Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nahen Hauptstadt, allein die Knechte des Dorfs wußten sie bald widerspenstig zu
macheu; die Nächte wurde" uus durch allerlei Spuck gestört, und die uns heiiu-
sucheudcu Gespenster entwendeten Hafer, Stroh, Schinken und Mehl. Mein
Vater mußte sich zuletzt wiederum mit seinen anderthalb Mann durchzuschlagen
suchen, obwol er nicht weniger als siebenzig Tonnen Land zu bestellen hatte.
Obgleich er selbst mit Hand anlegte und sich vom frühen Morgen bis tief in die
Nacht hinein plagte, wollte es nicht hinreichen, und wenn die heimkehrenden
Nachbarn an seinen Ländereien vorbeizogen, standen sie stille, betrachteten ernsthaft
das spärliche Tagewerk und gingen kopfschüttelnd nach Haus.

Als der Vater eines Morgens mit seine" anderthalb Mann, einem Pfluge
und einer Egge anf'S Feld fuhr, kam es ihm im Zwielichte so vor, als ob an
der Grenze seiner Felder eine Menge Männer, Pferde und Wagen aufgestellt
wären; er rieb sich die Angen, weil er meinte, es müsse ein Traum sein; --
Solches hatte er freilich jede Nacht geträumt. "Halt still! Ricks!" sagte er
zum Knechte, "Siehst Dn nicht Etwas da?" -- "Ja freilich, Herr, ich sehe
Etwas." -- "Was mag doch das sein, Ricks?" -- "Ja, Herr, was mag's doch
sein?" -- "Christian," wandte er sich an den Dienstjnngen, "lauf geschwind
dorthin und bring' Bescheid, was das für Leute sind." -- "Wir sind es, Nachbar,"
sagte ein Manu, der sich mittlerweile genähert hatte; es war Sorau Cortsnn,
der Baucrvogt. "Wir haben Euch," fuhr er fort, "nun so lange abquälen sehen,
und weil wir Bauern unser Feld jetzt bestellt habe", wollen wir, wie es sich sür
brave Nachbarn geziemt, Euch bei dem Eurigen helfen, wenn Ihr es zufrieden
seid. Das ganze Dorf ist hier versammelt, und jetzt soll es gehen wie die
Schwerenoth, denk' ich; Ihr werdet den Pferde" schon ein wenig Hafer geben.
Wir halten uus unsre Kost selbst. -- "El," rief mein Vater und ergriff des
Bauervogts Hand, was er bei den Uebrigen wiederholte: "Solche Nachbarn
findet man nicht alle Tage auf der Straße."

Die Arbeit ging nun im Sturmschritt vou Stätte", und in wenig Tagen
waren sämmtliche Felder bestellt, aber die Nachbarn waren nicht dahin zu bringen,
eine Einladung anzunehmen und bei uns zu essen. Im November hatten die
Knechte des Dorfs den Krieg aufgegeben und wir bekamen gute Dienstleute.

Allein nun erhoben sich neue Schwierigkeiten: sie behaupteten, die Kost tauge
nichts, weil die Köchin aus Wordingborg war. Die Kost war ihnen nie recht,
sie nannten sie "Stadtessen", und wenn man sie über ihre ungegründete Be¬
schwerde zur Rede stellen wollte, ließen sie das Essen stehen und gingen Abends
in's Wirthshaus, welches unglücklicher Weise uus gerade gegenüber belegen war.
Wenn sie wieder heraus kamen und angetrunken waren, hieß es, sie müßten
doch Etwas zu essen haben, im Hanse sei ja Nichts vorhanden. Am Weihnachts¬
abend brach ein allgemeiner Aufstand ans, weil die Apfelkuchen nicht auf die alt-
hergelwachte Weise zubereitet waren, und am ersten Festtage kamen Alle


