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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Die weibliche Feder ist in einem Roman leicht herauszuerkennen; die eigent¬
lichen Helden der Franenromanc find Männer, wo möglich mit schwarzen Haaren,
blassem Gesicht "ut bedeutender Stirn; aber sie werden mir episch geschildert, sie
sind nur der Gegenstand, die Tiefe der Empfindungswelt geht uns erst in den
weiblichen Charakteren aus. -- Cnrrer Bell hat ein gutes Auge für Originale,
ihre Empfindungsweise ist so wenig sentimental, daß sie ans Scheu vor der Sen¬
timentalität zuweilen barock wird. Ihre männlichen Helden sind hart, rauh, schwer
zu behandeln, zuweilen geradezu bärenhaft, und hegen ihren Vorrat!) von Ge¬
fühlen tief im Herzen verborgen. Sie zeichnen sich vor den gewöhnlichen Helden
der Frauenromanc dadurch aus, daß Jeder von ihnen eine bestimmte Beschäftigung,
eine productive Stellung in der Gesellschaft hat, daß sie nicht in Poesie, Liebe,
Mondschein und schwarzen Haaren aufgehen. -- Die Frauen gehen mit ihren Em¬
pfindungen freier heraus, sie öffnen sich sogar viel leichter, als die Sitte in Eng¬
land es sonst mit sich bringt, aber es ist in dieser Hingebung bei aller Innigkeit
ein gesundes und lebhaftes Gefühl, das der Sehnsucht Widerstand leistet. Wo
möglich wollen sie lieben und geliebt werden, wenn das ihnen aber vom Schicksal
versagt wird, so springen sie nicht ins Wasser, gehen nicht ins Kloster, werden
nicht verrückt, sondern sie suchen eine Beschäftigung, die ihr Leben wenigstens
theilweise auszufüllen im Staude ist, und wenn sie darüber sterben, so geschieht
es wenigstens nicht ohne Kampf und Widerstand. In der Regel sterben sie aber
nicht, denn Currer Bell ist nicht unnöthig grausam; eine Eigenschaft, die in
unserer Zeit sehr anzuerkennen ist. -- Diese Resignation ist keineswegs Mangel
an Temperament, wie in der Agnes im Copperfield, die so engelhast passiv ist,
daß man vermuthen muß, sie habe weder Fleisch noch Blut, sondern das Fieber
verschmähter Liebe wüthet sehr hart und gewaltig, und es gehört eine nicht ge¬
meine Kraft der Seele dazu, darüber Herr zu werden.

Der Kreis der Anschauungen ist bei unsrer Dichterin nicht groß, darin hat
sie mit Friederike Bremer Achnlichkeit, an die sie auch durch die Wahl ihrer Ge¬
genstände erinnert, die sie aber an Sicherheit und Feinheit der Zeichnung bei
weitem übertrifft. Die Heldin des gegenwärtigen Romans, Lucy Snvwe, ist in
den Grundzügen ihres Charakters das getreue Ebenbild von Jane Eyre, sie ist
sogar eigentlich noch stiefmütterlicher behandelt, denn nicht blos ihre äußere Per¬
sönlichkeit wird als höchst unbedeutend geschildert, sondern in ihrem Wesen ist
auch fast keine Spur jener Liebenswürdigkeit, die uns immer einnimmt, auch wo
sie uns nicht fesselt. Auch in ihren äußern Schicksalen ist eine große Achn¬
lichkeit: sie fängt mit dem Stand einer Gouvernante an, und ist nach der Reihe
.in zwei Männer verliebt, die äußerst bärenhaft mit ihr umgehen. Aber es ist
n der Darstellung ihrer Empfindungen und ihrer einzelnen Schicksale eine Vir¬
tuosität und zugleich eine Wahrheit, die uns Bewunderung almöthigt. Die
Dichterin empfindet so lebhaft die Details der Seele, und ihre Auffassung ist


