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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Adzia Knechte packten die lebendige Leiche und die Derwische mußten mit schwerem
Herzen dem guten Pilger für diesen Liebesdienst danken. Wer war da übler
daran, "ut beklageiiswerther als die Derwische? Der verstellte Todte ward in
die Stube des Adzia eingeschlossen. Wie mochte ihm da zu Muthe sein?

Jene vier kehrten zu ihrer Brüderschaft zurück, und als sie erzählten, was
mit Asseln geschehn, überlief alle ein Todesschweiß. Und der arme Omer! Auf
ihn stürmten sie sämmtlich los, wie auf eine weiße Krähe. "Unsinniger Bursch!
Wir hätten es wissen sollen, daß aus deinem verrückten Schädel nichts Gescheidtes
kommen kaun, dn Zigeuner! n. s. w." Vergebens rechtfertigte sich Omer und
behauptete, daß sie sämmtlich noch verrückter sein müßten als er, da sie seinen
Nath befolgt. Keiner aber wollte ihn hören. Es kam Klage über Klage, einmal
um ihren Mitbruder und ältesten, dann uoch mehr, weil die Leute nun sagen
würden, die Derwische seien hinterlistige Gesellen und trieben heuchlerischen Trug.
Was Gespött wird es da setze"!

Den Adzia überkam auf dem Heimwege ans der Moschee ein Argwohn, ob
denn jener Derwisch wirklich todt sei oder nicht; der Adzia war nämlich mit derlei
Jndustriestückcheu der Derwische gar wol vertraut. Mit derlei Gedanken beschäftigt,
langte er in seiner Wohnung an. Und siehe da, sein Argwohn war gerechtfertigt!
Gleich beim Eintritt".' in die Stube bemerkte er, daß ein Kranz Feigen, der früher
an der Wand hing, nicht mehr da war. Den hatte ohne Zweifel der hungrige
Schelm von Derwisch aufgegessen und sich daun wieder auf seinen Platz gelegt.
Der Adzia rief seine Knechte und fragte, ob sie etwa den Kranz Feigen hinweg¬
genommen? Deren verneinende Antwort verstärkte die Muthmaßung des Adzia,
daß sich der Derwisch nur verstelle.

"Kudro! Schuft von einem Derwisch!" rief er. "Wo sind meine Feigen
hin? Wenn du sie gefressen, mußt du sie wieder herausspcicu. Hörst du Tropf!"
Obwol der Adzia diese Worte einige Mal hohnlachend wiederholte und den Schein¬
todten mit dem Fuße stieß, war dies doch umsonst. Der Derwisch ist todt und
bleibt todt, und regt sich nicht und bewegt sich nicht. Endlich beginnt ihn der Adzia
zu bitten, er möge aufstehn und betheuerte, der ganzen Geschichte gegen niemand
Erwähnung thun zu wollen. Zwei Stunden brachte der Adzia also zu, theils
mit Bitten, theils mit Drohen, er werde ihn lebendig begraben lassen. Alles
war fruchtlos, der Derwisch blieb immerfort steif liegen. Hierauf ging der Pilger
fort und schickte seine Knechte in die Stube, mit dem Bedeuten, sie sollen den
Derwisch durch Bitten und Drohen dahin bringen, daß er die Stube verlasse.

Auch die Knechte richten nichts aus: der Derwisch regt sich nicht und bewegt
sich uicht. So blieb es in des Adzia Stube bis zur Abenddämmerung. Als es
zu dunkeln begann, gebot der Adzia seinen Knechte", sie sollten den Derwisch auf
den Begräbmßplatz tragen und dort lassen. Diesen Auftrag konnten die Diener
kaum erwarten, sie packten ihn und schleppten ihn fort. Was haben aber die dem


Adzia Knechte packten die lebendige Leiche und die Derwische mußten mit schwerem
Herzen dem guten Pilger für diesen Liebesdienst danken. Wer war da übler
daran, »ut beklageiiswerther als die Derwische? Der verstellte Todte ward in
die Stube des Adzia eingeschlossen. Wie mochte ihm da zu Muthe sein?

Jene vier kehrten zu ihrer Brüderschaft zurück, und als sie erzählten, was
mit Asseln geschehn, überlief alle ein Todesschweiß. Und der arme Omer! Auf
ihn stürmten sie sämmtlich los, wie auf eine weiße Krähe. „Unsinniger Bursch!
Wir hätten es wissen sollen, daß aus deinem verrückten Schädel nichts Gescheidtes
kommen kaun, dn Zigeuner! n. s. w." Vergebens rechtfertigte sich Omer und
behauptete, daß sie sämmtlich noch verrückter sein müßten als er, da sie seinen
Nath befolgt. Keiner aber wollte ihn hören. Es kam Klage über Klage, einmal
um ihren Mitbruder und ältesten, dann uoch mehr, weil die Leute nun sagen
würden, die Derwische seien hinterlistige Gesellen und trieben heuchlerischen Trug.
Was Gespött wird es da setze»!

Den Adzia überkam auf dem Heimwege ans der Moschee ein Argwohn, ob
denn jener Derwisch wirklich todt sei oder nicht; der Adzia war nämlich mit derlei
Jndustriestückcheu der Derwische gar wol vertraut. Mit derlei Gedanken beschäftigt,
langte er in seiner Wohnung an. Und siehe da, sein Argwohn war gerechtfertigt!
Gleich beim Eintritt«.' in die Stube bemerkte er, daß ein Kranz Feigen, der früher
an der Wand hing, nicht mehr da war. Den hatte ohne Zweifel der hungrige
Schelm von Derwisch aufgegessen und sich daun wieder auf seinen Platz gelegt.
Der Adzia rief seine Knechte und fragte, ob sie etwa den Kranz Feigen hinweg¬
genommen? Deren verneinende Antwort verstärkte die Muthmaßung des Adzia,
daß sich der Derwisch nur verstelle.

„Kudro! Schuft von einem Derwisch!" rief er. „Wo sind meine Feigen
hin? Wenn du sie gefressen, mußt du sie wieder herausspcicu. Hörst du Tropf!"
Obwol der Adzia diese Worte einige Mal hohnlachend wiederholte und den Schein¬
todten mit dem Fuße stieß, war dies doch umsonst. Der Derwisch ist todt und
bleibt todt, und regt sich nicht und bewegt sich nicht. Endlich beginnt ihn der Adzia
zu bitten, er möge aufstehn und betheuerte, der ganzen Geschichte gegen niemand
Erwähnung thun zu wollen. Zwei Stunden brachte der Adzia also zu, theils
mit Bitten, theils mit Drohen, er werde ihn lebendig begraben lassen. Alles
war fruchtlos, der Derwisch blieb immerfort steif liegen. Hierauf ging der Pilger
fort und schickte seine Knechte in die Stube, mit dem Bedeuten, sie sollen den
Derwisch durch Bitten und Drohen dahin bringen, daß er die Stube verlasse.

Auch die Knechte richten nichts aus: der Derwisch regt sich nicht und bewegt
sich uicht. So blieb es in des Adzia Stube bis zur Abenddämmerung. Als es
zu dunkeln begann, gebot der Adzia seinen Knechte», sie sollten den Derwisch auf
den Begräbmßplatz tragen und dort lassen. Diesen Auftrag konnten die Diener
kaum erwarten, sie packten ihn und schleppten ihn fort. Was haben aber die dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/410>, abgerufen am 29.06.2024.