nahen Hauptstadt, allein die Knechte des Dorfs wußten sie bald widerspenstig zu
macheu; die Nächte wurde» uus durch allerlei Spuck gestört, und die uns heiiu-
sucheudcu Gespenster entwendeten Hafer, Stroh, Schinken und Mehl. Mein
Vater mußte sich zuletzt wiederum mit seinen anderthalb Mann durchzuschlagen
suchen, obwol er nicht weniger als siebenzig Tonnen Land zu bestellen hatte.
Obgleich er selbst mit Hand anlegte und sich vom frühen Morgen bis tief in die
Nacht hinein plagte, wollte es nicht hinreichen, und wenn die heimkehrenden
Nachbarn an seinen Ländereien vorbeizogen, standen sie stille, betrachteten ernsthaft
das spärliche Tagewerk und gingen kopfschüttelnd nach Haus.

Als der Vater eines Morgens mit seine» anderthalb Mann, einem Pfluge
und einer Egge anf'S Feld fuhr, kam es ihm im Zwielichte so vor, als ob an
der Grenze seiner Felder eine Menge Männer, Pferde und Wagen aufgestellt
wären; er rieb sich die Angen, weil er meinte, es müsse ein Traum sein; —
Solches hatte er freilich jede Nacht geträumt. „Halt still! Ricks!" sagte er
zum Knechte, „Siehst Dn nicht Etwas da?" — „Ja freilich, Herr, ich sehe
Etwas." — „Was mag doch das sein, Ricks?" — „Ja, Herr, was mag's doch
sein?" — „Christian," wandte er sich an den Dienstjnngen, „lauf geschwind
dorthin und bring' Bescheid, was das für Leute sind." — „Wir sind es, Nachbar,"
sagte ein Manu, der sich mittlerweile genähert hatte; es war Sorau Cortsnn,
der Baucrvogt. „Wir haben Euch," fuhr er fort, „nun so lange abquälen sehen,
und weil wir Bauern unser Feld jetzt bestellt habe», wollen wir, wie es sich sür
brave Nachbarn geziemt, Euch bei dem Eurigen helfen, wenn Ihr es zufrieden
seid. Das ganze Dorf ist hier versammelt, und jetzt soll es gehen wie die
Schwerenoth, denk' ich; Ihr werdet den Pferde» schon ein wenig Hafer geben.
Wir halten uus unsre Kost selbst. — „El," rief mein Vater und ergriff des
Bauervogts Hand, was er bei den Uebrigen wiederholte: „Solche Nachbarn
findet man nicht alle Tage auf der Straße."

Die Arbeit ging nun im Sturmschritt vou Stätte», und in wenig Tagen
waren sämmtliche Felder bestellt, aber die Nachbarn waren nicht dahin zu bringen,
eine Einladung anzunehmen und bei uns zu essen. Im November hatten die
Knechte des Dorfs den Krieg aufgegeben und wir bekamen gute Dienstleute.