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Die weibliche Feder ist in einem Roman leicht herauszuerkennen; die eigent¬
lichen Helden der Franenromanc find Männer, wo möglich mit schwarzen Haaren,
blassem Gesicht »ut bedeutender Stirn; aber sie werden mir episch geschildert, sie
sind nur der Gegenstand, die Tiefe der Empfindungswelt geht uns erst in den
weiblichen Charakteren aus. — Cnrrer Bell hat ein gutes Auge für Originale,
ihre Empfindungsweise ist so wenig sentimental, daß sie ans Scheu vor der Sen¬
timentalität zuweilen barock wird. Ihre männlichen Helden sind hart, rauh, schwer
zu behandeln, zuweilen geradezu bärenhaft, und hegen ihren Vorrat!) von Ge¬
fühlen tief im Herzen verborgen. Sie zeichnen sich vor den gewöhnlichen Helden
der Frauenromanc dadurch aus, daß Jeder von ihnen eine bestimmte Beschäftigung,
eine productive Stellung in der Gesellschaft hat, daß sie nicht in Poesie, Liebe,
Mondschein und schwarzen Haaren aufgehen. — Die Frauen gehen mit ihren Em¬
pfindungen freier heraus, sie öffnen sich sogar viel leichter, als die Sitte in Eng¬
land es sonst mit sich bringt, aber es ist in dieser Hingebung bei aller Innigkeit
ein gesundes und lebhaftes Gefühl, das der Sehnsucht Widerstand leistet. Wo
möglich wollen sie lieben und geliebt werden, wenn das ihnen aber vom Schicksal
versagt wird, so springen sie nicht ins Wasser, gehen nicht ins Kloster, werden
nicht verrückt, sondern sie suchen eine Beschäftigung, die ihr Leben wenigstens
theilweise auszufüllen im Staude ist, und wenn sie darüber sterben, so geschieht
es wenigstens nicht ohne Kampf und Widerstand. In der Regel sterben sie aber
nicht, denn Currer Bell ist nicht unnöthig grausam; eine Eigenschaft, die in
unserer Zeit sehr anzuerkennen ist. — Diese Resignation ist keineswegs Mangel
an Temperament, wie in der Agnes im Copperfield, die so engelhast passiv ist,
daß man vermuthen muß, sie habe weder Fleisch noch Blut, sondern das Fieber
verschmähter Liebe wüthet sehr hart und gewaltig, und es gehört eine nicht ge¬
meine Kraft der Seele dazu, darüber Herr zu werden.

Der Kreis der Anschauungen ist bei unsrer Dichterin nicht groß, darin hat
sie mit Friederike Bremer Achnlichkeit, an die sie auch durch die Wahl ihrer Ge¬
genstände erinnert, die sie aber an Sicherheit und Feinheit der Zeichnung bei
weitem übertrifft. Die Heldin des gegenwärtigen Romans, Lucy Snvwe, ist in
den Grundzügen ihres Charakters das getreue Ebenbild von Jane Eyre, sie ist
sogar eigentlich noch stiefmütterlicher behandelt, denn nicht blos ihre äußere Per¬
sönlichkeit wird als höchst unbedeutend geschildert, sondern in ihrem Wesen ist
auch fast keine Spur jener Liebenswürdigkeit, die uns immer einnimmt, auch wo
sie uns nicht fesselt. Auch in ihren äußern Schicksalen ist eine große Achn¬
lichkeit: sie fängt mit dem Stand einer Gouvernante an, und ist nach der Reihe
.in zwei Männer verliebt, die äußerst bärenhaft mit ihr umgehen. Aber es ist
n der Darstellung ihrer Empfindungen und ihrer einzelnen Schicksale eine Vir¬
tuosität und zugleich eine Wahrheit, die uns Bewunderung almöthigt. Die
Dichterin empfindet so lebhaft die Details der Seele, und ihre Auffassung ist


