Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hundert wäre es ebensowenig einem Edelmann eingefallen, an der Nothwendig¬
keit des Duells unter Standesgenossen zu zweifeln, als es einem Bürger einge¬
fallen wäre, sich zu schlagen. Die Universitäten haben darin eine große Aenderung
eintreten lassen, da hier der Bürger seiner Sphäre wenigstens eine Zeitlang ent-
rückt wurde. Neuerdings hat sich die Idee der allgemeinen Gleichheit der
Menschen trotz alles Ankämpfens Vonseiten der- Reaction dagegen so fest ge¬
setzt, daß diese festen Unterschiede -vollständig verschwunden sind, und daß kein
Stand sich mehr des Einflusses der Meinung anderer Stände ganz erwehren kann.
Praktisch ist das freilich nur in Frankreich bis zur Vollständigkeit durchgeführt
worden, wo das gesammte Volk bis in die untersten Staude herab so mit den
adlig-ritterlichen Ideen erfüllt ist, daß jede Ehrenkränkung, die auch deu Geringsten
trifft, diesem das Recht gibt, von dem Höchsten Genugthuung zu fordern. Wenn
uns auch der Leichtsinn, mit dem man sich in Frankreich schlägt, und der theils
zu einem tragischen Ausgange bei unbedeutenden Veranlassungen, theils zu eiuer
abgeschmackten Komödie führt, nicht sehr erbaulich ist, so müssen wir doch in dem
Motiv dieses Verfahrens einen sehr schönen Zug des französischen National¬
charakters erkennen. Der Franzose hat keinen sehr entwickelten Sinn für den
sittlichen Inhalt des Rechts und Staatslebens, desto feiner ist seine Empfänglich¬
keit für die Aesthetik desselben, und wenn er sich auch leicht in die öffentlichen
Thatsachen findet, die ein Unrecht einschließen, so wahrt er doch in den socialen
Verhältnissen immer wenigstens die Aesthetik seiner persönlichen Integrität. Und
solange dieses Motiv danert, wird das Volk nie in gänzliche Unsittlichkeit
verfallen.

Bei den germanisch-protestantischen Völkern wird das Duell nie die Rolle
spielen, wie bei romanisch-katholischen. Der Grund liegt keineswegs in einem
Mangel an kriegerischen Gewohnheiten des ersteren, sondern in ihrer Neigung
zur'sittlichen Autonomie; auch in geringfügigen Dingen. Bei den Romanen ist es
hente noch wie vor 200 Jahren. Man vergleiche ein beliebiges nenfranzösisches
Lustspiel mit einem Stück von Calderon; in beiden ist die Herrschaft der öffent¬
lichen Meinung über die sittlichen Verhältnisse ganz unbedingt, zwar nicht in Be¬
ziehung auf die tieferen Bestimmungen der Sittlichkeit, aber auf die oberflächlichen
Formen derselben. Der Franzose von heute ist noch grade so bereit, wie der
Spanier des 17. Jahrhunderts, einen Zweikampf vorzunehmen, ohne allen Haß
und ohne alle Leidenschaft, blos weil es die Form so erfordert, und um dieser
Form willen allenfalls auch den besten Freund umzubringen. Die Herrschaft der
fixen Idee" macht es hier möglich, sich durch rein symbolische Motive bestimmen
zu lassen. Eine solche Trennung der formalen Pflicht von dem geistigen Inhalt
ist bei den germanischen Stämmen ganz undenkbar. Zwar wird z. B. bei den
Nordamerikanern mit dem Duell ein unerhörter Mißbrauch getrieben, aber hier
ist es nicht die aristokratisch-conventionelle Form des Duells, sondern der rohe


hundert wäre es ebensowenig einem Edelmann eingefallen, an der Nothwendig¬
keit des Duells unter Standesgenossen zu zweifeln, als es einem Bürger einge¬
fallen wäre, sich zu schlagen. Die Universitäten haben darin eine große Aenderung
eintreten lassen, da hier der Bürger seiner Sphäre wenigstens eine Zeitlang ent-
rückt wurde. Neuerdings hat sich die Idee der allgemeinen Gleichheit der
Menschen trotz alles Ankämpfens Vonseiten der- Reaction dagegen so fest ge¬
setzt, daß diese festen Unterschiede -vollständig verschwunden sind, und daß kein
Stand sich mehr des Einflusses der Meinung anderer Stände ganz erwehren kann.
