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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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thun, sondern eher Armuth, und' so trifft man denn auch bei diesem Bilde ver¬
hältnißmäßig Wenig, was Einen recht erwärmt, die Bewunderer sind beständig
genöthigt, auf die kleine Christcngruppe im Bilde zu weisen, weil fast nichts
Anderes befriedigen kann. Die ganze Scene macht den Eindruck der Nbstchtlichkeit,
mau sieht die Mittel, durch die gewirkt werdeu soll, viel zu deutlich, als daß man
noch glauben, noch naiv empfinden könnte. So hat Kaulbach z. B. die vier
Propheten, die den Fall der Stadt voransverkündet, oben in einer Glorie an¬
gebracht, aber "icht etwa in voller Realität des Lebens, wie dies ein naiver
Künstler gethan hätte, wie es Raphael z. B. in der Dispata thut, sondern mir
in einem Nebel als wesenlose Schemen, als wenn er selbst nicht daran glaubte,
was nicht verfehlt, auch uus den Glauben daran zu rauben und uns das ganze
Motiv als die ganz überflüssige gemalte Moral des Stücks, als ein verstimmen¬
des Vorempfinden erscheinen zu lasse". Eben so wirkt auch die Ueberhäufung
der Mittel; wo Cornelius einen Engel mit dem Schwert, einen der in die Po¬
saune stößt, anbringt, zeigt uns Kaulbach deren sechs, die aber zusammen we¬
niger künstlerischen "ud ästhetischen Werth haben, als der einzige des Meisters.--
Da das Bild durch einen sehr gelungenen Kupferstich überall verbreitet und be¬
gänne ist, so will ich auf eine Kritik des Einzelnen eingehen, da deren Billigkeit
zu controlire" Jedem möglich wird. -- Zunächst muß ich bemerken, daß der
Kupferstich schon darum einen bessern Eindruck macht, als das Gemälde, weil
das später zu berührende Kolorit desselben nicht stört, noch die Flausen der Be¬
handlung mancher Partien so empfindlich fallt. -- Nichts desto weniger wird uns
die flüchtigste Vergleichung z. B. der Propheten mit ähnlichen Gestalten des
Cornelius zeigen, wie viel ärmer an Erfindung und Charakteristik jene sind,
was sich ganz vorzüglich bei den Motiven zu den Köpfen, oder zu den Ge¬
wändern zeigt, welche le^tern manieritt genannt werden müssen, ohne origeuell
oder großartig zu sein, da genau dieselbe Behandlungsart, derselbe Stoff, das
gleiche Machwerk, sogar dieselben Motive auf fast alle" Gestalten des Bildes
wiederkehren, und ein feineres Naturstudium, wie z. B. die Dispata des Raphael^
die Sybille" und Propheten des Michel Angelo so unübertrefflich zeigen, anch
nicht entfernt wahrzunehmen, sonder" die Conception durch die Ausführung über¬
all leerer geworden ist.

Eben so sehr läßt sich die Individualisirung der Gestalten vermissen, man
hat bei keiner die Empfindung, das Motiv derselben sei aus der Natur
geholt, sie gleichen sich alle, "ud contrastire" darum nur in Masse. Die Haupt¬
figur, der hohe Priester, der sich selbst ermordet, ist jedenfalls die mißlungenste
und kann weder großartig, noch schö" gedacht genannt werden, es ist ein häßlicher,
schlecht gezeichneter, aber ruhete"te"der Jude, durchweg widerlich, ohne die
Macht des Verhängnisses, das ihn trifft, irgend auszudrücken.

So können wir alle eiuzelue" Figuren durchgehen, ohne daß man im Stande


thun, sondern eher Armuth, und' so trifft man denn auch bei diesem Bilde ver¬
hältnißmäßig Wenig, was Einen recht erwärmt, die Bewunderer sind beständig
genöthigt, auf die kleine Christcngruppe im Bilde zu weisen, weil fast nichts
Anderes befriedigen kann. Die ganze Scene macht den Eindruck der Nbstchtlichkeit,
mau sieht die Mittel, durch die gewirkt werdeu soll, viel zu deutlich, als daß man
noch glauben, noch naiv empfinden könnte. So hat Kaulbach z. B. die vier
Propheten, die den Fall der Stadt voransverkündet, oben in einer Glorie an¬
gebracht, aber »icht etwa in voller Realität des Lebens, wie dies ein naiver
Künstler gethan hätte, wie es Raphael z. B. in der Dispata thut, sondern mir
in einem Nebel als wesenlose Schemen, als wenn er selbst nicht daran glaubte,
was nicht verfehlt, auch uus den Glauben daran zu rauben und uns das ganze
Motiv als die ganz überflüssige gemalte Moral des Stücks, als ein verstimmen¬
des Vorempfinden erscheinen zu lasse». Eben so wirkt auch die Ueberhäufung
der Mittel; wo Cornelius einen Engel mit dem Schwert, einen der in die Po¬
saune stößt, anbringt, zeigt uns Kaulbach deren sechs, die aber zusammen we¬
niger künstlerischen »ud ästhetischen Werth haben, als der einzige des Meisters.—
Da das Bild durch einen sehr gelungenen Kupferstich überall verbreitet und be¬
gänne ist, so will ich auf eine Kritik des Einzelnen eingehen, da deren Billigkeit
zu controlire» Jedem möglich wird. — Zunächst muß ich bemerken, daß der
Kupferstich schon darum einen bessern Eindruck macht, als das Gemälde, weil
das später zu berührende Kolorit desselben nicht stört, noch die Flausen der Be¬
handlung mancher Partien so empfindlich fallt. — Nichts desto weniger wird uns
die flüchtigste Vergleichung z. B. der Propheten mit ähnlichen Gestalten des
Cornelius zeigen, wie viel ärmer an Erfindung und Charakteristik jene sind,
was sich ganz vorzüglich bei den Motiven zu den Köpfen, oder zu den Ge¬
wändern zeigt, welche le^tern manieritt genannt werden müssen, ohne origeuell
oder großartig zu sein, da genau dieselbe Behandlungsart, derselbe Stoff, das
gleiche Machwerk, sogar dieselben Motive auf fast alle» Gestalten des Bildes
wiederkehren, und ein feineres Naturstudium, wie z. B. die Dispata des Raphael^
die Sybille» und Propheten des Michel Angelo so unübertrefflich zeigen, anch
nicht entfernt wahrzunehmen, sonder» die Conception durch die Ausführung über¬
all leerer geworden ist.

Eben so sehr läßt sich die Individualisirung der Gestalten vermissen, man
hat bei keiner die Empfindung, das Motiv derselben sei aus der Natur
geholt, sie gleichen sich alle, »ud contrastire» darum nur in Masse. Die Haupt¬
figur, der hohe Priester, der sich selbst ermordet, ist jedenfalls die mißlungenste
und kann weder großartig, noch schö» gedacht genannt werden, es ist ein häßlicher,
schlecht gezeichneter, aber ruhete»te»der Jude, durchweg widerlich, ohne die
Macht des Verhängnisses, das ihn trifft, irgend auszudrücken.

So können wir alle eiuzelue» Figuren durchgehen, ohne daß man im Stande


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/466>, abgerufen am 28.12.2024.