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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Minister der Justiz, die Tribune und erklärte, daß jenes Gesetz durch die Februar¬
revolution rechtskräftig abgeschafft worden.

Die Aufregung in Paris war indessen nicht unbedeutend, zahlreiche Gruppen
bildeten sich in den Straßen, und man sprach daselbst mit lauter Stimme davon,
Louis Bonaparte an die Spitze der Republik zu stellen. Eine Bittschrift der
Arbeiter von Billette verlangte von der Nationalversammlung, daß er zum
Konsul proklamirt werde ; in der zwölften Legion der Nationalgarde war die Rede
davon, ihn an Barbss' Stelle zum Obersten zu wählen. Die polnische Emigration,
einige der einflußreicheren Schüler des illuminirten Towianski arbeiteten und
sprachen für ihn in den Clubs nud in den geheimen Gesellschaften. Auch die
Presse fing an sich zu rühren. Das Journal Le Napoleonicn sagte bei Gelegen¬
heit der Wahl: "Wir haben in dieser Thatsache etwas Anderes als die Wahl
eines einfachen Vertreters gefunden, wir haben darin den Wunsch gesehen, daß
dem Lande eine andere Kandidatur vorgelegt werde."

Die Stimmenanzahl für Pierre Lcroux, Proudhon und Louis Bonaparte zu¬
sammenhaltend, dennueirte der Constitutiouel diese Wahl als Folge einer Allianz
der Republikaner mit den Bonapartisten. "I.o rvxrvsvvtaut <Zu xeuplv" läugnete
den Bund, allein er zeigte sich erschrocken: "Das Volk", sagte Proudhon mit
seiner kaustische" Verve, "wollte sich diesen fürstlichen Jux macheu, welcher auch
nichr der erste dieser Galtung ist, und wollte Gott, es sei der letzte! Noch vor acht
Tagen," fügte er hinzu, "war der Bürger Bonaparte nur ein schwarzer Punkt
in einem flammenrothen Himmel; vorgestern war er blos ein von Rauch ge¬
schwellter Ballon, heute ist er eine Wolke, welche den Blitz und den Donner in
ihrem Schooße birgt."

Im Vollziehungsausschusse war man viel unruhiger als in der National¬
versammlung, weil mau daselbst über den immer feindlicher werdenden Charakter,
den die Volksbewegung nahm, besser unterrichtet war. Die Volkshaufen,
welche sich in den ersten Tagen unter dem Rufe: vivo klärte-s, vivo l^ouis ^-.rpoleon
am Thore Se. Denis versammelt hatten, rücken näher und finden sich in der Nähe
des Palais Bourbon zusammen; man erwartet daselbst, so sagen sie, den Einzug
des Prinzen Louis. Der Ruf: Es lebe Barbös, wird seltner, um bald ganz zu ver¬
stummen, der Ruf: Es lebe Louis Napoleon accentuirt sich. Die Agenten der
bonapartistischen Partei wiederholen in den Gruppen, daß die Negierung den
Verbannten verhindern wollte nach Frankreich zurückzukehren; die Arbeiter sind
empört! Die Verkündigung des Gesetzes über die Znsammcnläufe, welche der
Vvllziehungsansschnß vorschlägt und die Nationalversammlung verordnet, bringt
die Volksunznfriedenheit aus den Gipfel.

Von allen Mitgliedern der Regierung war Lamartine am Meisten durch diese
Symptome beunruhigt. Bis zu jenem Tage hatte er keine ernstlichem Befürchtungen
für das Geschick der Republik gehegt. In den Kundgebungen des Volkes, welche


Minister der Justiz, die Tribune und erklärte, daß jenes Gesetz durch die Februar¬
revolution rechtskräftig abgeschafft worden.

Die Aufregung in Paris war indessen nicht unbedeutend, zahlreiche Gruppen
bildeten sich in den Straßen, und man sprach daselbst mit lauter Stimme davon,
Louis Bonaparte an die Spitze der Republik zu stellen. Eine Bittschrift der
Arbeiter von Billette verlangte von der Nationalversammlung, daß er zum
Konsul proklamirt werde ; in der zwölften Legion der Nationalgarde war die Rede
davon, ihn an Barbss' Stelle zum Obersten zu wählen. Die polnische Emigration,
einige der einflußreicheren Schüler des illuminirten Towianski arbeiteten und
sprachen für ihn in den Clubs nud in den geheimen Gesellschaften. Auch die
Presse fing an sich zu rühren. Das Journal Le Napoleonicn sagte bei Gelegen¬
heit der Wahl: „Wir haben in dieser Thatsache etwas Anderes als die Wahl
eines einfachen Vertreters gefunden, wir haben darin den Wunsch gesehen, daß
dem Lande eine andere Kandidatur vorgelegt werde."

Die Stimmenanzahl für Pierre Lcroux, Proudhon und Louis Bonaparte zu¬
sammenhaltend, dennueirte der Constitutiouel diese Wahl als Folge einer Allianz
der Republikaner mit den Bonapartisten. „I.o rvxrvsvvtaut <Zu xeuplv" läugnete
den Bund, allein er zeigte sich erschrocken: „Das Volk", sagte Proudhon mit
seiner kaustische» Verve, „wollte sich diesen fürstlichen Jux macheu, welcher auch
nichr der erste dieser Galtung ist, und wollte Gott, es sei der letzte! Noch vor acht
Tagen," fügte er hinzu, „war der Bürger Bonaparte nur ein schwarzer Punkt
in einem flammenrothen Himmel; vorgestern war er blos ein von Rauch ge¬
schwellter Ballon, heute ist er eine Wolke, welche den Blitz und den Donner in
ihrem Schooße birgt."

