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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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22. April 1833 datirt und wir wollen unser Resum" dieses Buches ebenfalls mit
diesem Briefe endigen lassen.

"Eine große politische und religiöse Epoche ist für das himmlische Reich Herau¬
gekommen und man kann sagen, daß ein kleiner Funke einen großen Brand hervor¬
gerufen habe. Ein halb Dutzend Vagabunden, durch persönliche Interessen be¬
wogen, ohne sichern Ursprung, bildeten einen Bund, um den sich die Regierung
nur wenig kümmerte. Ihre Zahl wuchs unaufhörlich und sie verschafften sich unter
den Bauern nach Art der Gründer des alten Roms Anhänger. Nach und nach
wurden ans Abenteucrern Revolutionäre, später Patrioten, endlich Helden, die
nichts Geringeres als die Gründung einer neue" Dynastie verkündigen. Ihre
Armeen haben von Osten nach Westen das unermeßliche chinesische Reich durch¬
zogen, alles vor sich her niederreißend, was ihnen Widerstand leistete. Heute
sind sie die Herren von Nanking, aus dem sie den Sitz der neuen Regierung
machen wollen, weil diese Stadt die Hauptstadt der Mingdynastie gewesen, deren
Abkömmling der neue Kaiser zu sein vorgibt.

Nichts widersteht diesem erobernden Strome, die Kaiserlichen werden in
allen Schlachten geschlagen.

Die Absicht der Insurgenten ist, ans Peking zu marschiren und es ist mög¬
lich, daß diese Stadt im Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, schon in ihrer Ge¬
walt sei. In den offiziellen Ackerstücken, welche die Insurgenten veröffentlichen,
betheuern sie, daß sie vorzüglich zwei Gegenstände im Auge haben: die Tartaren
zu vertreiben und die Pagoden und Bonzen zu vernichten, um sie durch Kirchen
und wirkliche Diener Gottes zu ersetzen. Sie lassen es mich nicht beim bloßen
Versprechen, denn sie haben bereits alle Pagoden geschleift, die sich aus ihrem
Wege befanden und eine große Anzahl von Bonzen und Bonzinnen getödtet.

Diese Ereignisse macheu hier einen großen Eindruck, im allgemeinen freut
man sich darüber; man glaubt, daß der Sieg Tientes auch der des christlichen
Einflusses wäre.

Die revolutionären Epochen sind bei euch skeptischen Leuten Epochen der
Begeisterung und des absoluten Glaubens, während welcher die Einbildungskraft
dem Wunderbaren zugekehrt ist; in China ist dies auch der Fall. Jeder will in
diesem Augenblicke die Zukunft ergründen, man befragt die Zauberer, man sucht
in den kabbalistischen Büchern, um das Schicksal zu erfahren, das uns bevorsteht.
Ich muß Ihnen einen Fall, der mich betroffen hat, mit allen seinen Einzelnheiten
erzählen.

Gestern, nachdem wir die Nachricht von der Einnahme Nankings erhielten,
ging ich in der Praga Mandnco spaziren, .über dieses wichtige Ereigniß nachden¬
kend. Ich stand am User des Meeres und folgte den Bewegungen der Wellen,
die heraufstiegen, als ich einige Schritte vor mir den Arzt Lo-se, den Sie kenne",
vorbeigehen sah. Sein Gesicht drückte Trauer aus, und er war so in seine Ge-


22. April 1833 datirt und wir wollen unser Resum« dieses Buches ebenfalls mit
diesem Briefe endigen lassen.

„Eine große politische und religiöse Epoche ist für das himmlische Reich Herau¬
gekommen und man kann sagen, daß ein kleiner Funke einen großen Brand hervor¬
gerufen habe. Ein halb Dutzend Vagabunden, durch persönliche Interessen be¬
wogen, ohne sichern Ursprung, bildeten einen Bund, um den sich die Regierung
nur wenig kümmerte. Ihre Zahl wuchs unaufhörlich und sie verschafften sich unter
den Bauern nach Art der Gründer des alten Roms Anhänger. Nach und nach
wurden ans Abenteucrern Revolutionäre, später Patrioten, endlich Helden, die
nichts Geringeres als die Gründung einer neue» Dynastie verkündigen. Ihre
Armeen haben von Osten nach Westen das unermeßliche chinesische Reich durch¬
zogen, alles vor sich her niederreißend, was ihnen Widerstand leistete. Heute
sind sie die Herren von Nanking, aus dem sie den Sitz der neuen Regierung
machen wollen, weil diese Stadt die Hauptstadt der Mingdynastie gewesen, deren
Abkömmling der neue Kaiser zu sein vorgibt.

Nichts widersteht diesem erobernden Strome, die Kaiserlichen werden in
allen Schlachten geschlagen.