Allein nun erhoben sich neue Schwierigkeiten: sie behaupteten, die Kost tauge
nichts, weil die Köchin aus Wordingborg war. Die Kost war ihnen nie recht,
sie nannten sie „Stadtessen", und wenn man sie über ihre ungegründete Be¬
schwerde zur Rede stellen wollte, ließen sie das Essen stehen und gingen Abends
in's Wirthshaus, welches unglücklicher Weise uus gerade gegenüber belegen war.
Wenn sie wieder heraus kamen und angetrunken waren, hieß es, sie müßten
doch Etwas zu essen haben, im Hanse sei ja Nichts vorhanden. Am Weihnachts¬
abend brach ein allgemeiner Aufstand ans, weil die Apfelkuchen nicht auf die alt-
hergelwachte Weise zubereitet waren, und am ersten Festtage kamen Alle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185948"/>
          <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193"> nahen Hauptstadt, allein die Knechte des Dorfs wußten sie bald widerspenstig zu<lb/>
macheu; die Nächte wurde» uus durch allerlei Spuck gestört, und die uns heiiu-<lb/>
sucheudcu Gespenster entwendeten Hafer, Stroh, Schinken und Mehl. Mein<lb/>
Vater mußte sich zuletzt wiederum mit seinen anderthalb Mann durchzuschlagen<lb/>
suchen, obwol er nicht weniger als siebenzig Tonnen Land zu bestellen hatte.<lb/>
Obgleich er selbst mit Hand anlegte und sich vom frühen Morgen bis tief in die<lb/>
Nacht hinein plagte, wollte es nicht hinreichen, und wenn die heimkehrenden<lb/>
Nachbarn an seinen Ländereien vorbeizogen, standen sie stille, betrachteten ernsthaft<lb/>
das spärliche Tagewerk und gingen kopfschüttelnd nach Haus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195"> Als der Vater eines Morgens mit seine» anderthalb Mann, einem Pfluge<lb/>
und einer Egge anf'S Feld fuhr, kam es ihm im Zwielichte so vor, als ob an<lb/>
der Grenze seiner Felder eine Menge Männer, Pferde und Wagen aufgestellt<lb/>
wären; er rieb sich die Angen, weil er meinte, es müsse ein Traum sein; &#x2014;<lb/>
Solches hatte er freilich jede Nacht geträumt. &#x201E;Halt still! Ricks!" sagte er<lb/>
zum Knechte, &#x201E;Siehst Dn nicht Etwas da?" &#x2014; &#x201E;Ja freilich, Herr, ich sehe<lb/>
Etwas." &#x2014; &#x201E;Was mag doch das sein, Ricks?" &#x2014; &#x201E;Ja, Herr, was mag's doch<lb/>
sein?" &#x2014; &#x201E;Christian," wandte er sich an den Dienstjnngen, &#x201E;lauf geschwind<lb/>
dorthin und bring' Bescheid, was das für Leute sind." &#x2014; &#x201E;Wir sind es, Nachbar,"<lb/>
sagte ein Manu, der sich mittlerweile genähert hatte; es war Sorau Cortsnn,<lb/>
der Baucrvogt. &#x201E;Wir haben Euch," fuhr er fort, &#x201E;nun so lange abquälen sehen,<lb/>
und weil wir Bauern unser Feld jetzt bestellt habe», wollen wir, wie es sich sür<lb/>
brave Nachbarn geziemt, Euch bei dem Eurigen helfen, wenn Ihr es zufrieden<lb/>
seid. Das ganze Dorf ist hier versammelt, und jetzt soll es gehen wie die<lb/>
Schwerenoth, denk' ich; Ihr werdet den Pferde» schon ein wenig Hafer geben.<lb/>
Wir halten uus unsre Kost selbst. &#x2014; &#x201E;El," rief mein Vater und ergriff des<lb/>
Bauervogts Hand, was er bei den Uebrigen wiederholte: &#x201E;Solche Nachbarn<lb/>
findet man nicht alle Tage auf der Straße."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196"> Die Arbeit ging nun im Sturmschritt vou Stätte», und in wenig Tagen<lb/>
waren sämmtliche Felder bestellt, aber die Nachbarn waren nicht dahin zu bringen,<lb/>
eine Einladung anzunehmen und bei uns zu essen. Im November hatten die<lb/>
Knechte des Dorfs den Krieg aufgegeben und wir bekamen gute Dienstleute.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_197" next="#ID_198"> Allein nun erhoben sich neue Schwierigkeiten: sie behaupteten, die Kost tauge<lb/>
nichts, weil die Köchin aus Wordingborg war. Die Kost war ihnen nie recht,<lb/>
