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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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wenn der Raub geschehen ist, einen Streifzug gegen ihn zu orgauistren, um mein
Eigenthum gewaltsam wieder zu erlangen, das ist ein Act, den der Staat nur
dann erlaubt, wenn er ihn vorher sanctionirt hat.

Indeß über diese Punkte mögen die Theologen und Juristen sich unterein¬
ander einigen; wir betrachten das Duell nur von der socialen Seite. Zunächst
müssen wir die mystischen Begriffe entfernen, die man hineinzulegen gesucht hat.
Mit den Gvttesurtheilen des Mittelalters hat das moderne Duell ganz und gar
nichts zu schaffen. Es fällt auch dem schwärmerischesten Ritter nicht mehr ein,
daß dnrch den Ausgang des Duells das Recht der Sache hergestellt werden
sollte. Das Duell ist vielmehr der letzte Ueberrest der germanischen Privatfehde,
die früher unter gewissen Beschränkungen das allgemeine Recht des freien
Mannes war.

In der Natur des Menschen liegt der Trieb, dessen Berechtigung wir nicht
näher erörtern wollen, dessen Vorhandensein aber niemand in Zweifel stellen
wird, für eine ihm zugefügte Beleidigung sich dadurch schadlos zu halten, daß er
dem Beleidiger wieder einen Schaden zufügt. Wo der Staat nun soweit mächtig
über die in ihm vereinigten Individualitäten wurde, denselben zwar nicht ihr
Eigenthum und ihr Leben, aber doch für die Verletzung derselben eine angemessene
Rache zu garantiren, hat er den Einzelnen die Ausübung der Rache untersagt
und sie selber übernommen. Während früher das Maß der Strafe, das den
Beleidiger treffen sollte, in der Willkür und in der Macht des Beleidigten lag,
hat der Staat für dieses Maß eine allgemeine Norm festgesetzt, indem er für
jedes Verbrechen dem Verbrecher soviel Schaden zufügte, als die öffentliche
Meinung für angemessen hielt. Nur in einem Punkt hat er der Meinung nicht
Genüge leisten können: in der Bestrafung der Ehrenkränkungcn. Er verfolgt
zwar diese Verbrechen, wenigstens in einzelnen Staaten, denn in andern ist die
Klage in diesem Fall Privatsache des Beleidigten, aber die Strafen, die er dafür
verhängt, sind nicht so ernst, als es die Meinung erfordern möchte. Der Staat
untersucht auch hier uur die materielle Seite der Beschädigung, für die ideelle
findet er keinen objectiven Maßstab, weil die öffentliche Meinung darüber mit
sich selbst nicht einig ist. Nicht nur die verschiedenen Stände weichen darin von¬
einander ab, sondern fast jedes Individuum bildet sich eine eigene Ansicht.
Daher geschieht es namentlich in Frankreich im Fall einer Selbsthilfe, die der
Rache für Ehrenkränkungen gilt, daß die Geschworenen ganz gegen die Natur
des modernen Rechrs ihren Ausspruch nicht dnrch den materiellen Thatbestand
bestimmen lassen, sondern dnrch den ideellen sittlichen Inhalt desselben, daß sie
strafen oder freisprechen, je nachdem sie mit den sittlichen Motiven des Angeklagten
einverstanden sind oder nicht.

Ein solches Schwanken in der öffentlichen Meinung tritt namentlich dann
ein, wenn die strenge Sonderung der Stände aufhört. Noch im vorigen Jahr--


wenn der Raub geschehen ist, einen Streifzug gegen ihn zu orgauistren, um mein
Eigenthum gewaltsam wieder zu erlangen, das ist ein Act, den der Staat nur
dann erlaubt, wenn er ihn vorher sanctionirt hat.

Indeß über diese Punkte mögen die Theologen und Juristen sich unterein¬
ander einigen; wir betrachten das Duell nur von der socialen Seite. Zunächst
müssen wir die mystischen Begriffe entfernen, die man hineinzulegen gesucht hat.
Mit den Gvttesurtheilen des Mittelalters hat das moderne Duell ganz und gar
nichts zu schaffen. Es fällt auch dem schwärmerischesten Ritter nicht mehr ein,
daß dnrch den Ausgang des Duells das Recht der Sache hergestellt werden
sollte. Das Duell ist vielmehr der letzte Ueberrest der germanischen Privatfehde,
die früher unter gewissen Beschränkungen das allgemeine Recht des freien
Mannes war.

