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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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schlaffung mehr verloren werde, als im Paroxysmus gewonnen worden ist,
Hingegen, wie in der Körperwelt ein langsames Wachsthum ein langes Leben
verbürgt, so in der Politik ein mühsamer Erwerb einen dauernden Besitz."

Die Natur dieser gesellschaftlichen Kräfte und ihr verhältnißmäßiger Werth
für das Staatsleben wird sehr scharfsinnig analysirt. Dann geht der Versasser
ans das Repräsentativstem über (Seite 19). "Einen politisch giltigen Anspruch
ans Vertretung im Repräsentativstaat hat nicht das Recht, nicht das Interesse,
nicht die Zahl u. s. w., sondern immer nnr die Kraft, welche dem Recht, dem
Interesse, der Zahl u. s. w. innewohnt. Die Vertretung eines ohnmächtigen
Rechts wird immer ohnmächtig sein, und eine richtige Politik kann sie deshalb
niemals wollen. Dasselbe gilt von dem ohnmächtigen Interesse." -- (Seite 21)
"Ist die Repräsentation nicht der richtige Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfte,
so muß das Repräsentativsystem nothwendigerweise zur Lüge werden, denn das
wirkliche Leben wird immer den Sieg davontragen über die ihm widersprechende
Formel, und wenn sie noch so feierlich in einer Verfassungsurkunde prangt."
(Seite 23) "Die Souveränetät ist ein Machtbegrifs, und wer sie als Rechts¬
begriff handhabt, der wird immer zu unhaltbaren Ergebnissen kommen. Souverän
ist der Inhaber der obersten Gewalt im Staate, hier der König, dort das Volk,
am dritten Ort die Aristokratie. Die Souveränetät ist keine, sozusagen eingeborne
Eigenschaft, so wenig des Königs, wie des Volks, und nnr dvctrinäre
Willkür mag sie für den einen oder für das audere ein für alle Mal in Anspruch
nehmen."

Vortrefflich ist die Kritik des von der historischen Schule, namentlich von
Stahl aufgestellten Revolntionsbegriffs. (Seite 31) "Revolution findet überall
statt, wo eine neue Thatsache gewaltsam eingreift in den jeweiligen staatlichen
Bestand, in die geltende Regel des öffentlichen Lebens.....Eine Thatsache
ist die Revolution und kein Princip, weder ein gutes, uoch ein böses. Aber auch
der staatliche Bestand, den die Revolution durchbricht, ist an und für sich lediglich
eine Thatsache ohne nothwendigen Zusammenhang mit irgend einem guten oder
bösen Princip. Das Recht, die Sittlichkeit, das Gemeinwohl können im Kampfe
jener beiden Thatsachen ans der einen oder auf der andern Seite sein; das
Urtheil über die Revolution gilt deshalb immer nur für den einzelnen Fall." --

Sehr schön spricht sich der Verfasser darüber aus, daß der Erfolg, so wichtig
er auch für das Urtheil über eine Revolution sein mag, nicht das einzige Kriterium
sein darf. (Seite 37) "Wo die unbedingte sittliche Pflicht befiehlt, wie wenn es
gilt, das Nationaldasein zu retten oder zu rächen, da kommt der Erfolg nicht
in Frage, sondern nur die Art und Weise der Vollziehung des Gebotes. Ein
solches Unternehmen verlangt zu seiner Rechtfertigung nichts, als den großen
Entschluß und die große That. Zaghaftigkeit freilich, kleinliche Mittel und halbe
Maßregeln schänden auch den heiligsten Zweck. Wenn aber Numantia, zu schwach,


Grenzbote". III. 18V3. 43

schlaffung mehr verloren werde, als im Paroxysmus gewonnen worden ist,
Hingegen, wie in der Körperwelt ein langsames Wachsthum ein langes Leben
verbürgt, so in der Politik ein mühsamer Erwerb einen dauernden Besitz."

Die Natur dieser gesellschaftlichen Kräfte und ihr verhältnißmäßiger Werth
für das Staatsleben wird sehr scharfsinnig analysirt. Dann geht der Versasser
ans das Repräsentativstem über (Seite 19). „Einen politisch giltigen Anspruch
ans Vertretung im Repräsentativstaat hat nicht das Recht, nicht das Interesse,
nicht die Zahl u. s. w., sondern immer nnr die Kraft, welche dem Recht, dem
Interesse, der Zahl u. s. w. innewohnt. Die Vertretung eines ohnmächtigen
Rechts wird immer ohnmächtig sein, und eine richtige Politik kann sie deshalb
niemals wollen. Dasselbe gilt von dem ohnmächtigen Interesse." — (Seite 21)
„Ist die Repräsentation nicht der richtige Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfte,
so muß das Repräsentativsystem nothwendigerweise zur Lüge werden, denn das
wirkliche Leben wird immer den Sieg davontragen über die ihm widersprechende
Formel, und wenn sie noch so feierlich in einer Verfassungsurkunde prangt."
(Seite 23) „Die Souveränetät ist ein Machtbegrifs, und wer sie als Rechts¬
begriff handhabt, der wird immer zu unhaltbaren Ergebnissen kommen. Souverän
ist der Inhaber der obersten Gewalt im Staate, hier der König, dort das Volk,
am dritten Ort die Aristokratie. Die Souveränetät ist keine, sozusagen eingeborne
Eigenschaft, so wenig des Königs, wie des Volks, und nnr dvctrinäre
Willkür mag sie für den einen oder für das audere ein für alle Mal in Anspruch
nehmen."

