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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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aus, die sie an einer Seite über einander trägt; die mittlere Klasse führt nur
eins, und den niederen Ständen ist diese Waffe auf das Strengste verboten. Am
Wesentlichsten unterscheiden sich äußerlich Männer und Frauen durch die Art das
Haar zu tragen. Erstere scheeren sich Stirn und Scheitel, binden das hinten
stehen gelassene Haar zusammen und ziehen es in einem Knoten über den kahlen
Scheitel nach vorn. Die Buddhapriester und die Aerzte scheeren sich den Kopf
kahl. Die Frauen binden ihr reiches, kohlschwarzes Haar zu einer Art Turban
zusammen, durch welche sie 1!i Zoll lauge, sein gearbeitete und glänzend polirte
Stücke Schildkrot stecken. Das Gesicht ist sehr stark geschminkt; verheiratete
Frauen schwärzen sich die Zähne und raufen sich die Augenbrauen aus.

Kein Japanese, Mann oder Weib, kann den Fächer entbehren, den Jeder¬
mann in der Hand oder im Gürtel trägt. Selbst Soldaten und Priester sind
damit versehen. Gäste nehmen die bei einem Besuch ihnen dargebotenen Lecker¬
bissen aus den Fächer; der Bettler streckt, um Almosen flehend, dein Vorüber¬
gehenden den Fächer entgegen. Der japanesische Sticher schwingt ihn wie der
europäische das Stöckchen; dem Schulmeister dient er als Züchtigungsmittel, und
für den vornehmen Verbrecher ist das Darbieten eines Fächers auf einem beson¬
ders geformten Teller ein sicherer Vorbote des Todes: in dem Augenblick, wo er
den Kopf nach dem Fächer vorstreckt, durchschneidet das Henkerschwert ihm den Hals.

Kein wichtiger Vorfall im Leben des Japanesen geht ohne ein bezeichnendes
Ceremoniell vorüber. So wie das Weib eines Japanesen sich für schwanger er¬
klärt, wird ihr ein rother Creppshawl um den Leib gebunden, zum Andenken an
die kaiserliche Amazone Sir-Gu-Kop-Gu, die vor 16 Jahrhunderten gesegneten
Leibes an die Spitze des japanesischen Heeres trat, als der Tod ihren Gemahl,
den regierenden Mikado, mitten in den Vorbereitungen zu einem Feldzug gegen
Kwca hinwegraffte. Nach der Entbindung kann die Wöchnerin nicht die Ruhe
des Wochenbettes genießen, sondern sie muß, nnter den Armen mit Neiösäcken
unterstützt, aufrecht sitzen bleiben, und darf nenn Tage und neun Nächte laug
kein Auge schließen, um nicht etwa im Schlafe aus der vorgeschriebenen Stellung
zu gerathen. Bis zum hundertsten Tag nach der Geburt des Kindes gilt die
Mutter für krank, und erst dann übernimmt sie wieder die Wirthschaft und dankt
den Göttern durch eine Wallfahrt für ihre Genesung.

Am 31. Tage nach seiner Geburt, wenn es ein Knabe, am 30., wenn es
ein Mädchen ist, empfängt das Kind im Tempel des Familiengotteö unter großen
Feierlichkeiten seinen ersten Namen, den es schon mit dem 7. Jahre, wo es den
Gürtel anlegt, mit einem neuen vertauscht. Dieses Namenvcrwechseln tritt auch
später wieder ein, mit jedem neuen Schritt im Leben, mit jeder Beförderung im
Amte, und sogar wenn der Vorgesetzte denselben Namen hat, wie der Unter¬
gebene. Den ersten Unterricht erhalten die Kinder in Elementarschulen, wo selbst
der Niedrigstgeborene lesen und schreiben lernt. Die Kinder vornehmerer Aeltern


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aus, die sie an einer Seite über einander trägt; die mittlere Klasse führt nur
eins, und den niederen Ständen ist diese Waffe auf das Strengste verboten. Am
Wesentlichsten unterscheiden sich äußerlich Männer und Frauen durch die Art das
Haar zu tragen. Erstere scheeren sich Stirn und Scheitel, binden das hinten
stehen gelassene Haar zusammen und ziehen es in einem Knoten über den kahlen
Scheitel nach vorn. Die Buddhapriester und die Aerzte scheeren sich den Kopf
kahl. Die Frauen binden ihr reiches, kohlschwarzes Haar zu einer Art Turban
zusammen, durch welche sie 1!i Zoll lauge, sein gearbeitete und glänzend polirte
Stücke Schildkrot stecken. Das Gesicht ist sehr stark geschminkt; verheiratete
Frauen schwärzen sich die Zähne und raufen sich die Augenbrauen aus.

Kein Japanese, Mann oder Weib, kann den Fächer entbehren, den Jeder¬
mann in der Hand oder im Gürtel trägt. Selbst Soldaten und Priester sind
damit versehen. Gäste nehmen die bei einem Besuch ihnen dargebotenen Lecker¬
bissen aus den Fächer; der Bettler streckt, um Almosen flehend, dein Vorüber¬
gehenden den Fächer entgegen. Der japanesische Sticher schwingt ihn wie der
europäische das Stöckchen; dem Schulmeister dient er als Züchtigungsmittel, und
für den vornehmen Verbrecher ist das Darbieten eines Fächers auf einem beson¬
ders geformten Teller ein sicherer Vorbote des Todes: in dem Augenblick, wo er
den Kopf nach dem Fächer vorstreckt, durchschneidet das Henkerschwert ihm den Hals.

Kein wichtiger Vorfall im Leben des Japanesen geht ohne ein bezeichnendes
Ceremoniell vorüber. So wie das Weib eines Japanesen sich für schwanger er¬
klärt, wird ihr ein rother Creppshawl um den Leib gebunden, zum Andenken an
die kaiserliche Amazone Sir-Gu-Kop-Gu, die vor 16 Jahrhunderten gesegneten
Leibes an die Spitze des japanesischen Heeres trat, als der Tod ihren Gemahl,
den regierenden Mikado, mitten in den Vorbereitungen zu einem Feldzug gegen
Kwca hinwegraffte. Nach der Entbindung kann die Wöchnerin nicht die Ruhe
des Wochenbettes genießen, sondern sie muß, nnter den Armen mit Neiösäcken
unterstützt, aufrecht sitzen bleiben, und darf nenn Tage und neun Nächte laug
kein Auge schließen, um nicht etwa im Schlafe aus der vorgeschriebenen Stellung
zu gerathen. Bis zum hundertsten Tag nach der Geburt des Kindes gilt die
Mutter für krank, und erst dann übernimmt sie wieder die Wirthschaft und dankt
den Göttern durch eine Wallfahrt für ihre Genesung.

Am 31. Tage nach seiner Geburt, wenn es ein Knabe, am 30., wenn es
ein Mädchen ist, empfängt das Kind im Tempel des Familiengotteö unter großen
Feierlichkeiten seinen ersten Namen, den es schon mit dem 7. Jahre, wo es den
Gürtel anlegt, mit einem neuen vertauscht. Dieses Namenvcrwechseln tritt auch
später wieder ein, mit jedem neuen Schritt im Leben, mit jeder Beförderung im
Amte, und sogar wenn der Vorgesetzte denselben Namen hat, wie der Unter¬
gebene. Den ersten Unterricht erhalten die Kinder in Elementarschulen, wo selbst
der Niedrigstgeborene lesen und schreiben lernt. Die Kinder vornehmerer Aeltern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/499>, abgerufen am 24.07.2024.