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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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zum Theil ungeschickten und gefährlichen Versuche wenigstens nicht zu hemmen,
der politischen Verkommenheit dieses Landes abzuhelfen, und die italienischen
Staaten in den Reformen zu ermuthigen, welche allein dem sonst ewigen revolu¬
tionären Zustand der Halbinsel ein Ende machen können. Oder hätte es sich für
die milde Herrschaft des Königs von Neapel, für die fleckenlose und geordnete
Verwaltung des Kirchenstaates, für die aufgeklärte Regierung des Herzogs vou
Modena interessiren sollen? Hinsichtlich Sardiniens hat es weiter nichts gethan,
als einer Vergrößerung Sardiniens das Wort zu reden, als das östreichische Mi¬
nisterium das Mailändische vom Ticino bis zum Mincio zu opfern sich erbot.
Hätte es etwa für eine Mazzinische Republik in Mailand sich verwenden sollen?
Die Einrichtung eines größern selbstständigen Staates in Norditalien ist ein euro¬
päisches Bedürfniß, obgleich gegen Oestreichs falsch verstandenes Interesse. Wenn
ein östreichisches Ministerium sich dazu willig findet, begeht dann ein anderer
Staat ein Verbrechen, wenn er daraus eingeht?

Die Oestreicher haben also keinen besondern Grund, sich über England zu
beschweren, außer dem, daß Engländer, wie viele andere Leute, einem vom Kriegs¬
gesetze regierten Lande keinen besondern Geschmack abgewinnen können, noch we¬
niger aber haben sie Grund zu behaupten, daß sie Englands Interesse schützten,
wenn sie sich Rußlands Ansprüchen in der orientalischen Angelegenheit widersetzten.
Englands Interessen im Orient sind von großem Belange, aber sie sind von
Rußland nicht unmittelbar bedroht. Oestreich dagegen, wenn es das schwarze Meer
und die Donaumündnngen ganz in Rußlands Macht fallen läßt, verliert die haupt¬
sächliche Bedeutung, die es überhaupt für Deutschland beanspruchen kauu: in politi¬
scher Hinsicht ein Damm gegen den Slavismus, und in merkantilischer Hinsicht
der Vermittler des Handels Deutschlands mit dem Orient zu sein. Diese Be¬
deutung Oestreichs für Deutschland ist allerdings nicht ganz so groß, als sie dargestellt
wird, wenn man Oestreichs Einfluß auf Deutschland ausdehnen will, aber immer
noch groß genug, um des ErHaltens werth zu sein. Wenn daher Oestreich
im Orient Rußland freien Lauf läßt, so spielt es nicht einem treulosen Freund
einen Schabernack, sondern wühlt in seinem eignen Fleisch und gibt seiner poli¬
tischen Bedeutung den empfindlichsten Stoß. Es läßt allerdings nicht den Einfluß
Englands oder der Großmächte zur alleinigen Geltung gelangen, aber es macht
seinem eignen Einfluß in Konstantinopel vollständig ein Ende, der seine
Stellung als europäische und deutsche Großmacht hauptsächlich begründet.

Einer der obenerwähnten östreichischen Publicisten warnt Deutschland vor
Englands Freundschaft, weil es Deutschland in der Schleswig-holsteinischen Sache
im Stich gelassen. Diese Behauptung -- grade aus der Feder eines Oestreichers --
ist sonderbar, denn man weiß, daß Lord Palmerston eine Theilung Schleswigs und
gänzliche Trennung von Dänemark vorschlug -- gewiß ein sehr annehmbarer
Vorschlag, wenn man 1848 in Deutschland praktischer in der Politik gewesen


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zum Theil ungeschickten und gefährlichen Versuche wenigstens nicht zu hemmen,
der politischen Verkommenheit dieses Landes abzuhelfen, und die italienischen
Staaten in den Reformen zu ermuthigen, welche allein dem sonst ewigen revolu¬
tionären Zustand der Halbinsel ein Ende machen können. Oder hätte es sich für
die milde Herrschaft des Königs von Neapel, für die fleckenlose und geordnete
Verwaltung des Kirchenstaates, für die aufgeklärte Regierung des Herzogs vou
Modena interessiren sollen? Hinsichtlich Sardiniens hat es weiter nichts gethan,
als einer Vergrößerung Sardiniens das Wort zu reden, als das östreichische Mi¬
nisterium das Mailändische vom Ticino bis zum Mincio zu opfern sich erbot.
Hätte es etwa für eine Mazzinische Republik in Mailand sich verwenden sollen?
Die Einrichtung eines größern selbstständigen Staates in Norditalien ist ein euro¬
päisches Bedürfniß, obgleich gegen Oestreichs falsch verstandenes Interesse. Wenn
ein östreichisches Ministerium sich dazu willig findet, begeht dann ein anderer
Staat ein Verbrechen, wenn er daraus eingeht?

Die Oestreicher haben also keinen besondern Grund, sich über England zu
beschweren, außer dem, daß Engländer, wie viele andere Leute, einem vom Kriegs¬
gesetze regierten Lande keinen besondern Geschmack abgewinnen können, noch we¬
niger aber haben sie Grund zu behaupten, daß sie Englands Interesse schützten,
wenn sie sich Rußlands Ansprüchen in der orientalischen Angelegenheit widersetzten.
Englands Interessen im Orient sind von großem Belange, aber sie sind von
Rußland nicht unmittelbar bedroht. Oestreich dagegen, wenn es das schwarze Meer
und die Donaumündnngen ganz in Rußlands Macht fallen läßt, verliert die haupt¬
sächliche Bedeutung, die es überhaupt für Deutschland beanspruchen kauu: in politi¬
scher Hinsicht ein Damm gegen den Slavismus, und in merkantilischer Hinsicht
der Vermittler des Handels Deutschlands mit dem Orient zu sein. Diese Be¬
deutung Oestreichs für Deutschland ist allerdings nicht ganz so groß, als sie dargestellt
wird, wenn man Oestreichs Einfluß auf Deutschland ausdehnen will, aber immer
noch groß genug, um des ErHaltens werth zu sein. Wenn daher Oestreich
im Orient Rußland freien Lauf läßt, so spielt es nicht einem treulosen Freund
einen Schabernack, sondern wühlt in seinem eignen Fleisch und gibt seiner poli¬
tischen Bedeutung den empfindlichsten Stoß. Es läßt allerdings nicht den Einfluß
Englands oder der Großmächte zur alleinigen Geltung gelangen, aber es macht
seinem eignen Einfluß in Konstantinopel vollständig ein Ende, der seine
Stellung als europäische und deutsche Großmacht hauptsächlich begründet.

Einer der obenerwähnten östreichischen Publicisten warnt Deutschland vor
Englands Freundschaft, weil es Deutschland in der Schleswig-holsteinischen Sache
im Stich gelassen. Diese Behauptung — grade aus der Feder eines Oestreichers —
ist sonderbar, denn man weiß, daß Lord Palmerston eine Theilung Schleswigs und
gänzliche Trennung von Dänemark vorschlug — gewiß ein sehr annehmbarer
Vorschlag, wenn man 1848 in Deutschland praktischer in der Politik gewesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/281>, abgerufen am 03.07.2024.