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[0371] Die weibliche Feder ist in einem Roman leicht herauszuerkennen; die eigent¬ lichen Helden der Franenromanc find Männer, wo möglich mit schwarzen Haaren, blassem Gesicht »ut bedeutender Stirn; aber sie werden mir episch geschildert, sie sind nur der Gegenstand, die Tiefe der Empfindungswelt geht uns erst in den weiblichen Charakteren aus. — Cnrrer Bell hat ein gutes Auge für Originale, ihre Empfindungsweise ist so wenig sentimental, daß sie ans Scheu vor der Sen¬ timentalität zuweilen barock wird. Ihre männlichen Helden sind hart, rauh, schwer zu behandeln, zuweilen geradezu bärenhaft, und hegen ihren Vorrat!) von Ge¬ fühlen tief im Herzen verborgen. Sie zeichnen sich vor den gewöhnlichen Helden der Frauenromanc dadurch aus, daß Jeder von ihnen eine bestimmte Beschäftigung, eine productive Stellung in der Gesellschaft hat, daß sie nicht in Poesie, Liebe, Mondschein und schwarzen Haaren aufgehen. — Die Frauen gehen mit ihren Em¬ pfindungen freier heraus, sie öffnen sich sogar viel leichter, als die Sitte in Eng¬ land es sonst mit sich bringt, aber es ist in dieser Hingebung bei aller Innigkeit ein gesundes und lebhaftes Gefühl, das der Sehnsucht Widerstand leistet. Wo möglich wollen sie lieben und geliebt werden, wenn das ihnen aber vom Schicksal versagt wird, so springen sie nicht ins Wasser, gehen nicht ins Kloster, werden nicht verrückt, sondern sie suchen eine Beschäftigung, die ihr Leben wenigstens theilweise auszufüllen im Staude ist, und wenn sie darüber sterben, so geschieht es wenigstens nicht ohne Kampf und Widerstand. In der Regel sterben sie aber nicht, denn Currer Bell ist nicht unnöthig grausam; eine Eigenschaft, die in unserer Zeit sehr anzuerkennen ist. — Diese Resignation ist keineswegs Mangel an Temperament, wie in der Agnes im Copperfield, die so engelhast passiv ist, daß man vermuthen muß, sie habe weder Fleisch noch Blut, sondern das Fieber verschmähter Liebe wüthet sehr hart und gewaltig, und es gehört eine nicht ge¬ meine Kraft der Seele dazu, darüber Herr zu werden. Der Kreis der Anschauungen ist bei unsrer Dichterin nicht groß, darin hat sie mit Friederike Bremer Achnlichkeit, an die sie auch durch die Wahl ihrer Ge¬ genstände erinnert, die sie aber an Sicherheit und Feinheit der Zeichnung bei weitem übertrifft. Die Heldin des gegenwärtigen Romans, Lucy Snvwe, ist in den Grundzügen ihres Charakters das getreue Ebenbild von Jane Eyre, sie ist sogar eigentlich noch stiefmütterlicher behandelt, denn nicht blos ihre äußere Per¬ sönlichkeit wird als höchst unbedeutend geschildert, sondern in ihrem Wesen ist auch fast keine Spur jener Liebenswürdigkeit, die uns immer einnimmt, auch wo sie uns nicht fesselt. Auch in ihren äußern Schicksalen ist eine große Achn¬ lichkeit: sie fängt mit dem Stand einer Gouvernante an, und ist nach der Reihe .in zwei Männer verliebt, die äußerst bärenhaft mit ihr umgehen. Aber es ist n der Darstellung ihrer Empfindungen und ihrer einzelnen Schicksale eine Vir¬ tuosität und zugleich eine Wahrheit, die uns Bewunderung almöthigt. Die Dichterin empfindet so lebhaft die Details der Seele, und ihre Auffassung ist le*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/371>, abgerufen am 24.07.2024.