Vortrefflich ist die Kritik des von der historischen Schule, namentlich von
Stahl aufgestellten Revolntionsbegriffs. (Seite 31) „Revolution findet überall
statt, wo eine neue Thatsache gewaltsam eingreift in den jeweiligen staatlichen
Bestand, in die geltende Regel des öffentlichen Lebens.....Eine Thatsache
ist die Revolution und kein Princip, weder ein gutes, uoch ein böses. Aber auch
der staatliche Bestand, den die Revolution durchbricht, ist an und für sich lediglich
eine Thatsache ohne nothwendigen Zusammenhang mit irgend einem guten oder
bösen Princip. Das Recht, die Sittlichkeit, das Gemeinwohl können im Kampfe
jener beiden Thatsachen ans der einen oder auf der andern Seite sein; das
Urtheil über die Revolution gilt deshalb immer nur für den einzelnen Fall." —

Sehr schön spricht sich der Verfasser darüber aus, daß der Erfolg, so wichtig
er auch für das Urtheil über eine Revolution sein mag, nicht das einzige Kriterium
sein darf. (Seite 37) „Wo die unbedingte sittliche Pflicht befiehlt, wie wenn es
gilt, das Nationaldasein zu retten oder zu rächen, da kommt der Erfolg nicht
in Frage, sondern nur die Art und Weise der Vollziehung des Gebotes. Ein
solches Unternehmen verlangt zu seiner Rechtfertigung nichts, als den großen
Entschluß und die große That. Zaghaftigkeit freilich, kleinliche Mittel und halbe
Maßregeln schänden auch den heiligsten Zweck. Wenn aber Numantia, zu schwach,


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[0359] schlaffung mehr verloren werde, als im Paroxysmus gewonnen worden ist, Hingegen, wie in der Körperwelt ein langsames Wachsthum ein langes Leben verbürgt, so in der Politik ein mühsamer Erwerb einen dauernden Besitz." Die Natur dieser gesellschaftlichen Kräfte und ihr verhältnißmäßiger Werth für das Staatsleben wird sehr scharfsinnig analysirt. Dann geht der Versasser ans das Repräsentativstem über (Seite 19). „Einen politisch giltigen Anspruch ans Vertretung im Repräsentativstaat hat nicht das Recht, nicht das Interesse, nicht die Zahl u. s. w., sondern immer nnr die Kraft, welche dem Recht, dem Interesse, der Zahl u. s. w. innewohnt. Die Vertretung eines ohnmächtigen Rechts wird immer ohnmächtig sein, und eine richtige Politik kann sie deshalb niemals wollen. Dasselbe gilt von dem ohnmächtigen Interesse." — (Seite 21) „Ist die Repräsentation nicht der richtige Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfte, so muß das Repräsentativsystem nothwendigerweise zur Lüge werden, denn das wirkliche Leben wird immer den Sieg davontragen über die ihm widersprechende Formel, und wenn sie noch so feierlich in einer Verfassungsurkunde prangt." (Seite 23) „Die Souveränetät ist ein Machtbegrifs, und wer sie als Rechts¬ begriff handhabt, der wird immer zu unhaltbaren Ergebnissen kommen. Souverän ist der Inhaber der obersten Gewalt im Staate, hier der König, dort das Volk, am dritten Ort die Aristokratie. Die Souveränetät ist keine, sozusagen eingeborne Eigenschaft, so wenig des Königs, wie des Volks, und nnr dvctrinäre Willkür mag sie für den einen oder für das audere ein für alle Mal in Anspruch nehmen." Vortrefflich ist die Kritik des von der historischen Schule, namentlich von Stahl aufgestellten Revolntionsbegriffs. (Seite 31) „Revolution findet überall statt, wo eine neue Thatsache gewaltsam eingreift in den jeweiligen staatlichen Bestand, in die geltende Regel des öffentlichen Lebens.....Eine Thatsache ist die Revolution und kein Princip, weder ein gutes, uoch ein böses. Aber auch der staatliche Bestand, den die Revolution durchbricht, ist an und für sich lediglich eine Thatsache ohne nothwendigen Zusammenhang mit irgend einem guten oder bösen Princip. Das Recht, die Sittlichkeit, das Gemeinwohl können im Kampfe jener beiden Thatsachen ans der einen oder auf der andern Seite sein; das Urtheil über die Revolution gilt deshalb immer nur für den einzelnen Fall." — Sehr schön spricht sich der Verfasser darüber aus, daß der Erfolg, so wichtig er auch für das Urtheil über eine Revolution sein mag, nicht das einzige Kriterium sein darf. (Seite 37) „Wo die unbedingte sittliche Pflicht befiehlt, wie wenn es gilt, das Nationaldasein zu retten oder zu rächen, da kommt der Erfolg nicht in Frage, sondern nur die Art und Weise der Vollziehung des Gebotes. Ein solches Unternehmen verlangt zu seiner Rechtfertigung nichts, als den großen Entschluß und die große That. Zaghaftigkeit freilich, kleinliche Mittel und halbe Maßregeln schänden auch den heiligsten Zweck. Wenn aber Numantia, zu schwach, Grenzbote». III. 18V3. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/359>, abgerufen am 03.07.2024.