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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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betrunken ans dem Wirthshause. Im Dorfe hieß es: ans unsrem Hofe gäbe es
schlechtes Essen.

Fastnacht kam heran und man "stach nach dem Strohmanne". Es
ist dies eine Belustigung welche selten geworden ist, weil sie ziemlich viel kostet,
sie findet daher nur uach einer guten Ernte statt. Damals nahmen nur die
jüngeren eigentlichen Bauern und Bauernsöhne daran Theil. Zwischen dem
Wirthshause und dem gegenüberliegenden Hanse war ans einem Fundamente eine
mit Zweigen bedeckte Tanne aufgerichtet, auf welcher eine Strohpuppe emporragte,
welche als Türke ausstaffirt war. Sie hatte weiße nud blaue Kleider an und
auf ihrem Kopfe schimmerte ein mit Goldstickereien und Glasperlen besetzter rother
Turba". Die Theilnehmer des Festes waren beritten und producirten sich in
abenteuerlichem Costume. Der Sohn des Bauervogts,- Cork Sörcnson, hatte
sich in Kopenhagen einen MaSkenanzng gemiethet, der in einer Niedertracht
bestand, so daß er höchst stattlich anzusehen war, mit dem Speer in der Hand
auf dem hohen Rappen. Er war der Anführer, seine beiden Adjutanten waren
die Brüder Ions Sören und Ricks Sören, zwei Berühmtheiten des Dorfs, da
sie im verwichenen Sommer, als die Lanciers von Nestwed, zu den Herbstmanö-
vern einberufen, in Walby einquartiert waren, selbander fünf derselben durch¬
geprügelt hatten. Eine große reitende Musikbande spielte zum Feste auf, beson¬
ders Trompeter und Posaunenbläser waren darunter. So lange das Reiten
dauerte, wo Einer nach dem Andern nach der Strohpuppe stach und sie aus
der Spitze seiner Lanze aufzuheben sich bemühte, spielte" sie eine eigene,
einfache nud einförmige Melodie, welche ich niemals wieder gehört habe. Wenn
man eine halbe Stunde geritten hatte, gab der Anführer ein Zeichen und dann
bildete sich ein großer Zug; zuerst kam Cork Sörensvn, dann die beiden
Adjutanten Ricks Sören und Jens Sörc", dann die Musik und endlich sämmt¬
liche Theilnehmer, zwei neben einander; der Zug sah schön und altrittcrlich aus,
wenn sie so in den bunten Trachten und mit den wehende" Laiizcnwimpel" die
breite schiieebedeckte Straße e"dia"g zogen. Sie wählten dann jedes Mal eine"
Hof, um sich daselbst auszuruhen, und alle Pforten standen weit offen, gleich als
ob sie mit Sehnsucht dem Besuche entgegenharren". Bei dem Hofthore wurde
eine Fanfare geblasen; darauf ritt mau in den Hof, und Cork Sörenson ließ
dann einige Evolutionen ausführen. Hieraus stiegen Alle ab, gingen ins Haus
nud wurden mit dem Besten, was das Haus vermochte, bewirthet.

Unsre große rothe Pforte stand offen gleich wie die übrigen; allein den
ganzen Tag über kam der Zug nicht zu uns. Jedes Mal, wenn sie nach anderen
Höfen dem unsrigen vorbeiritten, sagte Cork Sörcnson mit lauter Stimme:
"Kirstine Hanstochter ist nicht zu Hause!" Dies war nämlich der Name der
frühern, verstorbenen Besitzerin unsrer Hofe; und sie hatte, um ihrer guten Kost
willen, im vorteilhaftester Rufe gestanden. Wir Kinder fühlten den Schimpf,


Grenzboten, l. -1863. 9

betrunken ans dem Wirthshause. Im Dorfe hieß es: ans unsrem Hofe gäbe es
schlechtes Essen.

Fastnacht kam heran und man „stach nach dem Strohmanne". Es
ist dies eine Belustigung welche selten geworden ist, weil sie ziemlich viel kostet,
sie findet daher nur uach einer guten Ernte statt. Damals nahmen nur die
jüngeren eigentlichen Bauern und Bauernsöhne daran Theil. Zwischen dem
Wirthshause und dem gegenüberliegenden Hanse war ans einem Fundamente eine
mit Zweigen bedeckte Tanne aufgerichtet, auf welcher eine Strohpuppe emporragte,
welche als Türke ausstaffirt war. Sie hatte weiße nud blaue Kleider an und
auf ihrem Kopfe schimmerte ein mit Goldstickereien und Glasperlen besetzter rother
Turba». Die Theilnehmer des Festes waren beritten und producirten sich in
abenteuerlichem Costume. Der Sohn des Bauervogts,- Cork Sörcnson, hatte
sich in Kopenhagen einen MaSkenanzng gemiethet, der in einer Niedertracht
bestand, so daß er höchst stattlich anzusehen war, mit dem Speer in der Hand
auf dem hohen Rappen. Er war der Anführer, seine beiden Adjutanten waren
die Brüder Ions Sören und Ricks Sören, zwei Berühmtheiten des Dorfs, da
sie im verwichenen Sommer, als die Lanciers von Nestwed, zu den Herbstmanö-
vern einberufen, in Walby einquartiert waren, selbander fünf derselben durch¬
geprügelt hatten. Eine große reitende Musikbande spielte zum Feste auf, beson¬
ders Trompeter und Posaunenbläser waren darunter. So lange das Reiten
dauerte, wo Einer nach dem Andern nach der Strohpuppe stach und sie aus
der Spitze seiner Lanze aufzuheben sich bemühte, spielte» sie eine eigene,
einfache nud einförmige Melodie, welche ich niemals wieder gehört habe. Wenn
man eine halbe Stunde geritten hatte, gab der Anführer ein Zeichen und dann
bildete sich ein großer Zug; zuerst kam Cork Sörensvn, dann die beiden
Adjutanten Ricks Sören und Jens Sörc», dann die Musik und endlich sämmt¬
liche Theilnehmer, zwei neben einander; der Zug sah schön und altrittcrlich aus,
wenn sie so in den bunten Trachten und mit den wehende» Laiizcnwimpel» die
breite schiieebedeckte Straße e»dia»g zogen. Sie wählten dann jedes Mal eine»
Hof, um sich daselbst auszuruhen, und alle Pforten standen weit offen, gleich als
ob sie mit Sehnsucht dem Besuche entgegenharren«. Bei dem Hofthore wurde
eine Fanfare geblasen; darauf ritt mau in den Hof, und Cork Sörenson ließ
dann einige Evolutionen ausführen. Hieraus stiegen Alle ab, gingen ins Haus
nud wurden mit dem Besten, was das Haus vermochte, bewirthet.

