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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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seinem Plane und in seinem Sinne von Franz fortgesetzte Sammlung der grie¬
chischen Inschriften zu vollenden. Und wie über seinem ganzen Leben ein gün¬
stiges Geschick gewaltet hat, das alles harmonisch zu fügen gewußt, so mag er
wol auch heute sich dessen erfreuen, daß der eben gepriesene Hochmeister der
Philologie, daß Böckh selbst es ist, der im Namen der Akademie ihn in ihrem
Kreise willkommen heißt. Die Natürlichkeit, die das Product der höchsten Kunst,
die Simplicität, die das Product der höchsten Feinheit ist, verleihen seinen tiefen
und geistreichen, mit gewinnender und prunkloser Liebenswürdigkeit vorgetragenen
Worten eine immer neue, immer frische Anziehungskraft. In einer peinlichen
Lage sei so ein eintretender Neuling: er sei fast gezwungen, ausführlich von sich
selbst zu reden -- peinlich, minder weil ihm die Selbsterkenntniß fehle, sondern
weil das eigne Wort hinter dem Bescheidenen zurückbleiben werde. Aber auch
der Antwortende befinde sich ziemlich in derselben Lage, er habe das Zartgefühl
z" schonen. Böckh aber befand sich beinahe anch in der ersten Verlegieuheit, wenn
anch nicht als Neophyt: denn sein Schüler war Curtius, die von jenem dar¬
gestellte Aufgabe der Alterthumswissenschaft hatte er zuerst in Lehre und hehrem
Beispiel ihr vorgezeichnet, sein großartiges Werk war es, das jener fortsetzen
sollte. Mit feiner Bescheidenheit freute er sich der Uebereinstimmung der Ansichten
von Curtius mit denen, die er seit fast einem halben Jahrhundert unablässig ver¬
treten, er zeichnete ihm die Aufgabe der Herausgabe des Oorpus InseriMormm
vor und wünschte ihm die Ausdauer, deren er auf dem sterileren Felde der byzan¬
tinischen Jnschriftenlese bedürfen würde aber mit warmer Anerkennung und
dem Verständnisse, das ans innerer Gleichstimmnng beruht, hob er anch den
idealen Sinn, die Liebe zum Schönen, die Meisterschaft in der Formgebung her¬
vor, die selbst aus den kleineren Arbeiten von Curtius hervorleuchte -- jenen
Vorträgen, setzen wir hinzu, von welchen der erste "über die Akropolis von
Athen" es gewesen sein soll, der mit Recht den Blick einer hohen Frau aus ihn
lenkte, die in ihm den gesuchten Erzieher ihres Sohnes, des künftigen Beherr¬
schers seines Volkes, fand. Dieses Factums aber gedenken wir hier vornehmlich
ans dem Gründe, um es auszusprechen, wie tactvoll wir es von Curtius gesun¬
den haben, daß er zwar seiner Stellung als Erzieher in Athen, nicht aber der
auf dem Babertsberge und im Palais unter den Linden gedachte, obwol Anlaß
und Versuchung dazu nicht eben fern lagen. Die Akademie, die Vertreterin der
reinen Wissenschaft, hat es eben nur mit der Wissenschaft, mit der Wahrheit zu
thun -- jedes Aeußerliche, jede Rücksicht liegt ihr fern.

Davon hat wol eine akademische Feierlichkeit, die sich meist doch innerhalb
gewisser conventioneller Schranken zu bewegen Pflegt, niemals einen glänzen¬
deren Beweis abgelegt, als die heutige Festrede von Dubois Neumond auf den
Physiker Paul Erman. Der Dubois ist auch einer von den "jungen Leuten",
mit denen die Akademie sich ein Kukuksei ins Nest gelegt hat und wir stehen


seinem Plane und in seinem Sinne von Franz fortgesetzte Sammlung der grie¬
chischen Inschriften zu vollenden. Und wie über seinem ganzen Leben ein gün¬
stiges Geschick gewaltet hat, das alles harmonisch zu fügen gewußt, so mag er
wol auch heute sich dessen erfreuen, daß der eben gepriesene Hochmeister der
Philologie, daß Böckh selbst es ist, der im Namen der Akademie ihn in ihrem
Kreise willkommen heißt. Die Natürlichkeit, die das Product der höchsten Kunst,
die Simplicität, die das Product der höchsten Feinheit ist, verleihen seinen tiefen
und geistreichen, mit gewinnender und prunkloser Liebenswürdigkeit vorgetragenen
Worten eine immer neue, immer frische Anziehungskraft. In einer peinlichen
Lage sei so ein eintretender Neuling: er sei fast gezwungen, ausführlich von sich
selbst zu reden — peinlich, minder weil ihm die Selbsterkenntniß fehle, sondern
weil das eigne Wort hinter dem Bescheidenen zurückbleiben werde. Aber auch
der Antwortende befinde sich ziemlich in derselben Lage, er habe das Zartgefühl
z» schonen. Böckh aber befand sich beinahe anch in der ersten Verlegieuheit, wenn
anch nicht als Neophyt: denn sein Schüler war Curtius, die von jenem dar¬
gestellte Aufgabe der Alterthumswissenschaft hatte er zuerst in Lehre und hehrem
Beispiel ihr vorgezeichnet, sein großartiges Werk war es, das jener fortsetzen
sollte. Mit feiner Bescheidenheit freute er sich der Uebereinstimmung der Ansichten
von Curtius mit denen, die er seit fast einem halben Jahrhundert unablässig ver¬
treten, er zeichnete ihm die Aufgabe der Herausgabe des Oorpus InseriMormm
vor und wünschte ihm die Ausdauer, deren er auf dem sterileren Felde der byzan¬
tinischen Jnschriftenlese bedürfen würde aber mit warmer Anerkennung und
dem Verständnisse, das ans innerer Gleichstimmnng beruht, hob er anch den
idealen Sinn, die Liebe zum Schönen, die Meisterschaft in der Formgebung her¬
vor, die selbst aus den kleineren Arbeiten von Curtius hervorleuchte — jenen
Vorträgen, setzen wir hinzu, von welchen der erste „über die Akropolis von
Athen" es gewesen sein soll, der mit Recht den Blick einer hohen Frau aus ihn
lenkte, die in ihm den gesuchten Erzieher ihres Sohnes, des künftigen Beherr¬
schers seines Volkes, fand. Dieses Factums aber gedenken wir hier vornehmlich
ans dem Gründe, um es auszusprechen, wie tactvoll wir es von Curtius gesun¬
den haben, daß er zwar seiner Stellung als Erzieher in Athen, nicht aber der
auf dem Babertsberge und im Palais unter den Linden gedachte, obwol Anlaß
und Versuchung dazu nicht eben fern lagen. Die Akademie, die Vertreterin der
reinen Wissenschaft, hat es eben nur mit der Wissenschaft, mit der Wahrheit zu
thun — jedes Aeußerliche, jede Rücksicht liegt ihr fern.

Davon hat wol eine akademische Feierlichkeit, die sich meist doch innerhalb
gewisser conventioneller Schranken zu bewegen Pflegt, niemals einen glänzen¬
deren Beweis abgelegt, als die heutige Festrede von Dubois Neumond auf den
Physiker Paul Erman. Der Dubois ist auch einer von den „jungen Leuten",
mit denen die Akademie sich ein Kukuksei ins Nest gelegt hat und wir stehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/134>, abgerufen am 23.07.2024.