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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Kein Wunder, daß das Land dnrch eine so ungeheure Verminderung des National¬
capitals bedeutend an Bevölkerung verlor.

Als der Krieg beendet war und die Kinder des Landes an ihren Heerd
zurückkehrten, war das Dünger erzeugende Vieh zum Theil vom Feinde weg¬
getrieben, der Viehstand war 1816 fast durchgängig geringer, als im Anfange
des Jahrhunderts, fortdauernde Kontributionen und Leistungen mannigfacher Art
hatten dem Landmann die Betriebsmittel entzogen, und kaum konnten die Steuern
noch aufgebracht werden.

Darin liegt die Erklärung zu der immer noch sehr fühlbaren Capitalicnarmuth
der Landwirthschaft im Osten der Monarchie. Dreißig Friedensjahre haben noch
nicht wieder gut machen können, was die zweihundertjährigen kriegerischen An¬
strengungen und Opfer, denen Preußen seine staatliche Größe verdankt, verdarben.
Hier liegt aber anch der Schlüssel zu dem Wege, auf welchem-die preußische Land¬
wirthschaft auf eine den physischen Verhältnissen des Landes entsprechende Ent¬
wickelungsstufe zu erheben ist. Es kommt darauf an, die möglichst productive
Verwendung der vorhandenen Capitalien und die Freiheit der Capitalienansamm¬
lung herzustellen. Prämien und Unterstützungen können nicht helfen, solange es
an hinreichenden Betriebsmitteln fehlt, um die nothwendigen Verbesserungen mit
umfassenden Kräften in Angriff zu nehmen; des Schutzes und der Privilegien
bedarf es nicht auf einem Gebiete, wo noch so reiche Hilfsquellen mit leichter
Mühe zu eröffnen sind. Das Privilegium der ritterschaftlichen Creditverbände
hat, wie wir gesehen haben, der Landwirthschaft mehr geschadet als genutzt. Die
vielen noch unbenützten Schätze unseres Bodens üben eine hinreichende Anziehungs-
kraft auf die Capitalien aus, wenn nur die freie Strömung derselben nicht ge¬
hemmt wird. Freiheit des Grundeigentums, Freiheit der Niederlassung, Freiheit
des Credits und Freiheit des Verkehrs --- das sind die wichtigen, die einzigen
Bedürfnisse der preußischen Landwirthschaft, Bedürfnisse, deren Befriedigung dem
Staate keine Opfer auferlegt, den Handel zugleich begünstigt und die industriellen
Treibhauspflanzen freilich nicht aufkommen läßt, dagegen dem Ausschwung jener
zahlreichen soliden Industrien, die in unserm Lande alle Bedingungen des Ge¬
deihens finden und unsere Thätigkeit vollauf in Anspruch nehmen können, nicht
minder förderlich ist. Wenn, wie wir gesehen haben, der Ertrag des Getreide-
und Kartoffelbaues, ohne Berücksichtigung der in den drei letzten Jahrzehnten
gestiegenen Preise um 30 Millionen Thaler, mit Berücksichtigung der Preis¬
steigerung gewiß um das Doppelte, wenn gleichzeitig die thierische Production
um 60 Millionen Thaler zugenommen hat, wenn der Werth der Land- und
Forstwirthschaft mit Einschluß der landwirthschaftlichen Fabrikationsgewerbe jetzt
ans mindestens 500 Millionen Thaler gegen 300 Millionen Thaler im Jahre -I8Z0
veranschlagt werden darf, so war dies nur möglich in einem Lande, dem noch
reiche unbenutzte Hilfsquellen zu Gebote standen. Die industriellen Gewerbe, die


Kein Wunder, daß das Land dnrch eine so ungeheure Verminderung des National¬
capitals bedeutend an Bevölkerung verlor.

Als der Krieg beendet war und die Kinder des Landes an ihren Heerd
zurückkehrten, war das Dünger erzeugende Vieh zum Theil vom Feinde weg¬
getrieben, der Viehstand war 1816 fast durchgängig geringer, als im Anfange
des Jahrhunderts, fortdauernde Kontributionen und Leistungen mannigfacher Art
hatten dem Landmann die Betriebsmittel entzogen, und kaum konnten die Steuern
noch aufgebracht werden.