In der Natur des Menschen liegt der Trieb, dessen Berechtigung wir nicht
näher erörtern wollen, dessen Vorhandensein aber niemand in Zweifel stellen
wird, für eine ihm zugefügte Beleidigung sich dadurch schadlos zu halten, daß er
dem Beleidiger wieder einen Schaden zufügt. Wo der Staat nun soweit mächtig
über die in ihm vereinigten Individualitäten wurde, denselben zwar nicht ihr
Eigenthum und ihr Leben, aber doch für die Verletzung derselben eine angemessene
Rache zu garantiren, hat er den Einzelnen die Ausübung der Rache untersagt
und sie selber übernommen. Während früher das Maß der Strafe, das den
Beleidiger treffen sollte, in der Willkür und in der Macht des Beleidigten lag,
hat der Staat für dieses Maß eine allgemeine Norm festgesetzt, indem er für
jedes Verbrechen dem Verbrecher soviel Schaden zufügte, als die öffentliche
Meinung für angemessen hielt. Nur in einem Punkt hat er der Meinung nicht
Genüge leisten können: in der Bestrafung der Ehrenkränkungcn. Er verfolgt
zwar diese Verbrechen, wenigstens in einzelnen Staaten, denn in andern ist die
Klage in diesem Fall Privatsache des Beleidigten, aber die Strafen, die er dafür
verhängt, sind nicht so ernst, als es die Meinung erfordern möchte. Der Staat
untersucht auch hier uur die materielle Seite der Beschädigung, für die ideelle
findet er keinen objectiven Maßstab, weil die öffentliche Meinung darüber mit
sich selbst nicht einig ist. Nicht nur die verschiedenen Stände weichen darin von¬
einander ab, sondern fast jedes Individuum bildet sich eine eigene Ansicht.
Daher geschieht es namentlich in Frankreich im Fall einer Selbsthilfe, die der
Rache für Ehrenkränkungen gilt, daß die Geschworenen ganz gegen die Natur
des modernen Rechrs ihren Ausspruch nicht dnrch den materiellen Thatbestand
bestimmen lassen, sondern dnrch den ideellen sittlichen Inhalt desselben, daß sie
strafen oder freisprechen, je nachdem sie mit den sittlichen Motiven des Angeklagten
einverstanden sind oder nicht.

Ein solches Schwanken in der öffentlichen Meinung tritt namentlich dann
ein, wenn die strenge Sonderung der Stände aufhört. Noch im vorigen Jahr--


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[0034] wenn der Raub geschehen ist, einen Streifzug gegen ihn zu orgauistren, um mein Eigenthum gewaltsam wieder zu erlangen, das ist ein Act, den der Staat nur dann erlaubt, wenn er ihn vorher sanctionirt hat. Indeß über diese Punkte mögen die Theologen und Juristen sich unterein¬ ander einigen; wir betrachten das Duell nur von der socialen Seite. Zunächst müssen wir die mystischen Begriffe entfernen, die man hineinzulegen gesucht hat. Mit den Gvttesurtheilen des Mittelalters hat das moderne Duell ganz und gar nichts zu schaffen. Es fällt auch dem schwärmerischesten Ritter nicht mehr ein, daß dnrch den Ausgang des Duells das Recht der Sache hergestellt werden sollte. Das Duell ist vielmehr der letzte Ueberrest der germanischen Privatfehde, die früher unter gewissen Beschränkungen das allgemeine Recht des freien Mannes war. In der Natur des Menschen liegt der Trieb, dessen Berechtigung wir nicht näher erörtern wollen, dessen Vorhandensein aber niemand in Zweifel stellen wird, für eine ihm zugefügte Beleidigung sich dadurch schadlos zu halten, daß er dem Beleidiger wieder einen Schaden zufügt. Wo der Staat nun soweit mächtig über die in ihm vereinigten Individualitäten wurde, denselben zwar nicht ihr Eigenthum und ihr Leben, aber doch für die Verletzung derselben eine angemessene Rache zu garantiren, hat er den Einzelnen die Ausübung der Rache untersagt und sie selber übernommen. Während früher das Maß der Strafe, das den Beleidiger treffen sollte, in der Willkür und in der Macht des Beleidigten lag, hat der Staat für dieses Maß eine allgemeine Norm festgesetzt, indem er für jedes Verbrechen dem Verbrecher soviel Schaden zufügte, als die öffentliche Meinung für angemessen hielt. Nur in einem Punkt hat er der Meinung nicht Genüge leisten können: in der Bestrafung der Ehrenkränkungcn. Er verfolgt zwar diese Verbrechen, wenigstens in einzelnen Staaten, denn in andern ist die Klage in diesem Fall Privatsache des Beleidigten, aber die Strafen, die er dafür verhängt, sind nicht so ernst, als es die Meinung erfordern möchte. Der Staat untersucht auch hier uur die materielle Seite der Beschädigung, für die ideelle findet er keinen objectiven Maßstab, weil die öffentliche Meinung darüber mit sich selbst nicht einig ist. Nicht nur die verschiedenen Stände weichen darin von¬ einander ab, sondern fast jedes Individuum bildet sich eine eigene Ansicht. Daher geschieht es namentlich in Frankreich im Fall einer Selbsthilfe, die der Rache für Ehrenkränkungen gilt, daß die Geschworenen ganz gegen die Natur des modernen Rechrs ihren Ausspruch nicht dnrch den materiellen Thatbestand bestimmen lassen, sondern dnrch den ideellen sittlichen Inhalt desselben, daß sie strafen oder freisprechen, je nachdem sie mit den sittlichen Motiven des Angeklagten einverstanden sind oder nicht. Ein solches Schwanken in der öffentlichen Meinung tritt namentlich dann ein, wenn die strenge Sonderung der Stände aufhört. Noch im vorigen Jahr--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/34>, abgerufen am 01.07.2024.