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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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so scharf und sicher, daß selbst die springende Form ihrer Erzählung uns nie¬
mals verwirrt. Fast alle Nebenfiguren find auf das Vortrefflichste abgerundet, und
namentlich die Zustände des Pensionats, in welchem Lucy Lehrerin ist, und welches
in Billette liegt, der Hauptstadt von Labassecour (Belgien), meisterhaft versinn-
licht. Unter den männlichen Charakteren sind mit Ausnahme einer höchst ori¬
ginellen Figur, deö französischen Lehrers Emanuel Paul, der sehr drollig nud
dabei sehr wahr geschildert ist, die meisten uns schon aus Currer Bell's frühern
Romanen bekannt. Um in diese einfachen Verhältnisse etwas buntere Farben
zu bringen, sind zwei brillante Frauengestalten mit in die Erzählung verwebt,
Ginevra Fanshawe und Pauline Home. Die erste ist vortrefflich gemalt, und
außerordentlich belustigend, die letztere dagegen, der romantische Charakter des
Romans, der sehr stark an Mignon erinnert, bleibt fast ganz Arabeske, und in-
teressirt uns nur durch einige glücklich erfundene Züge. Ferner werden wir zum
Schluß noch in einige romantische Geschichten verwickelt, die aber im höchsten
Grade mißlungen sind, und fast an das Lächerliche streifen, und als am Ende
gar, um mit der pessimistischen Stimmung TlMkerays zu schließen, in uns die
Muthmaßung hervorgerufen wird, das Schiff, welches endlich der Heldin den
langersehnten Bräutigam zuführen soll, sei in einem beliebigen Sturme verun¬
glückt, wird uns ganz albern zu Muthe. Diese einzelnen verkehrten Züge könnten
leicht weggewischt werden, denn sie gehören eigentlich gar nicht zur Handlung,
aber sie stören uns sehr. ---

Wir wenden uns jetzt zu einem zweiten Roman: Lady-Bird (Johannis¬
würmchen) von Lady Georgicma Fullerton. Er ist in jeder Weise das Ge¬
gentheil deö vorigen. Wir bewegen uns im reinsten Idealismus, der um so
zarter und ätherischer ist, da er eine katholische Färbung hat. Lady Fnllcrtvn
hat sich durch zwei frühere Romane: Mwir IMlcllulmr und ^rüI^-NMor,
der vornehmen Welt bekannt gemacht; namentlich der erstere war längere Zeit
hindurch ein LieblingSbnch der höhern Stände. Was das Johanniswürmchen
betrifft, so ist es eine junge Dame von sehr lebhaftem Temperament, poetischer
Anlage, und einer ziemlichen Neigung zur Coquetterie, die das Herz sämmtlicher
Künstler und junger Aristokraten zerreißt, durch ihre Launenhaftigkeit in ein
ziemlich unpassendes Eheverhältniß verstrickt wird, und später als gute Katholikin
durch Werke der Liebe ihren Frieden mit dem Himmel schließt. Als Gegenbild
zu dieser glänzenden Erscheinung ist ein frommes Mädchen aus den niedern
Ständen hingestellt, die mit einer hingebenden Liebe anfängt, und als barmher¬
zige Schwester endigt; ein gcfühl- und talentvoller, aber charakterloser Künstler
und die ideale Figur eines katholischen Aristokraten vollenden die Gruppe. Die
übrigen Personen, wie bunt sie auch ausgeführt sind, dienen doch mehr zur
Staffage. Die Handlung, namentlich aber die Costümirnng hat in der That
eine poetische Färbung, man merkt überall, daß man es mit einer Dame von


so scharf und sicher, daß selbst die springende Form ihrer Erzählung uns nie¬
mals verwirrt. Fast alle Nebenfiguren find auf das Vortrefflichste abgerundet, und
namentlich die Zustände des Pensionats, in welchem Lucy Lehrerin ist, und welches
in Billette liegt, der Hauptstadt von Labassecour (Belgien), meisterhaft versinn-
licht. Unter den männlichen Charakteren sind mit Ausnahme einer höchst ori¬
ginellen Figur, deö französischen Lehrers Emanuel Paul, der sehr drollig nud
dabei sehr wahr geschildert ist, die meisten uns schon aus Currer Bell's frühern
Romanen bekannt. Um in diese einfachen Verhältnisse etwas buntere Farben
zu bringen, sind zwei brillante Frauengestalten mit in die Erzählung verwebt,
Ginevra Fanshawe und Pauline Home. Die erste ist vortrefflich gemalt, und
außerordentlich belustigend, die letztere dagegen, der romantische Charakter des
Romans, der sehr stark an Mignon erinnert, bleibt fast ganz Arabeske, und in-
teressirt uns nur durch einige glücklich erfundene Züge. Ferner werden wir zum
Schluß noch in einige romantische Geschichten verwickelt, die aber im höchsten
Grade mißlungen sind, und fast an das Lächerliche streifen, und als am Ende
gar, um mit der pessimistischen Stimmung TlMkerays zu schließen, in uns die
Muthmaßung hervorgerufen wird, das Schiff, welches endlich der Heldin den
langersehnten Bräutigam zuführen soll, sei in einem beliebigen Sturme verun¬
glückt, wird uns ganz albern zu Muthe. Diese einzelnen verkehrten Züge könnten
leicht weggewischt werden, denn sie gehören eigentlich gar nicht zur Handlung,
aber sie stören uns sehr. -—