Unsre große rothe Pforte stand offen gleich wie die übrigen; allein den
ganzen Tag über kam der Zug nicht zu uns. Jedes Mal, wenn sie nach anderen
Höfen dem unsrigen vorbeiritten, sagte Cork Sörcnson mit lauter Stimme:
„Kirstine Hanstochter ist nicht zu Hause!" Dies war nämlich der Name der
frühern, verstorbenen Besitzerin unsrer Hofe; und sie hatte, um ihrer guten Kost
willen, im vorteilhaftester Rufe gestanden. Wir Kinder fühlten den Schimpf,


Grenzboten, l. -1863. 9
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[0073] betrunken ans dem Wirthshause. Im Dorfe hieß es: ans unsrem Hofe gäbe es schlechtes Essen. Fastnacht kam heran und man „stach nach dem Strohmanne". Es ist dies eine Belustigung welche selten geworden ist, weil sie ziemlich viel kostet, sie findet daher nur uach einer guten Ernte statt. Damals nahmen nur die jüngeren eigentlichen Bauern und Bauernsöhne daran Theil. Zwischen dem Wirthshause und dem gegenüberliegenden Hanse war ans einem Fundamente eine mit Zweigen bedeckte Tanne aufgerichtet, auf welcher eine Strohpuppe emporragte, welche als Türke ausstaffirt war. Sie hatte weiße nud blaue Kleider an und auf ihrem Kopfe schimmerte ein mit Goldstickereien und Glasperlen besetzter rother Turba». Die Theilnehmer des Festes waren beritten und producirten sich in abenteuerlichem Costume. Der Sohn des Bauervogts,- Cork Sörcnson, hatte sich in Kopenhagen einen MaSkenanzng gemiethet, der in einer Niedertracht bestand, so daß er höchst stattlich anzusehen war, mit dem Speer in der Hand auf dem hohen Rappen. Er war der Anführer, seine beiden Adjutanten waren die Brüder Ions Sören und Ricks Sören, zwei Berühmtheiten des Dorfs, da sie im verwichenen Sommer, als die Lanciers von Nestwed, zu den Herbstmanö- vern einberufen, in Walby einquartiert waren, selbander fünf derselben durch¬ geprügelt hatten. Eine große reitende Musikbande spielte zum Feste auf, beson¬ ders Trompeter und Posaunenbläser waren darunter. So lange das Reiten dauerte, wo Einer nach dem Andern nach der Strohpuppe stach und sie aus der Spitze seiner Lanze aufzuheben sich bemühte, spielte» sie eine eigene, einfache nud einförmige Melodie, welche ich niemals wieder gehört habe. Wenn man eine halbe Stunde geritten hatte, gab der Anführer ein Zeichen und dann bildete sich ein großer Zug; zuerst kam Cork Sörensvn, dann die beiden Adjutanten Ricks Sören und Jens Sörc», dann die Musik und endlich sämmt¬ liche Theilnehmer, zwei neben einander; der Zug sah schön und altrittcrlich aus, wenn sie so in den bunten Trachten und mit den wehende» Laiizcnwimpel» die breite schiieebedeckte Straße e»dia»g zogen. Sie wählten dann jedes Mal eine» Hof, um sich daselbst auszuruhen, und alle Pforten standen weit offen, gleich als ob sie mit Sehnsucht dem Besuche entgegenharren«. Bei dem Hofthore wurde eine Fanfare geblasen; darauf ritt mau in den Hof, und Cork Sörenson ließ dann einige Evolutionen ausführen. Hieraus stiegen Alle ab, gingen ins Haus nud wurden mit dem Besten, was das Haus vermochte, bewirthet. Unsre große rothe Pforte stand offen gleich wie die übrigen; allein den ganzen Tag über kam der Zug nicht zu uns. Jedes Mal, wenn sie nach anderen Höfen dem unsrigen vorbeiritten, sagte Cork Sörcnson mit lauter Stimme: „Kirstine Hanstochter ist nicht zu Hause!" Dies war nämlich der Name der frühern, verstorbenen Besitzerin unsrer Hofe; und sie hatte, um ihrer guten Kost willen, im vorteilhaftester Rufe gestanden. Wir Kinder fühlten den Schimpf, Grenzboten, l. -1863. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/73>, abgerufen am 01.07.2024.