Die Absicht der Insurgenten ist, ans Peking zu marschiren und es ist mög¬
lich, daß diese Stadt im Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, schon in ihrer Ge¬
walt sei. In den offiziellen Ackerstücken, welche die Insurgenten veröffentlichen,
betheuern sie, daß sie vorzüglich zwei Gegenstände im Auge haben: die Tartaren
zu vertreiben und die Pagoden und Bonzen zu vernichten, um sie durch Kirchen
und wirkliche Diener Gottes zu ersetzen. Sie lassen es mich nicht beim bloßen
Versprechen, denn sie haben bereits alle Pagoden geschleift, die sich aus ihrem
Wege befanden und eine große Anzahl von Bonzen und Bonzinnen getödtet.

Diese Ereignisse macheu hier einen großen Eindruck, im allgemeinen freut
man sich darüber; man glaubt, daß der Sieg Tientes auch der des christlichen
Einflusses wäre.

Die revolutionären Epochen sind bei euch skeptischen Leuten Epochen der
Begeisterung und des absoluten Glaubens, während welcher die Einbildungskraft
dem Wunderbaren zugekehrt ist; in China ist dies auch der Fall. Jeder will in
diesem Augenblicke die Zukunft ergründen, man befragt die Zauberer, man sucht
in den kabbalistischen Büchern, um das Schicksal zu erfahren, das uns bevorsteht.
Ich muß Ihnen einen Fall, der mich betroffen hat, mit allen seinen Einzelnheiten
erzählen.

Gestern, nachdem wir die Nachricht von der Einnahme Nankings erhielten,
ging ich in der Praga Mandnco spaziren, .über dieses wichtige Ereigniß nachden¬
kend. Ich stand am User des Meeres und folgte den Bewegungen der Wellen,
die heraufstiegen, als ich einige Schritte vor mir den Arzt Lo-se, den Sie kenne»,
vorbeigehen sah. Sein Gesicht drückte Trauer aus, und er war so in seine Ge-


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[0266] 22. April 1833 datirt und wir wollen unser Resum« dieses Buches ebenfalls mit diesem Briefe endigen lassen. „Eine große politische und religiöse Epoche ist für das himmlische Reich Herau¬ gekommen und man kann sagen, daß ein kleiner Funke einen großen Brand hervor¬ gerufen habe. Ein halb Dutzend Vagabunden, durch persönliche Interessen be¬ wogen, ohne sichern Ursprung, bildeten einen Bund, um den sich die Regierung nur wenig kümmerte. Ihre Zahl wuchs unaufhörlich und sie verschafften sich unter den Bauern nach Art der Gründer des alten Roms Anhänger. Nach und nach wurden ans Abenteucrern Revolutionäre, später Patrioten, endlich Helden, die nichts Geringeres als die Gründung einer neue» Dynastie verkündigen. Ihre Armeen haben von Osten nach Westen das unermeßliche chinesische Reich durch¬ zogen, alles vor sich her niederreißend, was ihnen Widerstand leistete. Heute sind sie die Herren von Nanking, aus dem sie den Sitz der neuen Regierung machen wollen, weil diese Stadt die Hauptstadt der Mingdynastie gewesen, deren Abkömmling der neue Kaiser zu sein vorgibt. Nichts widersteht diesem erobernden Strome, die Kaiserlichen werden in allen Schlachten geschlagen. Die Absicht der Insurgenten ist, ans Peking zu marschiren und es ist mög¬ lich, daß diese Stadt im Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, schon in ihrer Ge¬ walt sei. In den offiziellen Ackerstücken, welche die Insurgenten veröffentlichen, betheuern sie, daß sie vorzüglich zwei Gegenstände im Auge haben: die Tartaren zu vertreiben und die Pagoden und Bonzen zu vernichten, um sie durch Kirchen und wirkliche Diener Gottes zu ersetzen. Sie lassen es mich nicht beim bloßen Versprechen, denn sie haben bereits alle Pagoden geschleift, die sich aus ihrem Wege befanden und eine große Anzahl von Bonzen und Bonzinnen getödtet. Diese Ereignisse macheu hier einen großen Eindruck, im allgemeinen freut man sich darüber; man glaubt, daß der Sieg Tientes auch der des christlichen Einflusses wäre. Die revolutionären Epochen sind bei euch skeptischen Leuten Epochen der Begeisterung und des absoluten Glaubens, während welcher die Einbildungskraft dem Wunderbaren zugekehrt ist; in China ist dies auch der Fall. Jeder will in diesem Augenblicke die Zukunft ergründen, man befragt die Zauberer, man sucht in den kabbalistischen Büchern, um das Schicksal zu erfahren, das uns bevorsteht. Ich muß Ihnen einen Fall, der mich betroffen hat, mit allen seinen Einzelnheiten erzählen. Gestern, nachdem wir die Nachricht von der Einnahme Nankings erhielten, ging ich in der Praga Mandnco spaziren, .über dieses wichtige Ereigniß nachden¬ kend. Ich stand am User des Meeres und folgte den Bewegungen der Wellen, die heraufstiegen, als ich einige Schritte vor mir den Arzt Lo-se, den Sie kenne», vorbeigehen sah. Sein Gesicht drückte Trauer aus, und er war so in seine Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/266>, abgerufen am 23.07.2024.