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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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danken vertieft, daß er ging, ohne sich hinter seinem Fächer Schutz zu suchen.
Ich redete ihn an und indem ich einen Blick ans seinen langen Zopf warf, der
sich majestätisch auf seinem Rücken wiegte, sagte ich ihm scherzend:

-- Nun Freund Lo-se, das wäre nun eine unnütze Zier geworden, wir
werden diese elegante Ueberflüssigkeit bald abschneiden müssen.

Zu meinem großen Erstaunen war der Doctor über meine Zumuthung gar
nicht empört, die, ihn sonst schäumen gemacht hätte, er sah mich resignirt an, ohne
ein Wort hervorzubringen.

-- Was ist Ihnen denn? fragte ich ihn.

-- Nichts, war die lakonische Antwort.

Er blieb einen Augenblick stumm, dann fügte er hinzu:
-- Haben Sie einen Augenblick Zeit?

-- Ja wol.

-- Dann kommen Sie mit mir.

Wir wandten uns, ohne ein Wort zu wechseln, nach dem Handlungshause
seines Vaters. Auf der Schwelle des Ladens angekommen, verbeugte sich Lo-se
als wohlerzogener Chinese vor dem kleinen Idole, das links vom Eingange steht
und wir stiegen ins erste Stockwerk. Hier durchspähte mein Führer das Gemach,
ging ringsumher und schloß endlich die Thüre ab. Nach diesen Vorbereitungen
bückte er sich vor einer kleinen Alcove und zog ein vergilbtes und halb von Wür¬
mern zerfressenes Buch hervor.

-- Was ist das? fragte ich ihn dringend.

-- Dieses, antwortete er mit feierlichem Tone, ist die Zukunft!

-- Teufel! rief ich aus, haben Sie es theuer bezahlt?

Ein ernster Chinese ist eine Seltenheit, aber ein betrübter Chinese ist ein
Phänomen, urtheilen Sie über mein Erstaunen, als der Doctor mir ohne Lachen
antwortete:

-- Es hat mich noch nichts gekostet, aber es konnte mir das Leben kosten
-- es wäre besser, wenn die weißen Ameisen diese Reliquie ganz zerfressen hät¬
ten! Dieses Buch ist das Buch der Weissagungen, es wurde von einem Sohne
unter der mongolischen Dynastie der Anm verfaßt, es ist bei Todesstrafe ver¬
boten, es zu besitzen, denn es enthält in allegorischer Form die zukünftige Ge¬
schichte unseres Reiches."

Lo-se wandte einige Blätter um und fügte hinzu:

-- Sie sehen diese drei Seiten hier -- sie beziehen sich auf die Throufolge.

Ich durchlief das Buch; es enthielt einige uncolorirte Bilder, sehr wenig
interessant, die Kunst, selbst die chinesische, anbelangend und ich gab es Lo-se zu¬
rück, ohne irgend eine Bemerkung zu machen.

-- Nun, sagte der Doctor, was halten Sie davon?

-- Ich sage gar nichts, denn ich habe nichts verstanden.


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danken vertieft, daß er ging, ohne sich hinter seinem Fächer Schutz zu suchen.
Ich redete ihn an und indem ich einen Blick ans seinen langen Zopf warf, der
sich majestätisch auf seinem Rücken wiegte, sagte ich ihm scherzend:

— Nun Freund Lo-se, das wäre nun eine unnütze Zier geworden, wir
werden diese elegante Ueberflüssigkeit bald abschneiden müssen.

Zu meinem großen Erstaunen war der Doctor über meine Zumuthung gar
nicht empört, die, ihn sonst schäumen gemacht hätte, er sah mich resignirt an, ohne
ein Wort hervorzubringen.

— Was ist Ihnen denn? fragte ich ihn.

— Nichts, war die lakonische Antwort.

Er blieb einen Augenblick stumm, dann fügte er hinzu:
— Haben Sie einen Augenblick Zeit?

— Ja wol.

— Dann kommen Sie mit mir.

Wir wandten uns, ohne ein Wort zu wechseln, nach dem Handlungshause
seines Vaters. Auf der Schwelle des Ladens angekommen, verbeugte sich Lo-se
als wohlerzogener Chinese vor dem kleinen Idole, das links vom Eingange steht
und wir stiegen ins erste Stockwerk. Hier durchspähte mein Führer das Gemach,
ging ringsumher und schloß endlich die Thüre ab. Nach diesen Vorbereitungen
bückte er sich vor einer kleinen Alcove und zog ein vergilbtes und halb von Wür¬
mern zerfressenes Buch hervor.

— Was ist das? fragte ich ihn dringend.

— Dieses, antwortete er mit feierlichem Tone, ist die Zukunft!

— Teufel! rief ich aus, haben Sie es theuer bezahlt?

Ein ernster Chinese ist eine Seltenheit, aber ein betrübter Chinese ist ein
Phänomen, urtheilen Sie über mein Erstaunen, als der Doctor mir ohne Lachen
antwortete:

— Es hat mich noch nichts gekostet, aber es konnte mir das Leben kosten
— es wäre besser, wenn die weißen Ameisen diese Reliquie ganz zerfressen hät¬
ten! Dieses Buch ist das Buch der Weissagungen, es wurde von einem Sohne
unter der mongolischen Dynastie der Anm verfaßt, es ist bei Todesstrafe ver¬
boten, es zu besitzen, denn es enthält in allegorischer Form die zukünftige Ge¬
schichte unseres Reiches."

Lo-se wandte einige Blätter um und fügte hinzu:

— Sie sehen diese drei Seiten hier — sie beziehen sich auf die Throufolge.

Ich durchlief das Buch; es enthielt einige uncolorirte Bilder, sehr wenig
interessant, die Kunst, selbst die chinesische, anbelangend und ich gab es Lo-se zu¬
rück, ohne irgend eine Bemerkung zu machen.

— Nun, sagte der Doctor, was halten Sie davon?

— Ich sage gar nichts, denn ich habe nichts verstanden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/267>, abgerufen am 03.07.2024.