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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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wäre, -- und daß er erst auf Dänemarks Seite trat, als er sah, daß Preußen in
Deutschland ganz allein stand, und daß die andre deutsche Macht, Oestreich, in
dieser deutschen Sache entschieden sür Dänemark Partei nahm, aus Besorgnis),
daß das vorgeschlagene Arrangement den Einfluß Preußens in Norddeutschland
vermehren würde. Hätte sich damals, wie es noch heute möglich, wünschenswert!)
und nothwendig ist, eine enge Allianz zwischen England, Oestreich und Preußen
gebildet, um dem Einfluß Rußlands entgegenzutreten, so wären wir schon damals
weiter gekommen.




Wochenbericht.
Mtnsik.

-- Der längst erwartete französische Tenor Roger trat am Dienstage
(3. Aug.) das erste Mal als Georg Brown in der weißen Dame auf. Es ist nicht
möglich, nach dieser ersten Vorstellung ein bestimmtes Urtheil zu geben und später erst
werden wir ausführlicher berichten. Der Eindruck, der im allgemeinen im Publicum
geblieben, ist ein sehr günstiger zu nennen, obwol nicht geleugnet werden darf, daß die
Erwartungen nicht in jeder Hinsicht befriedigt wurden, oder vielmehr, daß die Vorstel¬
lungen, die man sich über sein künstlerisches Wesen gemacht hatte, andrer Art waren,
als sie von ihm selbst realisirt wurden. Rogers Stimme ist immer noch klangvoll, aber
nicht mehr frisch; die tiefen Töne und die Bruststimme erklingen kraftvoll und ohne
heiseren Athemzug, deshalb machten besonders getragene Cantilenen einen wohlthuenden
Eindruck. In nicht immer angenehmem Gegensatze steht das Falset, das schwach und
heiser erscheint und am meisten dann ungünstig wirkt, wenn er getragene, langsamere
Melodiephrasen aus der Bruststimme in die Kopftöne überführt. Ein Zeugniß seiner
Meisterschaft aber legt er dann ab, wenn er in schnellflicgender Koloratur und in her¬
abgehender Tonleiterfigur mit Hellem Tone die Register verbindet. Er zeigt dann die
höchste Eleganz und sang oft Verzierungen, die wegen ihrer Geläufigkeit und ihres guten
Geschmacks imponirten. Die musikalische Ausführung erschien oft befremdend. Man
erwartete von dem Franzosen ein lebhafteres Acccntuiren, schnellere Tempi; aber diese
Eigenschaften zeigte er nur an einzelnen Stellen, sonst herrschte ein gewisses bequemes
Tragen vor und eine Willkürlichkeit in der Taktbeweguug, die das Ensemble oft in un¬
angenehme Schwankungen versetzte. Viele Tempi faßte Roger gegen die bei uns gewohnte
Weise aus; vielleicht gab er die getreue französische Auffassung, die Pariser Tradition.
Es läßt sich dagegen nicht streiten, aber das wagen wir auszusprechen, daß Tichatschccks
Georg Brown uns lustiger, .unbesorgter und jugendlicher erschienen ist, daß er eher
aussah wie ein thörichter junger Mann, der sich wol eines Weibes wegen zu einer Un¬
vorsichtigkeit hinreißen lassen konnte. Die fremde Sprache hat gewiß in einzelnen Fällen
zu den oft bemerkbaren Schwerfälligkeiten mit beigetragen und das so häufige Ziehen
und Dehnen wirkte eben darum auffälliger. Als Virtuos in Gesang und Darstellung


wäre, — und daß er erst auf Dänemarks Seite trat, als er sah, daß Preußen in
Deutschland ganz allein stand, und daß die andre deutsche Macht, Oestreich, in
dieser deutschen Sache entschieden sür Dänemark Partei nahm, aus Besorgnis),
daß das vorgeschlagene Arrangement den Einfluß Preußens in Norddeutschland
vermehren würde. Hätte sich damals, wie es noch heute möglich, wünschenswert!)
und nothwendig ist, eine enge Allianz zwischen England, Oestreich und Preußen
gebildet, um dem Einfluß Rußlands entgegenzutreten, so wären wir schon damals
weiter gekommen.




Wochenbericht.
Mtnsik.

— Der längst erwartete französische Tenor Roger trat am Dienstage
(3. Aug.) das erste Mal als Georg Brown in der weißen Dame auf. Es ist nicht
möglich, nach dieser ersten Vorstellung ein bestimmtes Urtheil zu geben und später erst
werden wir ausführlicher berichten. Der Eindruck, der im allgemeinen im Publicum
geblieben, ist ein sehr günstiger zu nennen, obwol nicht geleugnet werden darf, daß die
Erwartungen nicht in jeder Hinsicht befriedigt wurden, oder vielmehr, daß die Vorstel¬
lungen, die man sich über sein künstlerisches Wesen gemacht hatte, andrer Art waren,
als sie von ihm selbst realisirt wurden. Rogers Stimme ist immer noch klangvoll, aber
nicht mehr frisch; die tiefen Töne und die Bruststimme erklingen kraftvoll und ohne
heiseren Athemzug, deshalb machten besonders getragene Cantilenen einen wohlthuenden
Eindruck. In nicht immer angenehmem Gegensatze steht das Falset, das schwach und
heiser erscheint und am meisten dann ungünstig wirkt, wenn er getragene, langsamere
Melodiephrasen aus der Bruststimme in die Kopftöne überführt. Ein Zeugniß seiner
Meisterschaft aber legt er dann ab, wenn er in schnellflicgender Koloratur und in her¬
abgehender Tonleiterfigur mit Hellem Tone die Register verbindet. Er zeigt dann die
höchste Eleganz und sang oft Verzierungen, die wegen ihrer Geläufigkeit und ihres guten
Geschmacks imponirten. Die musikalische Ausführung erschien oft befremdend. Man
erwartete von dem Franzosen ein lebhafteres Acccntuiren, schnellere Tempi; aber diese
Eigenschaften zeigte er nur an einzelnen Stellen, sonst herrschte ein gewisses bequemes
Tragen vor und eine Willkürlichkeit in der Taktbeweguug, die das Ensemble oft in un¬
angenehme Schwankungen versetzte. Viele Tempi faßte Roger gegen die bei uns gewohnte
Weise aus; vielleicht gab er die getreue französische Auffassung, die Pariser Tradition.
Es läßt sich dagegen nicht streiten, aber das wagen wir auszusprechen, daß Tichatschccks
Georg Brown uns lustiger, .unbesorgter und jugendlicher erschienen ist, daß er eher
aussah wie ein thörichter junger Mann, der sich wol eines Weibes wegen zu einer Un¬
vorsichtigkeit hinreißen lassen konnte. Die fremde Sprache hat gewiß in einzelnen Fällen
zu den oft bemerkbaren Schwerfälligkeiten mit beigetragen und das so häufige Ziehen
und Dehnen wirkte eben darum auffälliger. Als Virtuos in Gesang und Darstellung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/282>, abgerufen am 01.07.2024.