Praktisch ist das freilich nur in Frankreich bis zur Vollständigkeit durchgeführt
worden, wo das gesammte Volk bis in die untersten Staude herab so mit den
adlig-ritterlichen Ideen erfüllt ist, daß jede Ehrenkränkung, die auch deu Geringsten
trifft, diesem das Recht gibt, von dem Höchsten Genugthuung zu fordern. Wenn
uns auch der Leichtsinn, mit dem man sich in Frankreich schlägt, und der theils
zu einem tragischen Ausgange bei unbedeutenden Veranlassungen, theils zu eiuer
abgeschmackten Komödie führt, nicht sehr erbaulich ist, so müssen wir doch in dem
Motiv dieses Verfahrens einen sehr schönen Zug des französischen National¬
charakters erkennen. Der Franzose hat keinen sehr entwickelten Sinn für den
sittlichen Inhalt des Rechts und Staatslebens, desto feiner ist seine Empfänglich¬
keit für die Aesthetik desselben, und wenn er sich auch leicht in die öffentlichen
Thatsachen findet, die ein Unrecht einschließen, so wahrt er doch in den socialen
Verhältnissen immer wenigstens die Aesthetik seiner persönlichen Integrität. Und
solange dieses Motiv danert, wird das Volk nie in gänzliche Unsittlichkeit
verfallen.

Bei den germanisch-protestantischen Völkern wird das Duell nie die Rolle
spielen, wie bei romanisch-katholischen. Der Grund liegt keineswegs in einem
Mangel an kriegerischen Gewohnheiten des ersteren, sondern in ihrer Neigung
zur'sittlichen Autonomie; auch in geringfügigen Dingen. Bei den Romanen ist es
hente noch wie vor 200 Jahren. Man vergleiche ein beliebiges nenfranzösisches
Lustspiel mit einem Stück von Calderon; in beiden ist die Herrschaft der öffent¬
lichen Meinung über die sittlichen Verhältnisse ganz unbedingt, zwar nicht in Be¬
ziehung auf die tieferen Bestimmungen der Sittlichkeit, aber auf die oberflächlichen
Formen derselben. Der Franzose von heute ist noch grade so bereit, wie der
Spanier des 17. Jahrhunderts, einen Zweikampf vorzunehmen, ohne allen Haß
und ohne alle Leidenschaft, blos weil es die Form so erfordert, und um dieser
Form willen allenfalls auch den besten Freund umzubringen. Die Herrschaft der
fixen Idee» macht es hier möglich, sich durch rein symbolische Motive bestimmen
zu lassen. Eine solche Trennung der formalen Pflicht von dem geistigen Inhalt
ist bei den germanischen Stämmen ganz undenkbar. Zwar wird z. B. bei den
Nordamerikanern mit dem Duell ein unerhörter Mißbrauch getrieben, aber hier
ist es nicht die aristokratisch-conventionelle Form des Duells, sondern der rohe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96210"/>
          <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> hundert wäre es ebensowenig einem Edelmann eingefallen, an der Nothwendig¬<lb/>
keit des Duells unter Standesgenossen zu zweifeln, als es einem Bürger einge¬<lb/>
fallen wäre, sich zu schlagen. Die Universitäten haben darin eine große Aenderung<lb/>
eintreten lassen, da hier der Bürger seiner Sphäre wenigstens eine Zeitlang ent-<lb/>
rückt wurde. Neuerdings hat sich die Idee der allgemeinen Gleichheit der<lb/>
Menschen trotz alles Ankämpfens Vonseiten der- Reaction dagegen so fest ge¬<lb/>
setzt, daß diese festen Unterschiede -vollständig verschwunden sind, und daß kein<lb/>
Stand sich mehr des Einflusses der Meinung anderer Stände ganz erwehren kann.<lb/>
Praktisch ist das freilich nur in Frankreich bis zur Vollständigkeit durchgeführt<lb/>
worden, wo das gesammte Volk bis in die untersten Staude herab so mit den<lb/>
adlig-ritterlichen Ideen erfüllt ist, daß jede Ehrenkränkung, die auch deu Geringsten<lb/>
trifft, diesem das Recht gibt, von dem Höchsten Genugthuung zu fordern. Wenn<lb/>
uns auch der Leichtsinn, mit dem man sich in Frankreich schlägt, und der theils<lb/>
zu einem tragischen Ausgange bei unbedeutenden Veranlassungen, theils zu eiuer<lb/>
abgeschmackten Komödie führt, nicht sehr erbaulich ist, so müssen wir doch in dem<lb/>
Motiv dieses Verfahrens einen sehr schönen Zug des französischen National¬<lb/>
charakters erkennen. Der Franzose hat keinen sehr entwickelten Sinn für den<lb/>
sittlichen Inhalt des Rechts und Staatslebens, desto feiner ist seine Empfänglich¬<lb/>
keit für die Aesthetik desselben, und wenn er sich auch leicht in die öffentlichen<lb/>
Thatsachen findet, die ein Unrecht einschließen, so wahrt er doch in den socialen<lb/>
Verhältnissen immer wenigstens die Aesthetik seiner persönlichen Integrität. Und<lb/>
solange dieses Motiv danert, wird das Volk nie in gänzliche Unsittlichkeit<lb/>
verfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Bei den germanisch-protestantischen Völkern wird das Duell nie die Rolle<lb/>