sie nannten sie &#x201E;Stadtessen", und wenn man sie über ihre ungegründete Be¬<lb/>
schwerde zur Rede stellen wollte, ließen sie das Essen stehen und gingen Abends<lb/>
in's Wirthshaus, welches unglücklicher Weise uus gerade gegenüber belegen war.<lb/>
Wenn sie wieder heraus kamen und angetrunken waren, hieß es, sie müßten<lb/>
doch Etwas zu essen haben, im Hanse sei ja Nichts vorhanden. Am Weihnachts¬<lb/>
abend brach ein allgemeiner Aufstand ans, weil die Apfelkuchen nicht auf die alt-<lb/>
hergelwachte Weise zubereitet waren, und am ersten Festtage kamen Alle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] nahen Hauptstadt, allein die Knechte des Dorfs wußten sie bald widerspenstig zu macheu; die Nächte wurde» uus durch allerlei Spuck gestört, und die uns heiiu- sucheudcu Gespenster entwendeten Hafer, Stroh, Schinken und Mehl. Mein Vater mußte sich zuletzt wiederum mit seinen anderthalb Mann durchzuschlagen suchen, obwol er nicht weniger als siebenzig Tonnen Land zu bestellen hatte. Obgleich er selbst mit Hand anlegte und sich vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein plagte, wollte es nicht hinreichen, und wenn die heimkehrenden Nachbarn an seinen Ländereien vorbeizogen, standen sie stille, betrachteten ernsthaft das spärliche Tagewerk und gingen kopfschüttelnd nach Haus. Als der Vater eines Morgens mit seine» anderthalb Mann, einem Pfluge und einer Egge anf'S Feld fuhr, kam es ihm im Zwielichte so vor, als ob an der Grenze seiner Felder eine Menge Männer, Pferde und Wagen aufgestellt wären; er rieb sich die Angen, weil er meinte, es müsse ein Traum sein; — Solches hatte er freilich jede Nacht geträumt. „Halt still! Ricks!" sagte er zum Knechte, „Siehst Dn nicht Etwas da?" — „Ja freilich, Herr, ich sehe Etwas." — „Was mag doch das sein, Ricks?" — „Ja, Herr, was mag's doch sein?" — „Christian," wandte er sich an den Dienstjnngen, „lauf geschwind dorthin und bring' Bescheid, was das für Leute sind." — „Wir sind es, Nachbar," sagte ein Manu, der sich mittlerweile genähert hatte; es war Sorau Cortsnn, der Baucrvogt. „Wir haben Euch," fuhr er fort, „nun so lange abquälen sehen, und weil wir Bauern unser Feld jetzt bestellt habe», wollen wir, wie es sich sür brave Nachbarn geziemt, Euch bei dem Eurigen helfen, wenn Ihr es zufrieden seid. Das ganze Dorf ist hier versammelt, und jetzt soll es gehen wie die Schwerenoth, denk' ich; Ihr werdet den Pferde» schon ein wenig Hafer geben. Wir halten uus unsre Kost selbst. — „El," rief mein Vater und ergriff des Bauervogts Hand, was er bei den Uebrigen wiederholte: „Solche Nachbarn findet man nicht alle Tage auf der Straße." Die Arbeit ging nun im Sturmschritt vou Stätte», und in wenig Tagen waren sämmtliche Felder bestellt, aber die Nachbarn waren nicht dahin zu bringen, eine Einladung anzunehmen und bei uns zu essen. Im November hatten die Knechte des Dorfs den Krieg aufgegeben und wir bekamen gute Dienstleute. Allein nun erhoben sich neue Schwierigkeiten: sie behaupteten, die Kost tauge nichts, weil die Köchin aus Wordingborg war. Die Kost war ihnen nie recht, sie nannten sie „Stadtessen", und wenn man sie über ihre ungegründete Be¬ schwerde zur Rede stellen wollte, ließen sie das Essen stehen und gingen Abends in's Wirthshaus, welches unglücklicher Weise uus gerade gegenüber belegen war. Wenn sie wieder heraus kamen und angetrunken waren, hieß es, sie müßten doch Etwas zu essen haben, im Hanse sei ja Nichts vorhanden. Am Weihnachts¬ abend brach ein allgemeiner Aufstand ans, weil die Apfelkuchen nicht auf die alt- hergelwachte Weise zubereitet waren, und am ersten Festtage kamen Alle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/72>, abgerufen am 29.06.2024.