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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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war da, aber da die staatlichen Verhälnisse zu kleinlich und beschränkt und da¬
durch durchaus nicht zur Entwickelung eines gesunden patriotischen Gefühls ge¬
eignet waren, so schuf man sich ein Deutschland in der Idee, daS keinen realen
Boden und daher auch keine politischen Interessen hatte, dem man aber mit
großer Begeisterung und großer Aufrichtigkeit zugethan war. So sehen wir hier
das seltsame Schauspiel eines Nationalgefühls ohne positiven Inhalt, das auf
künstlicheren Wege entstanden war, als seine natürliche Grundlage, ein Staat,
der groß genug ist, um den politischen Bedürfnissen eines civilisirten Volks
genügen zu können. Bei diesem Mangel an positivem Inhalt mußte sich die
negative Seite dieses Deutschthums, die Abneigung gegen fremdes, besonders
stark ausbilden, und da die Väter mit den Franzosen nicht unrühmlich -- was
die militärische Ehre betrifft -- gefochten und geblutet hatten--und die Söhne
die Lehren der Napoleonistischen Publicisten mit der Muttermilch eingesogen hatten,
so richtet sich natürlich die Abneigung gegen das perfide Albion, und die süd¬
deutschen Blätter sprechen darüber trotz dem leidenschaftlichen Pariser Kaffeehaus¬
philister.

Wir haben mit dieser Abschweifung unsern süddeutschen Brüdern nicht weh
thun, sondern nur auf ein merkwürdiges Phänomen der politischen Psychologie,
wenn wir uns diesen Ausdruck erlaube" dürfen, aufmerksem machen wollen.
Wenden wir uns jetzt wieder zu den östreichischen Publicisten. Was sind die
Beschwerden Oestreichs gegen England? Die krankhaften Träume conservativer
Angstseelen von Palmerstonischen Verschwörungen sind zu lächerlich, um ein Wort
der Widerlegung zu verdienen; die Beschwerden beschränken sich also darauf, daß
England mit Ungarn und Sardinien oder der italienischen Revolution sympathisirt
habe. Wir schwärmen nun keineswegs für ein selbstständiges Magyarenreich und
haben uns über die Siege der östreichischen Waffen in Italien seiner Zeit auf¬
richtig gefreut, obgleich wir sehr wünschten, es hätte einen großmüthigem Ge¬
brauch davon gemacht. Aber zwischen einem selbstständigen Magyarenreich und
der Erhaltung der feierlich beschworenen Verfassung Ungarns, mit der dieses
Land Oestreich eine sichere Stütze in allen Gefahren und eine reiche Quelle an
Kräften aller Art war, ist noch ein großer Unterschied, und wir glauben selbst,
ein guter Oestreicher könnte den ehemaligen Zustand, wo die ungarische Armee
ein Hort Oestreichs war, während bei zukünftigen Erschütterungen möglicherweise
die ungarische Armee eine andere Armee zur Bewachung bedürfen würde,
zurückwünschen. Daß man in dem freien England sich für ein Volk interessirte,
das sich den mäßigen Theil Freiheit, den es besaß, zu retten versuchte, kann
keinem Vernünftigen Wunder nehmen; aber über die Theilnahme ist man nicht
hinausgegangen, und die englische Regierung hat nicht das mindeste gethan, den
Aufstand der Magyaren zu ermuthigen. Was das Benehmen Englands in Italien
betrifft, so lag es nicht blos in seinem, sondern in Europas Interesse, die


war da, aber da die staatlichen Verhälnisse zu kleinlich und beschränkt und da¬
durch durchaus nicht zur Entwickelung eines gesunden patriotischen Gefühls ge¬
eignet waren, so schuf man sich ein Deutschland in der Idee, daS keinen realen
Boden und daher auch keine politischen Interessen hatte, dem man aber mit
großer Begeisterung und großer Aufrichtigkeit zugethan war. So sehen wir hier
das seltsame Schauspiel eines Nationalgefühls ohne positiven Inhalt, das auf
künstlicheren Wege entstanden war, als seine natürliche Grundlage, ein Staat,
der groß genug ist, um den politischen Bedürfnissen eines civilisirten Volks
genügen zu können. Bei diesem Mangel an positivem Inhalt mußte sich die
negative Seite dieses Deutschthums, die Abneigung gegen fremdes, besonders
stark ausbilden, und da die Väter mit den Franzosen nicht unrühmlich — was
die militärische Ehre betrifft — gefochten und geblutet hatten—und die Söhne
die Lehren der Napoleonistischen Publicisten mit der Muttermilch eingesogen hatten,
so richtet sich natürlich die Abneigung gegen das perfide Albion, und die süd¬
deutschen Blätter sprechen darüber trotz dem leidenschaftlichen Pariser Kaffeehaus¬
philister.

Wir haben mit dieser Abschweifung unsern süddeutschen Brüdern nicht weh
thun, sondern nur auf ein merkwürdiges Phänomen der politischen Psychologie,
wenn wir uns diesen Ausdruck erlaube« dürfen, aufmerksem machen wollen.
Wenden wir uns jetzt wieder zu den östreichischen Publicisten. Was sind die
Beschwerden Oestreichs gegen England? Die krankhaften Träume conservativer
Angstseelen von Palmerstonischen Verschwörungen sind zu lächerlich, um ein Wort
der Widerlegung zu verdienen; die Beschwerden beschränken sich also darauf, daß
England mit Ungarn und Sardinien oder der italienischen Revolution sympathisirt
habe. Wir schwärmen nun keineswegs für ein selbstständiges Magyarenreich und
haben uns über die Siege der östreichischen Waffen in Italien seiner Zeit auf¬
richtig gefreut, obgleich wir sehr wünschten, es hätte einen großmüthigem Ge¬
brauch davon gemacht. Aber zwischen einem selbstständigen Magyarenreich und
der Erhaltung der feierlich beschworenen Verfassung Ungarns, mit der dieses
Land Oestreich eine sichere Stütze in allen Gefahren und eine reiche Quelle an
Kräften aller Art war, ist noch ein großer Unterschied, und wir glauben selbst,
ein guter Oestreicher könnte den ehemaligen Zustand, wo die ungarische Armee
ein Hort Oestreichs war, während bei zukünftigen Erschütterungen möglicherweise
die ungarische Armee eine andere Armee zur Bewachung bedürfen würde,
zurückwünschen. Daß man in dem freien England sich für ein Volk interessirte,
das sich den mäßigen Theil Freiheit, den es besaß, zu retten versuchte, kann
keinem Vernünftigen Wunder nehmen; aber über die Theilnahme ist man nicht
hinausgegangen, und die englische Regierung hat nicht das mindeste gethan, den
Aufstand der Magyaren zu ermuthigen. Was das Benehmen Englands in Italien
betrifft, so lag es nicht blos in seinem, sondern in Europas Interesse, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/280>, abgerufen am 03.07.2024.