spielen, wie bei romanisch-katholischen. Der Grund liegt keineswegs in einem<lb/>
Mangel an kriegerischen Gewohnheiten des ersteren, sondern in ihrer Neigung<lb/>
zur'sittlichen Autonomie; auch in geringfügigen Dingen. Bei den Romanen ist es<lb/>
hente noch wie vor 200 Jahren. Man vergleiche ein beliebiges nenfranzösisches<lb/>
Lustspiel mit einem Stück von Calderon; in beiden ist die Herrschaft der öffent¬<lb/>
lichen Meinung über die sittlichen Verhältnisse ganz unbedingt, zwar nicht in Be¬<lb/>
ziehung auf die tieferen Bestimmungen der Sittlichkeit, aber auf die oberflächlichen<lb/>
Formen derselben. Der Franzose von heute ist noch grade so bereit, wie der<lb/>
Spanier des 17. Jahrhunderts, einen Zweikampf vorzunehmen, ohne allen Haß<lb/>
und ohne alle Leidenschaft, blos weil es die Form so erfordert, und um dieser<lb/>
Form willen allenfalls auch den besten Freund umzubringen. Die Herrschaft der<lb/>
fixen Idee» macht es hier möglich, sich durch rein symbolische Motive bestimmen<lb/>
zu lassen. Eine solche Trennung der formalen Pflicht von dem geistigen Inhalt<lb/>
ist bei den germanischen Stämmen ganz undenkbar. Zwar wird z. B. bei den<lb/>
Nordamerikanern mit dem Duell ein unerhörter Mißbrauch getrieben, aber hier<lb/>
ist es nicht die aristokratisch-conventionelle Form des Duells, sondern der rohe</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] hundert wäre es ebensowenig einem Edelmann eingefallen, an der Nothwendig¬ keit des Duells unter Standesgenossen zu zweifeln, als es einem Bürger einge¬ fallen wäre, sich zu schlagen. Die Universitäten haben darin eine große Aenderung eintreten lassen, da hier der Bürger seiner Sphäre wenigstens eine Zeitlang ent- rückt wurde. Neuerdings hat sich die Idee der allgemeinen Gleichheit der Menschen trotz alles Ankämpfens Vonseiten der- Reaction dagegen so fest ge¬ setzt, daß diese festen Unterschiede -vollständig verschwunden sind, und daß kein Stand sich mehr des Einflusses der Meinung anderer Stände ganz erwehren kann. Praktisch ist das freilich nur in Frankreich bis zur Vollständigkeit durchgeführt worden, wo das gesammte Volk bis in die untersten Staude herab so mit den adlig-ritterlichen Ideen erfüllt ist, daß jede Ehrenkränkung, die auch deu Geringsten trifft, diesem das Recht gibt, von dem Höchsten Genugthuung zu fordern. Wenn uns auch der Leichtsinn, mit dem man sich in Frankreich schlägt, und der theils zu einem tragischen Ausgange bei unbedeutenden Veranlassungen, theils zu eiuer abgeschmackten Komödie führt, nicht sehr erbaulich ist, so müssen wir doch in dem Motiv dieses Verfahrens einen sehr schönen Zug des französischen National¬ charakters erkennen. Der Franzose hat keinen sehr entwickelten Sinn für den sittlichen Inhalt des Rechts und Staatslebens, desto feiner ist seine Empfänglich¬ keit für die Aesthetik desselben, und wenn er sich auch leicht in die öffentlichen Thatsachen findet, die ein Unrecht einschließen, so wahrt er doch in den socialen Verhältnissen immer wenigstens die Aesthetik seiner persönlichen Integrität. Und solange dieses Motiv danert, wird das Volk nie in gänzliche Unsittlichkeit verfallen. Bei den germanisch-protestantischen Völkern wird das Duell nie die Rolle spielen, wie bei romanisch-katholischen. Der Grund liegt keineswegs in einem Mangel an kriegerischen Gewohnheiten des ersteren, sondern in ihrer Neigung zur'sittlichen Autonomie; auch in geringfügigen Dingen. Bei den Romanen ist es hente noch wie vor 200 Jahren. Man vergleiche ein beliebiges nenfranzösisches Lustspiel mit einem Stück von Calderon; in beiden ist die Herrschaft der öffent¬ lichen Meinung über die sittlichen Verhältnisse ganz unbedingt, zwar nicht in Be¬ ziehung auf die tieferen Bestimmungen der Sittlichkeit, aber auf die oberflächlichen Formen derselben. Der Franzose von heute ist noch grade so bereit, wie der Spanier des 17. Jahrhunderts, einen Zweikampf vorzunehmen, ohne allen Haß und ohne alle Leidenschaft, blos weil es die Form so erfordert, und um dieser Form willen allenfalls auch den besten Freund umzubringen. Die Herrschaft der fixen Idee» macht es hier möglich, sich durch rein symbolische Motive bestimmen zu lassen. Eine solche Trennung der formalen Pflicht von dem geistigen Inhalt ist bei den germanischen Stämmen ganz undenkbar. Zwar wird z. B. bei den Nordamerikanern mit dem Duell ein unerhörter Mißbrauch getrieben, aber hier ist es nicht die aristokratisch-conventionelle Form des Duells, sondern der rohe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/35>, abgerufen am 29.06.2024.