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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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kommen alsdann in höhere Bildungsanstalten um in alle Geheimnisse des guten
Tons und der Etiquette eingeweiht zu werden. Zu den Unterrichlsgcgcnständcn ge¬
hört die Tsianosi genannte, d. h. die Kunst, Thee zu bereiten, und ihn mit An¬
stand und Grazie zu serviren, und mit Anmuth zu genießen, serner eine gründ¬
liche Kenntniß des Kalenders, und der glückliche" und unglücklichen Tage des
JahreS; vor Allem aber müssen die Jünglinge die erhabene Wissenschaft des
Hara-Kiri, ,,der glücklichen Abfertigung" studiren, d. h. die schwierige Kunst sich
den Bauch aufzuschneiden, und zwar nicht nnr das Wie, sondern auch das Wann --
in welchen Fällen ein Kavalier freiwillig seinem Leben ein Ende machen muß,
entweder um einem entehrenden Tode zu entgehen, oder seine Erben vor den
nachtheiligen Folgen desselben zu schützen.

Verliebt sich ein Japanese in ein Mädchen, so befestigt er an ihrer Thür
einen Zweig von (.Iclaslrus iilöiitus. Läßt seine Auserwählte den Zweig unangerührt
verwelken, so ist seine Liebe hoffnungslos; wenn sie aber seine Liebe erwidert,
so schwärzt sie sich auf der Stelle die Zähne; das höchste Liebeszeichen, das
Ausraufen der Augenbrauen, wird bis zum Hochzeitstag aufgespart. Bei den
Eheu wird sehr streug auf Standesglcichhcit zwischen den beiden Ehegatten gesehen,
und eine Mißheirath gilt für eine nntilgbare Schande. Die gesellschaftliche
Stellung der Frauen ist in Japan besser, als im übrigen Orient. Sie werden
in keinen Harem eingesperrt, nehmen an allen Vergnügungen ihrer Familien Theil
und machen die Honneurs ihres Hauses. Ihre Keuschheit steht unter dem
Schlitze des eigene" Ehrgefühls und der Furcht vor dem Tode, mit dem jeder
Verstoß gegen die eheliche Treue unfehlbar bestraft wird. An Bildung stehen sie
den Männern nicht nach, und die japanische Literatur zählt mehrere Schriftstelle¬
rinnen unter ihre schönsten Zierden. Aber so hoch anch ihre gesellschaftliche Gel¬
tung ist, ihre rechtliche ist null. Sie stehen ihr ganzes Leben lang unter der
Vormnudtschaft ihrer männlichen Verwandten, haben keine gesetzlichen Rechte,
können vor Gericht kein Zeugniß ablegen, und müssen sich gefallen lassen, daß
ihr Gatte Maitressen als gleichberechtigte Frauen in sein Hans einführt; auch
besitzt der Mann unbeschränktes Scheiderecht, während die Fran nnter keiner
Bedingung die Trennung von ihrem Gatten verlange" kann. Von der strengen
Ansicht, welche die Japanesen über weibliche Ehe haben, sticht es sehr seltsam ab,
daß man nicht die Freudenmädchen, sondern blos die Bordcllwirthe, als unehr¬
lich betrachtet, und daß diese Mädchen wegen ihrer Schönheit und Bildung nicht
ungern zur Ehe genommen werden. Die Schande ihres frühern Lebenswandels
fällt nicht auf sie, sondern auf ihre Aeltern und Verwandte, die sie in ihrer
Jugend, ehe sie sich noch selbst eine Lebensbahn auswählen konnten, in die
öffentlichen Hänser verkauft haben.

Das Leben der japanesischen Damen und Herren wird sehr wenig durch Ge¬
schäfte gestört, denn selbst die Beamten haben, da jedes Amt mehrfach besetzt ist,


kommen alsdann in höhere Bildungsanstalten um in alle Geheimnisse des guten
Tons und der Etiquette eingeweiht zu werden. Zu den Unterrichlsgcgcnständcn ge¬
hört die Tsianosi genannte, d. h. die Kunst, Thee zu bereiten, und ihn mit An¬
stand und Grazie zu serviren, und mit Anmuth zu genießen, serner eine gründ¬
liche Kenntniß des Kalenders, und der glückliche» und unglücklichen Tage des
JahreS; vor Allem aber müssen die Jünglinge die erhabene Wissenschaft des
Hara-Kiri, ,,der glücklichen Abfertigung" studiren, d. h. die schwierige Kunst sich
den Bauch aufzuschneiden, und zwar nicht nnr das Wie, sondern auch das Wann —
in welchen Fällen ein Kavalier freiwillig seinem Leben ein Ende machen muß,
entweder um einem entehrenden Tode zu entgehen, oder seine Erben vor den
nachtheiligen Folgen desselben zu schützen.

Verliebt sich ein Japanese in ein Mädchen, so befestigt er an ihrer Thür
einen Zweig von (.Iclaslrus iilöiitus. Läßt seine Auserwählte den Zweig unangerührt
verwelken, so ist seine Liebe hoffnungslos; wenn sie aber seine Liebe erwidert,
so schwärzt sie sich auf der Stelle die Zähne; das höchste Liebeszeichen, das
Ausraufen der Augenbrauen, wird bis zum Hochzeitstag aufgespart. Bei den
Eheu wird sehr streug auf Standesglcichhcit zwischen den beiden Ehegatten gesehen,
und eine Mißheirath gilt für eine nntilgbare Schande. Die gesellschaftliche
Stellung der Frauen ist in Japan besser, als im übrigen Orient. Sie werden
in keinen Harem eingesperrt, nehmen an allen Vergnügungen ihrer Familien Theil
und machen die Honneurs ihres Hauses. Ihre Keuschheit steht unter dem
Schlitze des eigene» Ehrgefühls und der Furcht vor dem Tode, mit dem jeder
Verstoß gegen die eheliche Treue unfehlbar bestraft wird. An Bildung stehen sie
den Männern nicht nach, und die japanische Literatur zählt mehrere Schriftstelle¬
rinnen unter ihre schönsten Zierden. Aber so hoch anch ihre gesellschaftliche Gel¬
tung ist, ihre rechtliche ist null. Sie stehen ihr ganzes Leben lang unter der
Vormnudtschaft ihrer männlichen Verwandten, haben keine gesetzlichen Rechte,
können vor Gericht kein Zeugniß ablegen, und müssen sich gefallen lassen, daß
ihr Gatte Maitressen als gleichberechtigte Frauen in sein Hans einführt; auch
besitzt der Mann unbeschränktes Scheiderecht, während die Fran nnter keiner
Bedingung die Trennung von ihrem Gatten verlange» kann. Von der strengen
Ansicht, welche die Japanesen über weibliche Ehe haben, sticht es sehr seltsam ab,
daß man nicht die Freudenmädchen, sondern blos die Bordcllwirthe, als unehr¬
lich betrachtet, und daß diese Mädchen wegen ihrer Schönheit und Bildung nicht
ungern zur Ehe genommen werden. Die Schande ihres frühern Lebenswandels
fällt nicht auf sie, sondern auf ihre Aeltern und Verwandte, die sie in ihrer
Jugend, ehe sie sich noch selbst eine Lebensbahn auswählen konnten, in die
öffentlichen Hänser verkauft haben.

Das Leben der japanesischen Damen und Herren wird sehr wenig durch Ge¬
schäfte gestört, denn selbst die Beamten haben, da jedes Amt mehrfach besetzt ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/500>, abgerufen am 24.07.2024.