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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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mögen als Wächter bei mir bleiben und mich beweinen. Wenn euch jemand von den
Vorübergehenden um die Ursache eures Weinens fragen wird, so sagt ihm, daß einer
ans der Brüderschaft gestorben sei und ihr nicht soviel habet, ihn begraben lassen
zu können, wie es unser Gesetz vorschreibt. Da wird gewiß niemand so harten
Herzens sein, daß er sich nicht über einen todten Leib erbarmte. Ans diese Art
wird der Aufwand für ein Begräbniß sicherlich bald beisammen sein. Konstanti¬
nopel ist groß und hat viele Moscheen und unser sind zwölf, drum können wir
abwechseln, so Gott will. Ist euch dies anständig?"

Einstimmig entgegneten sie: Br^ aferim! Sehr gut, Omer! Wer hätte ge¬
glaubt, daß ans einem solchen Haupte soviel Verstand hervorgehen könnte!"

"Du wirst aber nicht der erste sein!" rief frohlockend Asseln. "Ich werde
der erste sein, als der älteste und dann kommts an die andern der Reihenach."

"Ja! so ists recht, der älteste soll der erste sein" bestätigten die übrigen.

Die Derwische konnten kaum den folgenden Tag, den Freitag erwarten. Als
es nahe zum Mittag war, um welche Zeit die Türken nach den Moscheen gehen,
nahmen die Derwische das Bret, auf welchem ihr ältester bereits sich verstellend
lag, und begaben sich damit in die Mitte der Straße, welche zur Sophienmoschee
führt. Einer winkte dem andern zu, und dann begannen sie zu zweien zu
wehklagen. Sie hatten sich noch nicht lange mit dem gewaltigen Wehklagen abge¬
müht, als schon ein durch seine Frömmigkeit berühmter Adzia^) vor ihnen stand.
"Da wirds was setzen", dachten die Derwische bei sich. Aber wie sehr sich der
Mensch oft selbst betrügt, indem er einen andern zu betrügen strebt, zeigte sich
an diesen heuchlerischen Derwischen.

"Was für ein Unglück ist euch widerfahren, ihr Diener des Propheten?

"O frage nicht, theurer Adzia" antworteten diese. "Heute ist uns unser
seliger Asseln gestorben. Er war ein sehr wackerer, ehrbarer und heiliger Mann,
unser ältester. Wir Armen können nicht einmal unserm ältesten die letzte Ehre
erweisen , wir haben nichts wofür wir ihn begraben könnten, wenn nicht jemand
seiner Seele eingedenk sein wird. Es ist ein groß Se"ap°) einen Todten be¬
graben, ein größeres, einen Derwisch, einen ältesten der Derwische, einen Mann
von solcher Heiligkeit."

"Meine Eltern haben manch Sevap verrichtet, so will ich es denn auch",
sprach der Adzia. "Habt keinen Kummer, gehet heim, mein sei die Sorge, ihn
zu begraben." Sprachs und gab zwei Knechten, die ihn begleiteten, den Schlüssel
zu seiner Wohnung, mit dem Bedeuten, sie sollten den Todten dahin tragen und
in der Stube einschließen, dann aber sogleich in die Moschee nachkommen. "Und
wenn die Zeit des Abendgebets sein wird^), wollen wir ihn begraben" fügte der
Adzia hinzu.

Den vier Derwischen war es bei Anhörung dieser Worte, als drehte sich
ganz Konstantinopel mit ihnen im Kreise herum. Aber da war keine Hilfe, des


51*

mögen als Wächter bei mir bleiben und mich beweinen. Wenn euch jemand von den
Vorübergehenden um die Ursache eures Weinens fragen wird, so sagt ihm, daß einer
ans der Brüderschaft gestorben sei und ihr nicht soviel habet, ihn begraben lassen
zu können, wie es unser Gesetz vorschreibt. Da wird gewiß niemand so harten
Herzens sein, daß er sich nicht über einen todten Leib erbarmte. Ans diese Art
wird der Aufwand für ein Begräbniß sicherlich bald beisammen sein. Konstanti¬
nopel ist groß und hat viele Moscheen und unser sind zwölf, drum können wir
abwechseln, so Gott will. Ist euch dies anständig?"

Einstimmig entgegneten sie: Br^ aferim! Sehr gut, Omer! Wer hätte ge¬
glaubt, daß ans einem solchen Haupte soviel Verstand hervorgehen könnte!"

„Du wirst aber nicht der erste sein!" rief frohlockend Asseln. „Ich werde
der erste sein, als der älteste und dann kommts an die andern der Reihenach."

„Ja! so ists recht, der älteste soll der erste sein" bestätigten die übrigen.

Die Derwische konnten kaum den folgenden Tag, den Freitag erwarten. Als
es nahe zum Mittag war, um welche Zeit die Türken nach den Moscheen gehen,
nahmen die Derwische das Bret, auf welchem ihr ältester bereits sich verstellend
lag, und begaben sich damit in die Mitte der Straße, welche zur Sophienmoschee
führt. Einer winkte dem andern zu, und dann begannen sie zu zweien zu
wehklagen. Sie hatten sich noch nicht lange mit dem gewaltigen Wehklagen abge¬
müht, als schon ein durch seine Frömmigkeit berühmter Adzia^) vor ihnen stand.
„Da wirds was setzen", dachten die Derwische bei sich. Aber wie sehr sich der
Mensch oft selbst betrügt, indem er einen andern zu betrügen strebt, zeigte sich
an diesen heuchlerischen Derwischen.

„Was für ein Unglück ist euch widerfahren, ihr Diener des Propheten?

„O frage nicht, theurer Adzia" antworteten diese. „Heute ist uns unser
seliger Asseln gestorben. Er war ein sehr wackerer, ehrbarer und heiliger Mann,
unser ältester. Wir Armen können nicht einmal unserm ältesten die letzte Ehre
erweisen , wir haben nichts wofür wir ihn begraben könnten, wenn nicht jemand
seiner Seele eingedenk sein wird. Es ist ein groß Se»ap°) einen Todten be¬
graben, ein größeres, einen Derwisch, einen ältesten der Derwische, einen Mann
von solcher Heiligkeit."

„Meine Eltern haben manch Sevap verrichtet, so will ich es denn auch",
sprach der Adzia. „Habt keinen Kummer, gehet heim, mein sei die Sorge, ihn
zu begraben." Sprachs und gab zwei Knechten, die ihn begleiteten, den Schlüssel
zu seiner Wohnung, mit dem Bedeuten, sie sollten den Todten dahin tragen und
in der Stube einschließen, dann aber sogleich in die Moschee nachkommen. „Und
wenn die Zeit des Abendgebets sein wird^), wollen wir ihn begraben" fügte der
Adzia hinzu.

Den vier Derwischen war es bei Anhörung dieser Worte, als drehte sich
ganz Konstantinopel mit ihnen im Kreise herum. Aber da war keine Hilfe, des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/409>, abgerufen am 26.06.2024.