Zu diesem Zweck hat er Walburg ein Handbillet geschickt, in dem die
Wachen angewiesen werden, Rainer entschlüpfen zu lassen. Nun kommt aber die
Reihe des Opfers an Walbnrg, die sich gleichfalls ihrem Gemahl gegenüber schuldig
fühlt. Wilhelm soll ehe" verhaftet werden, da zeigt Walbnrg jenes Billet vor, gibt
ihn für seinen Bruder ans, und so entkommt er, während Rainer in die Hände
der Soldaten fällt. Walburg, durch dieses Ereigniß außer sich gebracht, gesteht
offen ihre Leidenschaft, und beide sind wenigstens für den Augenblick im Gefühl
ihrer Liebe glücklich. -- Im letzten Act erfolgt Rainers Hinrichtung. Der Prinz
möchte sie gern hintertreiben, aber seine Gerichte geben ihm nicht die Macht dazu.
Die andern Schuldigen sind bereits gefallen, und so will denn die Gerechtigkeit
die gleiche Strafe für alle. In der Familie der Barneveldt herrscht tiefe Trauer,
Wilhelm wird innerhalb derselben moralisch gerichtet und wandert mit gebrochenem


verführen, aber dieser bleibt fest und mit der heftigsten Spannung zwischen den
beiden Brüdern schließt dieser Act, mit dem der Dichter bezweckt, uns über die
Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit des beabsichtigten Aufstandes aufzuklären,
was für das Drama eine sehr schwierige Aufgabe, aber hier dem Dichter vollständig
gelungen ist, denn wir kommen sehr entschieden zu der Ansicht, daß wir für Oranien
gegen die Verschwörung Antheil nehmen müssen.— Im dritten Act wird Rainer
trotzdem dazu bestimmt, sich wenigstens indirect soweit in die Verschwörung ein¬
zulassen, daß er sich dadurch compromittirt. Das Motiv dieser entscheidenden
Handlung ist nicht sowol die Theilnahme für seinen Bruder, als vielmehr ein
ganz neuer Umstand, der plötzlich und überraschend eintritt. Wilhelms Gemahlin,
Walburg, hegt nämlich für Rainer eine geheime Liebe, die anch im stillen er¬
wiedert wird, obgleich beide zu tugendhaft sind, sich ihr Verhältniß einzugestehen.
Rainer trägt also das Bewußtsein einer geheimen Schuld gegen seinen Bruder
im Herzen, und das bestimmt ihn, seinem Bruder das schwerste Opfer zu bringen,
das ein Mensch bringen kann, nicht nur das Opfer seines Lebens, sondern das
Opfer seiner Ueberzeugung. Dieses Motiv ist an sich schon sehr bedenklich, ein
offenbarer Fehler ist es aber, daß es erst so spät eintritt und so wenig vorbereitet
wird; den» da in diesem Motiv der Knoten der Intrigue liegt, so mußte uns die
Ahnung davon so früh als möglich mitgetheilt werden, und wir mußten über die
Natur desselben genau unterrichtet sei», um uns ein klares Urtheil zu bilden. —
Im vierten Act wird die Verschwörung dem Prinzen entdeckt. Hier ist wieder
etwas zu viel motivirt, da es doch im Grunde gleichgiltig ist, durch wen eine solche im
Lauf der Dinge unvermeidliche Entdeckung vermittelt wird, und da dadurch einigen
neuen exotischen Figuren ein zu breiter Raum verstattet wird. Die Verschwornen,
die grade im Begriff sind, ihr Unternehmen auszuführen, werden umzingelt, und
der Prinz beschließt, sie alle aufzuopfern, mit einziger Ausnahme Rainers, den
er theills um seines Vaters willen, theils weil er ein an sich ehrenwerther Mann ist
und nur dnrch zufällige Combinationen in die Verschwörung verwickelt, gern retten
möchte. Zu diesem Zweck hat er Walburg ein Handbillet geschickt, in dem die
Wachen angewiesen werden, Rainer entschlüpfen zu lassen. Nun kommt aber die
Reihe des Opfers an Walbnrg, die sich gleichfalls ihrem Gemahl gegenüber schuldig
fühlt. Wilhelm soll ehe» verhaftet werden, da zeigt Walbnrg jenes Billet vor, gibt
ihn für seinen Bruder ans, und so entkommt er, während Rainer in die Hände
der Soldaten fällt. Walburg, durch dieses Ereigniß außer sich gebracht, gesteht
offen ihre Leidenschaft, und beide sind wenigstens für den Augenblick im Gefühl
ihrer Liebe glücklich. — Im letzten Act erfolgt Rainers Hinrichtung. Der Prinz
möchte sie gern hintertreiben, aber seine Gerichte geben ihm nicht die Macht dazu.
Die andern Schuldigen sind bereits gefallen, und so will denn die Gerechtigkeit
die gleiche Strafe für alle. In der Familie der Barneveldt herrscht tiefe Trauer,
Wilhelm wird innerhalb derselben moralisch gerichtet und wandert mit gebrochenem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/420>, abgerufen am 23.07.2024.