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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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und die nachträglichen politischen Erwägungen können diesen Eindruck nicht
wieder auslösche". -- Das Stück macht ans uns den Eindruck, als ob das
Talent des Verfassers sich mehr dem historischen Roman, als dem Drama
zuneige. --

Herr Türcke hat die Detailmalerei uoch viel weiter ausgedehnt; er gibt uns
eigentlich nichts, als Detailmalerei, und diese in den allerdicksten Farben. Der
Stoff ist eine Episode aus der Geschichte des Kurfürsten Moritz von Sachsen
und einer Novelle entlehnt, die wir in unsrer Jugend gelesen haben. Uebrigens
hätte der Verfasser das in der Vorrede angeben solle", den" es ist zwar nach
dem herrschenden Gebrauch durchaus erlaubt, eine ältere Novelle zur dramatischen
Bearbeitung zu benutzen, aber man muß es wenigstens sagen. In diesem Fall ist
die dramatische Form nicht glücklich gewesen, denn der Stoff ist im strengsten
Sinne des Worts novellistisch. --

Herr Hamm hat den kühnen Versuch gemacht,, eine Fortsetzung zu Shake¬
speares bekanntem Drama zu schreiben. König Heinrich tritt ganz in der Weise
ans, wie wir es bei Shakespeare gesehen haben. Nun hat sich aber der Verfasser
die Aufgabe dadurch erschwert, daß er die verschiedenen Heirathen des Tyrannen
MN England, die in der Geschichte doch natürlich auseinander fallen, eine und
dieselbe Zeit verlegt. Die Hinrichtung seiner zweiten und dritten Frau findet
nach unserm Dichter gleichzeitig statt, und er bewirbt sich in dem nämlichen
Augenblick um seine vierte, fünfte und sechste Fran. Das hebt nicht nnr die
Wahrscheinlichkeit auf, sondern es stört auch alles dramatische Interesse, denn
in diesem Wirbel der Raserei finden wir zuletzt keine Handhabe für unsre eigene
Empfindung mehr. -- Die Form des Dichters ist im höchsten Grade roh und
ungeschickt, dabei zeigen sich aber doch in einzelnen Scenen mehr Spuren von
einem wirklich dramatischen Talent, als bei den beiden vorhergenannten Dichtern.--

Das Drama von Dingelstedt steht in Beziehung auf die Technik ganz
unendlich über allen übrigen. Es erscheint übrigens hier in einer zweiten Be¬
arbeitung, die namentlich durch Zusammenziehung sehr gewonnen hat. Im ersten
Aufzug erleben wir die Hinrichtung des alten Oldenbarueveldt. Seine Familie
ist zur Zeit seiner Hinrichtung versammelt, der Prinz von Oranien tritt auf und
bietet Gnade an, wenn der würdige Gegner seinerseits um Gnade bitten will.
Die Gemahlin Oldenbarneveldts, eine edle und stolze Dame, verweigert ihre
Vermittelung, der Prinz gibt das Zeichen zur Hinrichtung und als diese ausgeführt
ist, treten die beiden Söhne Oldenbarneveldts ans, Rainer und Wilhelm; der
zweite schwört Rache, der erste verweigert diesen Schwur und schwört nur seines
Vaters würdig zu sein. -- Der Act ist mit der größten technischen Sicherheit
ausgeführt und muß auch auf der Bühne einen großen Eindruck machen. -- Im
zweiten Act wird uus eine Verschwörung geschildert, die gegen Oranien oraanisirt
wird und an der Wilhelm Theil nimmt; er sucht auch seinen Bruder dazu zu


und die nachträglichen politischen Erwägungen können diesen Eindruck nicht
wieder auslösche». — Das Stück macht ans uns den Eindruck, als ob das
Talent des Verfassers sich mehr dem historischen Roman, als dem Drama
zuneige. —

Herr Türcke hat die Detailmalerei uoch viel weiter ausgedehnt; er gibt uns
eigentlich nichts, als Detailmalerei, und diese in den allerdicksten Farben. Der
Stoff ist eine Episode aus der Geschichte des Kurfürsten Moritz von Sachsen
und einer Novelle entlehnt, die wir in unsrer Jugend gelesen haben. Uebrigens
hätte der Verfasser das in der Vorrede angeben solle», den» es ist zwar nach
dem herrschenden Gebrauch durchaus erlaubt, eine ältere Novelle zur dramatischen
Bearbeitung zu benutzen, aber man muß es wenigstens sagen. In diesem Fall ist
die dramatische Form nicht glücklich gewesen, denn der Stoff ist im strengsten
Sinne des Worts novellistisch. —

Herr Hamm hat den kühnen Versuch gemacht,, eine Fortsetzung zu Shake¬
speares bekanntem Drama zu schreiben. König Heinrich tritt ganz in der Weise
ans, wie wir es bei Shakespeare gesehen haben. Nun hat sich aber der Verfasser
die Aufgabe dadurch erschwert, daß er die verschiedenen Heirathen des Tyrannen
MN England, die in der Geschichte doch natürlich auseinander fallen, eine und
dieselbe Zeit verlegt. Die Hinrichtung seiner zweiten und dritten Frau findet
nach unserm Dichter gleichzeitig statt, und er bewirbt sich in dem nämlichen
Augenblick um seine vierte, fünfte und sechste Fran. Das hebt nicht nnr die
Wahrscheinlichkeit auf, sondern es stört auch alles dramatische Interesse, denn
in diesem Wirbel der Raserei finden wir zuletzt keine Handhabe für unsre eigene
Empfindung mehr. — Die Form des Dichters ist im höchsten Grade roh und
ungeschickt, dabei zeigen sich aber doch in einzelnen Scenen mehr Spuren von
einem wirklich dramatischen Talent, als bei den beiden vorhergenannten Dichtern.—

Das Drama von Dingelstedt steht in Beziehung auf die Technik ganz
unendlich über allen übrigen. Es erscheint übrigens hier in einer zweiten Be¬
arbeitung, die namentlich durch Zusammenziehung sehr gewonnen hat. Im ersten
Aufzug erleben wir die Hinrichtung des alten Oldenbarueveldt. Seine Familie
ist zur Zeit seiner Hinrichtung versammelt, der Prinz von Oranien tritt auf und
bietet Gnade an, wenn der würdige Gegner seinerseits um Gnade bitten will.
Die Gemahlin Oldenbarneveldts, eine edle und stolze Dame, verweigert ihre
Vermittelung, der Prinz gibt das Zeichen zur Hinrichtung und als diese ausgeführt
ist, treten die beiden Söhne Oldenbarneveldts ans, Rainer und Wilhelm; der
zweite schwört Rache, der erste verweigert diesen Schwur und schwört nur seines
Vaters würdig zu sein. — Der Act ist mit der größten technischen Sicherheit
ausgeführt und muß auch auf der Bühne einen großen Eindruck machen. — Im
zweiten Act wird uus eine Verschwörung geschildert, die gegen Oranien oraanisirt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/419>, abgerufen am 23.07.2024.