Wir wenden uns jetzt zu einem zweiten Roman: Lady-Bird (Johannis¬
würmchen) von Lady Georgicma Fullerton. Er ist in jeder Weise das Ge¬
gentheil deö vorigen. Wir bewegen uns im reinsten Idealismus, der um so
zarter und ätherischer ist, da er eine katholische Färbung hat. Lady Fnllcrtvn
hat sich durch zwei frühere Romane: Mwir IMlcllulmr und ^rüI^-NMor,
der vornehmen Welt bekannt gemacht; namentlich der erstere war längere Zeit
hindurch ein LieblingSbnch der höhern Stände. Was das Johanniswürmchen
betrifft, so ist es eine junge Dame von sehr lebhaftem Temperament, poetischer
Anlage, und einer ziemlichen Neigung zur Coquetterie, die das Herz sämmtlicher
Künstler und junger Aristokraten zerreißt, durch ihre Launenhaftigkeit in ein
ziemlich unpassendes Eheverhältniß verstrickt wird, und später als gute Katholikin
durch Werke der Liebe ihren Frieden mit dem Himmel schließt. Als Gegenbild
zu dieser glänzenden Erscheinung ist ein frommes Mädchen aus den niedern
Ständen hingestellt, die mit einer hingebenden Liebe anfängt, und als barmher¬
zige Schwester endigt; ein gcfühl- und talentvoller, aber charakterloser Künstler
und die ideale Figur eines katholischen Aristokraten vollenden die Gruppe. Die
übrigen Personen, wie bunt sie auch ausgeführt sind, dienen doch mehr zur
Staffage. Die Handlung, namentlich aber die Costümirnng hat in der That
eine poetische Färbung, man merkt überall, daß man es mit einer Dame von


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[0372] so scharf und sicher, daß selbst die springende Form ihrer Erzählung uns nie¬ mals verwirrt. Fast alle Nebenfiguren find auf das Vortrefflichste abgerundet, und namentlich die Zustände des Pensionats, in welchem Lucy Lehrerin ist, und welches in Billette liegt, der Hauptstadt von Labassecour (Belgien), meisterhaft versinn- licht. Unter den männlichen Charakteren sind mit Ausnahme einer höchst ori¬ ginellen Figur, deö französischen Lehrers Emanuel Paul, der sehr drollig nud dabei sehr wahr geschildert ist, die meisten uns schon aus Currer Bell's frühern Romanen bekannt. Um in diese einfachen Verhältnisse etwas buntere Farben zu bringen, sind zwei brillante Frauengestalten mit in die Erzählung verwebt, Ginevra Fanshawe und Pauline Home. Die erste ist vortrefflich gemalt, und außerordentlich belustigend, die letztere dagegen, der romantische Charakter des Romans, der sehr stark an Mignon erinnert, bleibt fast ganz Arabeske, und in- teressirt uns nur durch einige glücklich erfundene Züge. Ferner werden wir zum Schluß noch in einige romantische Geschichten verwickelt, die aber im höchsten Grade mißlungen sind, und fast an das Lächerliche streifen, und als am Ende gar, um mit der pessimistischen Stimmung TlMkerays zu schließen, in uns die Muthmaßung hervorgerufen wird, das Schiff, welches endlich der Heldin den langersehnten Bräutigam zuführen soll, sei in einem beliebigen Sturme verun¬ glückt, wird uns ganz albern zu Muthe. Diese einzelnen verkehrten Züge könnten leicht weggewischt werden, denn sie gehören eigentlich gar nicht zur Handlung, aber sie stören uns sehr. -— Wir wenden uns jetzt zu einem zweiten Roman: Lady-Bird (Johannis¬ würmchen) von Lady Georgicma Fullerton. Er ist in jeder Weise das Ge¬ gentheil deö vorigen. Wir bewegen uns im reinsten Idealismus, der um so zarter und ätherischer ist, da er eine katholische Färbung hat. Lady Fnllcrtvn hat sich durch zwei frühere Romane: Mwir IMlcllulmr und ^rüI^-NMor, der vornehmen Welt bekannt gemacht; namentlich der erstere war längere Zeit hindurch ein LieblingSbnch der höhern Stände. Was das Johanniswürmchen betrifft, so ist es eine junge Dame von sehr lebhaftem Temperament, poetischer Anlage, und einer ziemlichen Neigung zur Coquetterie, die das Herz sämmtlicher Künstler und junger Aristokraten zerreißt, durch ihre Launenhaftigkeit in ein ziemlich unpassendes Eheverhältniß verstrickt wird, und später als gute Katholikin durch Werke der Liebe ihren Frieden mit dem Himmel schließt. Als Gegenbild zu dieser glänzenden Erscheinung ist ein frommes Mädchen aus den niedern Ständen hingestellt, die mit einer hingebenden Liebe anfängt, und als barmher¬ zige Schwester endigt; ein gcfühl- und talentvoller, aber charakterloser Künstler und die ideale Figur eines katholischen Aristokraten vollenden die Gruppe. Die übrigen Personen, wie bunt sie auch ausgeführt sind, dienen doch mehr zur Staffage. Die Handlung, namentlich aber die Costümirnng hat in der That eine poetische Färbung, man merkt überall, daß man es mit einer Dame von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/372>, abgerufen am 28.12.2024.