Im Vollziehungsausschusse war man viel unruhiger als in der National¬
versammlung, weil mau daselbst über den immer feindlicher werdenden Charakter,
den die Volksbewegung nahm, besser unterrichtet war. Die Volkshaufen,
welche sich in den ersten Tagen unter dem Rufe: vivo klärte-s, vivo l^ouis ^-.rpoleon
am Thore Se. Denis versammelt hatten, rücken näher und finden sich in der Nähe
des Palais Bourbon zusammen; man erwartet daselbst, so sagen sie, den Einzug
des Prinzen Louis. Der Ruf: Es lebe Barbös, wird seltner, um bald ganz zu ver¬
stummen, der Ruf: Es lebe Louis Napoleon accentuirt sich. Die Agenten der
bonapartistischen Partei wiederholen in den Gruppen, daß die Negierung den
Verbannten verhindern wollte nach Frankreich zurückzukehren; die Arbeiter sind
empört! Die Verkündigung des Gesetzes über die Znsammcnläufe, welche der
Vvllziehungsansschnß vorschlägt und die Nationalversammlung verordnet, bringt
die Volksunznfriedenheit aus den Gipfel.

Von allen Mitgliedern der Regierung war Lamartine am Meisten durch diese
Symptome beunruhigt. Bis zu jenem Tage hatte er keine ernstlichem Befürchtungen
für das Geschick der Republik gehegt. In den Kundgebungen des Volkes, welche


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[0386] Minister der Justiz, die Tribune und erklärte, daß jenes Gesetz durch die Februar¬ revolution rechtskräftig abgeschafft worden. Die Aufregung in Paris war indessen nicht unbedeutend, zahlreiche Gruppen bildeten sich in den Straßen, und man sprach daselbst mit lauter Stimme davon, Louis Bonaparte an die Spitze der Republik zu stellen. Eine Bittschrift der Arbeiter von Billette verlangte von der Nationalversammlung, daß er zum Konsul proklamirt werde ; in der zwölften Legion der Nationalgarde war die Rede davon, ihn an Barbss' Stelle zum Obersten zu wählen. Die polnische Emigration, einige der einflußreicheren Schüler des illuminirten Towianski arbeiteten und sprachen für ihn in den Clubs nud in den geheimen Gesellschaften. Auch die Presse fing an sich zu rühren. Das Journal Le Napoleonicn sagte bei Gelegen¬ heit der Wahl: „Wir haben in dieser Thatsache etwas Anderes als die Wahl eines einfachen Vertreters gefunden, wir haben darin den Wunsch gesehen, daß dem Lande eine andere Kandidatur vorgelegt werde." Die Stimmenanzahl für Pierre Lcroux, Proudhon und Louis Bonaparte zu¬ sammenhaltend, dennueirte der Constitutiouel diese Wahl als Folge einer Allianz der Republikaner mit den Bonapartisten. „I.o rvxrvsvvtaut <Zu xeuplv" läugnete den Bund, allein er zeigte sich erschrocken: „Das Volk", sagte Proudhon mit seiner kaustische» Verve, „wollte sich diesen fürstlichen Jux macheu, welcher auch nichr der erste dieser Galtung ist, und wollte Gott, es sei der letzte! Noch vor acht Tagen," fügte er hinzu, „war der Bürger Bonaparte nur ein schwarzer Punkt in einem flammenrothen Himmel; vorgestern war er blos ein von Rauch ge¬ schwellter Ballon, heute ist er eine Wolke, welche den Blitz und den Donner in ihrem Schooße birgt." Im Vollziehungsausschusse war man viel unruhiger als in der National¬ versammlung, weil mau daselbst über den immer feindlicher werdenden Charakter, den die Volksbewegung nahm, besser unterrichtet war. Die Volkshaufen, welche sich in den ersten Tagen unter dem Rufe: vivo klärte-s, vivo l^ouis ^-.rpoleon am Thore Se. Denis versammelt hatten, rücken näher und finden sich in der Nähe des Palais Bourbon zusammen; man erwartet daselbst, so sagen sie, den Einzug des Prinzen Louis. Der Ruf: Es lebe Barbös, wird seltner, um bald ganz zu ver¬ stummen, der Ruf: Es lebe Louis Napoleon accentuirt sich. Die Agenten der bonapartistischen Partei wiederholen in den Gruppen, daß die Negierung den Verbannten verhindern wollte nach Frankreich zurückzukehren; die Arbeiter sind empört! Die Verkündigung des Gesetzes über die Znsammcnläufe, welche der Vvllziehungsansschnß vorschlägt und die Nationalversammlung verordnet, bringt die Volksunznfriedenheit aus den Gipfel. Von allen Mitgliedern der Regierung war Lamartine am Meisten durch diese Symptome beunruhigt. Bis zu jenem Tage hatte er keine ernstlichem Befürchtungen für das Geschick der Republik gehegt. In den Kundgebungen des Volkes, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/386>, abgerufen am 28.12.2024.