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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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sungen erfunden gewesen sei, das nur im Mittelreiche seines Gleichen haben solle.
Fast wäre, so fuhr er dann, als wäre gar nichts vorgefallen, fort zu erzählen,
fast wäre Erman zum Lehrer des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm III. in
der Dialektik gewählt worden: der Präsident der Akademie der Wissenschaften, an
den sich -- ganz gegen die Grundsätze heutiger Pädagogik, wie Herr D. meinte
-- Friedrich der Große deshalb gewendet hatte, empfahl ihn dazu und der König
ließ ihn nach Sanssouci kommen: er ließ sich von Erman den Gang des Unter¬
richts entwickeln, den er zu verfolgen gedächte, es mißfiel ihm, daß dieser der
Lehre von den angeborenen Vorstellungen huldigte, daß ihm, dem längst nicht
mehr an Widerspruch Gewöhnten, der junge Mann mit freimüthigen Entgegnungen
gegenübertrat, er entließ ihn ziemlich ungnädig und schrieb dem Empfehlenden,
daß der junge Mensch zwar Talent haben möge und daß aus ihm mit der Zeit
etwas werden könne, daß er aber vorerst ein Polisson sei, ni Ms ni moins.
Der Polisson aber zeigte sich in seinen Vorträgen über Literatur in der obersten
Classe des College als einen so begeisternden und anregenden Lehrer, daß er seine
Schüler zur Bewunderung hinriß.

In der Philosophie folgte er keinem bestimmten Systeme. Aber mehr und
mehr drängten ihn seine philosophischen Studien zur Beobachtung und Begrün¬
dung der Natur: daß er in gereifteren Jahren mit Ernst der Physik sich zuwandte,
war ein großartiger und männlicher Entschluß, den der Redner mit Recht als
eine That pries. Er verfolgte die einzelne" Aeußerungen dieser Thätigkeit, er
wies Werth und Bedeutung derselben auf dem Gebiete der Elektricität, des Mag¬
netismus, der Physiologie uach, er zeigte, daß ihnen in der Geschichte dieser Wissen¬
schaften eine einflußreiche Stellung gebühre, die Ermans Namen erhalten werde
-- aber er verschwieg nicht, daß die reiche und rastlose Thätigkeit eine unmetho¬
dische, vielfach abspringende, ungeduldige gewesen sei, die oft den Knoten geschürzt
und der Lösung nahe ihn wieder verlassen habe. Warm in der Anerkennung,
war er aufrichtig im Tadel. Erman, der Wahrheit über alles geliebt, würde
es schlecht anstehen, wenn er nicht mit offenem Freimuth anch diese Mängel be¬
rühren wollte. Das sei der Unterschied einer deutscheu Gedächtnißrede von einem
französischen elogs.

In dem Eingangs erwähnten Artikel, den diese Blätter vor zwei Jahren
über eine ähnliche Feierlichkeit brachten, hat der Berichterstatter eine Parallele
zwischen der französischen und deutschen Akademie gezogen: auch die heutige
Sitzung gab zu einer solchen Parallele reichen und minder von der Oberfläche
der Erscheinung geschöpften Stoff. Sie zeigte uns die Einfachheit, die Tiefe und
die Wahrhaftigkeit des deutscheu Geistes gegenüber der französischen, zierlichen und
gedrechselten, aber meist äußerlichen, hohlen Phrasenschnörkelci, welche die Eitelkeit
des Lobenden und die Hohlheit des Gelobten oft schlecht verbirgt. Dubois zu¬
mal, einem Manne von welscher Abkunft, gebührt deutscher Dank, daß er aus


Grcnzl'oder, III, . 17

sungen erfunden gewesen sei, das nur im Mittelreiche seines Gleichen haben solle.
Fast wäre, so fuhr er dann, als wäre gar nichts vorgefallen, fort zu erzählen,
fast wäre Erman zum Lehrer des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm III. in
der Dialektik gewählt worden: der Präsident der Akademie der Wissenschaften, an
den sich — ganz gegen die Grundsätze heutiger Pädagogik, wie Herr D. meinte
— Friedrich der Große deshalb gewendet hatte, empfahl ihn dazu und der König
ließ ihn nach Sanssouci kommen: er ließ sich von Erman den Gang des Unter¬
richts entwickeln, den er zu verfolgen gedächte, es mißfiel ihm, daß dieser der
Lehre von den angeborenen Vorstellungen huldigte, daß ihm, dem längst nicht
mehr an Widerspruch Gewöhnten, der junge Mann mit freimüthigen Entgegnungen
gegenübertrat, er entließ ihn ziemlich ungnädig und schrieb dem Empfehlenden,
daß der junge Mensch zwar Talent haben möge und daß aus ihm mit der Zeit
etwas werden könne, daß er aber vorerst ein Polisson sei, ni Ms ni moins.
Der Polisson aber zeigte sich in seinen Vorträgen über Literatur in der obersten
Classe des College als einen so begeisternden und anregenden Lehrer, daß er seine
Schüler zur Bewunderung hinriß.

In der Philosophie folgte er keinem bestimmten Systeme. Aber mehr und
mehr drängten ihn seine philosophischen Studien zur Beobachtung und Begrün¬
dung der Natur: daß er in gereifteren Jahren mit Ernst der Physik sich zuwandte,
war ein großartiger und männlicher Entschluß, den der Redner mit Recht als
eine That pries. Er verfolgte die einzelne» Aeußerungen dieser Thätigkeit, er
wies Werth und Bedeutung derselben auf dem Gebiete der Elektricität, des Mag¬
netismus, der Physiologie uach, er zeigte, daß ihnen in der Geschichte dieser Wissen¬
schaften eine einflußreiche Stellung gebühre, die Ermans Namen erhalten werde
— aber er verschwieg nicht, daß die reiche und rastlose Thätigkeit eine unmetho¬
dische, vielfach abspringende, ungeduldige gewesen sei, die oft den Knoten geschürzt
und der Lösung nahe ihn wieder verlassen habe. Warm in der Anerkennung,
war er aufrichtig im Tadel. Erman, der Wahrheit über alles geliebt, würde
es schlecht anstehen, wenn er nicht mit offenem Freimuth anch diese Mängel be¬
rühren wollte. Das sei der Unterschied einer deutscheu Gedächtnißrede von einem
französischen elogs.

In dem Eingangs erwähnten Artikel, den diese Blätter vor zwei Jahren
über eine ähnliche Feierlichkeit brachten, hat der Berichterstatter eine Parallele
zwischen der französischen und deutschen Akademie gezogen: auch die heutige
Sitzung gab zu einer solchen Parallele reichen und minder von der Oberfläche
der Erscheinung geschöpften Stoff. Sie zeigte uns die Einfachheit, die Tiefe und
die Wahrhaftigkeit des deutscheu Geistes gegenüber der französischen, zierlichen und
gedrechselten, aber meist äußerlichen, hohlen Phrasenschnörkelci, welche die Eitelkeit
des Lobenden und die Hohlheit des Gelobten oft schlecht verbirgt. Dubois zu¬
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Grcnzl'oder, III, . 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/137>, abgerufen am 23.07.2024.