Darin liegt die Erklärung zu der immer noch sehr fühlbaren Capitalicnarmuth
der Landwirthschaft im Osten der Monarchie. Dreißig Friedensjahre haben noch
nicht wieder gut machen können, was die zweihundertjährigen kriegerischen An¬
strengungen und Opfer, denen Preußen seine staatliche Größe verdankt, verdarben.
Hier liegt aber anch der Schlüssel zu dem Wege, auf welchem-die preußische Land¬
wirthschaft auf eine den physischen Verhältnissen des Landes entsprechende Ent¬
wickelungsstufe zu erheben ist. Es kommt darauf an, die möglichst productive
Verwendung der vorhandenen Capitalien und die Freiheit der Capitalienansamm¬
lung herzustellen. Prämien und Unterstützungen können nicht helfen, solange es
an hinreichenden Betriebsmitteln fehlt, um die nothwendigen Verbesserungen mit
umfassenden Kräften in Angriff zu nehmen; des Schutzes und der Privilegien
bedarf es nicht auf einem Gebiete, wo noch so reiche Hilfsquellen mit leichter
Mühe zu eröffnen sind. Das Privilegium der ritterschaftlichen Creditverbände
hat, wie wir gesehen haben, der Landwirthschaft mehr geschadet als genutzt. Die
vielen noch unbenützten Schätze unseres Bodens üben eine hinreichende Anziehungs-
kraft auf die Capitalien aus, wenn nur die freie Strömung derselben nicht ge¬
hemmt wird. Freiheit des Grundeigentums, Freiheit der Niederlassung, Freiheit
des Credits und Freiheit des Verkehrs —- das sind die wichtigen, die einzigen
Bedürfnisse der preußischen Landwirthschaft, Bedürfnisse, deren Befriedigung dem
Staate keine Opfer auferlegt, den Handel zugleich begünstigt und die industriellen
Treibhauspflanzen freilich nicht aufkommen läßt, dagegen dem Ausschwung jener
zahlreichen soliden Industrien, die in unserm Lande alle Bedingungen des Ge¬
deihens finden und unsere Thätigkeit vollauf in Anspruch nehmen können, nicht
minder förderlich ist. Wenn, wie wir gesehen haben, der Ertrag des Getreide-
und Kartoffelbaues, ohne Berücksichtigung der in den drei letzten Jahrzehnten
gestiegenen Preise um 30 Millionen Thaler, mit Berücksichtigung der Preis¬
steigerung gewiß um das Doppelte, wenn gleichzeitig die thierische Production
um 60 Millionen Thaler zugenommen hat, wenn der Werth der Land- und
Forstwirthschaft mit Einschluß der landwirthschaftlichen Fabrikationsgewerbe jetzt
ans mindestens 500 Millionen Thaler gegen 300 Millionen Thaler im Jahre -I8Z0
veranschlagt werden darf, so war dies nur möglich in einem Lande, dem noch
reiche unbenutzte Hilfsquellen zu Gebote standen. Die industriellen Gewerbe, die


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[0108] Kein Wunder, daß das Land dnrch eine so ungeheure Verminderung des National¬ capitals bedeutend an Bevölkerung verlor. Als der Krieg beendet war und die Kinder des Landes an ihren Heerd zurückkehrten, war das Dünger erzeugende Vieh zum Theil vom Feinde weg¬ getrieben, der Viehstand war 1816 fast durchgängig geringer, als im Anfange des Jahrhunderts, fortdauernde Kontributionen und Leistungen mannigfacher Art hatten dem Landmann die Betriebsmittel entzogen, und kaum konnten die Steuern noch aufgebracht werden. Darin liegt die Erklärung zu der immer noch sehr fühlbaren Capitalicnarmuth der Landwirthschaft im Osten der Monarchie. Dreißig Friedensjahre haben noch nicht wieder gut machen können, was die zweihundertjährigen kriegerischen An¬ strengungen und Opfer, denen Preußen seine staatliche Größe verdankt, verdarben. Hier liegt aber anch der Schlüssel zu dem Wege, auf welchem-die preußische Land¬ wirthschaft auf eine den physischen Verhältnissen des Landes entsprechende Ent¬ wickelungsstufe zu erheben ist. Es kommt darauf an, die möglichst productive Verwendung der vorhandenen Capitalien und die Freiheit der Capitalienansamm¬ lung herzustellen. Prämien und Unterstützungen können nicht helfen, solange es an hinreichenden Betriebsmitteln fehlt, um die nothwendigen Verbesserungen mit umfassenden Kräften in Angriff zu nehmen; des Schutzes und der Privilegien bedarf es nicht auf einem Gebiete, wo noch so reiche Hilfsquellen mit leichter Mühe zu eröffnen sind. Das Privilegium der ritterschaftlichen Creditverbände hat, wie wir gesehen haben, der Landwirthschaft mehr geschadet als genutzt. Die vielen noch unbenützten Schätze unseres Bodens üben eine hinreichende Anziehungs- kraft auf die Capitalien aus, wenn nur die freie Strömung derselben nicht ge¬ hemmt wird. Freiheit des Grundeigentums, Freiheit der Niederlassung, Freiheit des Credits und Freiheit des Verkehrs —- das sind die wichtigen, die einzigen Bedürfnisse der preußischen Landwirthschaft, Bedürfnisse, deren Befriedigung dem Staate keine Opfer auferlegt, den Handel zugleich begünstigt und die industriellen Treibhauspflanzen freilich nicht aufkommen läßt, dagegen dem Ausschwung jener zahlreichen soliden Industrien, die in unserm Lande alle Bedingungen des Ge¬ deihens finden und unsere Thätigkeit vollauf in Anspruch nehmen können, nicht minder förderlich ist. Wenn, wie wir gesehen haben, der Ertrag des Getreide- und Kartoffelbaues, ohne Berücksichtigung der in den drei letzten Jahrzehnten gestiegenen Preise um 30 Millionen Thaler, mit Berücksichtigung der Preis¬ steigerung gewiß um das Doppelte, wenn gleichzeitig die thierische Production um 60 Millionen Thaler zugenommen hat, wenn der Werth der Land- und Forstwirthschaft mit Einschluß der landwirthschaftlichen Fabrikationsgewerbe jetzt ans mindestens 500 Millionen Thaler gegen 300 Millionen Thaler im Jahre -I8Z0 veranschlagt werden darf, so war dies nur möglich in einem Lande, dem noch reiche unbenutzte Hilfsquellen zu Gebote standen. Die industriellen Gewerbe, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/108>, abgerufen am 22.07.2024.