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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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andere Zuflucht, als zur Frau Venus, -- und dahin gehört er auch. Daß nach
diesem aber doch noch die Liebe sühnend eintreten soll, ist gänzlich vergriffen.
Elisabeth, bei der von Liebe auch nicht mehr die Rede sein kann, betet, leidet
und stirbt seinetwegen; allein daß dieser Tod eine sühnende Kraft habe, nachdem
die Liebe der Lebenden sie nicht bewähren konnte, das hat eben so wenig poetische
Wahrheit, als die nachträgliche Erzählung von dem Wunder, an das der Papst
die Möglichkeit der Erlösung gebunden hatte. Ohne Zweifel kann der Dichter
seinem Publicum zumuthen, sich in die Anschauungsweise einer vergangenen
Zeit oder eines fremden Volkes zu versetzen, wenn er dieselbe rein und scharf
darzustellen vermag, allein ein Maun, der so entschieden der Gegenwart an¬
gehören will, wie Wagner, wird selbst nicht in Abrede stellen, daß, um eine Sage
poetisch neu zu beleben und zu gestalten, der Dichter ihre Motivirung durchaus
nur auf die allgemein giltigen Gesetzen der Kunst begründen muß und nicht im
Nothfall anch das benutzen darf, was nur einer vergangenen Zeit angehört und
keine allgemeine poetische Wahrheit hat.

Wenn es Wagner nicht gelungen ist, die tragische Idee seines Stoffes klar
aufzufassen und in ihren Motiven durchzubilden, so kann nothwendig auch weder
die Entwickelung der Handlung, noch die Charakteristik der Personen gerechten
Anforderungen entsprechen. Vom Tannhäuser leuchtet das schon aus dem Obigen
ein, es tritt aber bei seiner Charakteristik noch ein anderer Mangel hervor, der
sein Verhältniß zu den beiden weiblichen Wesen ganz im Unklaren läßt. Als der
begeisterte Dichter der Liebe soll er uns erscheinen, denn durch seine Liebesgedichte
hat er sich die Gunst der Venus und die Liebe der Elisabeth gewonnen. Wie
ist das möglich? fragt man erstaunt. Wie konnte der Ausdruck sinnlicher Gluth
das Herz der keuschen Jungfrau fesseln, wie konnten reine Minnelieder ihm die Huld
der Venus zuwenden? Wir sollen die Ursache glauben, weil wir die Wirkung auf
der Bühne sehen, allein zur poetischen Rechtfertigung genügt dieser Augenschein denn
doch noch uicht, und wenn das Dilemma etwa dadurch gelöst sein soll, daß Tannhäuser,
indem er vor Frau Venus die Liebe besingt, ihr selbst absagt, vor Elisabeth aber
Frau Venus preist, so genügt dies ganz und gar nicht. Abgesehen davon, daß
Wagner kein Dichter ist, der einen Dichter in seiner siegreichen Macht über alle
Herzen darstellen könnte, so tritt anch hier der bereits bemerkte Mangel hervor.
Es ist ganz unbegreiflich, wie der Tannhäuser, den uns Wagner zeigt, ein über¬
müthiger und glühend sinnlicher Maun, die Liebe der Elisabeth gewinnen konnte,
und die nothwendige Folge ist, daß auch die Charakteristik dieser unbedeutend
wird, da die wesentliche Grundbedingung ihrer poetischen Existenz, ihre Liebe zu
Tannhäuser, nicht klar gemacht ist.

Ju das Verhältniß der Frau Venus zu Tannhäuser hat nun Wagner ein eignes
Motiv hineingebracht, das man aber nicht glücklich nennen kann. Ursprünglich ist sie
nichts, als der zum Dämon verkörperte sinnliche Liebesreiz in seiner den Menschen


andere Zuflucht, als zur Frau Venus, — und dahin gehört er auch. Daß nach
diesem aber doch noch die Liebe sühnend eintreten soll, ist gänzlich vergriffen.
Elisabeth, bei der von Liebe auch nicht mehr die Rede sein kann, betet, leidet
und stirbt seinetwegen; allein daß dieser Tod eine sühnende Kraft habe, nachdem
die Liebe der Lebenden sie nicht bewähren konnte, das hat eben so wenig poetische
Wahrheit, als die nachträgliche Erzählung von dem Wunder, an das der Papst
die Möglichkeit der Erlösung gebunden hatte. Ohne Zweifel kann der Dichter
seinem Publicum zumuthen, sich in die Anschauungsweise einer vergangenen
Zeit oder eines fremden Volkes zu versetzen, wenn er dieselbe rein und scharf
darzustellen vermag, allein ein Maun, der so entschieden der Gegenwart an¬
gehören will, wie Wagner, wird selbst nicht in Abrede stellen, daß, um eine Sage
poetisch neu zu beleben und zu gestalten, der Dichter ihre Motivirung durchaus
nur auf die allgemein giltigen Gesetzen der Kunst begründen muß und nicht im
Nothfall anch das benutzen darf, was nur einer vergangenen Zeit angehört und
keine allgemeine poetische Wahrheit hat.

Wenn es Wagner nicht gelungen ist, die tragische Idee seines Stoffes klar
aufzufassen und in ihren Motiven durchzubilden, so kann nothwendig auch weder
die Entwickelung der Handlung, noch die Charakteristik der Personen gerechten
Anforderungen entsprechen. Vom Tannhäuser leuchtet das schon aus dem Obigen
ein, es tritt aber bei seiner Charakteristik noch ein anderer Mangel hervor, der
sein Verhältniß zu den beiden weiblichen Wesen ganz im Unklaren läßt. Als der
begeisterte Dichter der Liebe soll er uns erscheinen, denn durch seine Liebesgedichte
hat er sich die Gunst der Venus und die Liebe der Elisabeth gewonnen. Wie
ist das möglich? fragt man erstaunt. Wie konnte der Ausdruck sinnlicher Gluth
das Herz der keuschen Jungfrau fesseln, wie konnten reine Minnelieder ihm die Huld
der Venus zuwenden? Wir sollen die Ursache glauben, weil wir die Wirkung auf
der Bühne sehen, allein zur poetischen Rechtfertigung genügt dieser Augenschein denn
doch noch uicht, und wenn das Dilemma etwa dadurch gelöst sein soll, daß Tannhäuser,
indem er vor Frau Venus die Liebe besingt, ihr selbst absagt, vor Elisabeth aber
Frau Venus preist, so genügt dies ganz und gar nicht. Abgesehen davon, daß
Wagner kein Dichter ist, der einen Dichter in seiner siegreichen Macht über alle
Herzen darstellen könnte, so tritt anch hier der bereits bemerkte Mangel hervor.
Es ist ganz unbegreiflich, wie der Tannhäuser, den uns Wagner zeigt, ein über¬
müthiger und glühend sinnlicher Maun, die Liebe der Elisabeth gewinnen konnte,
und die nothwendige Folge ist, daß auch die Charakteristik dieser unbedeutend
wird, da die wesentliche Grundbedingung ihrer poetischen Existenz, ihre Liebe zu
Tannhäuser, nicht klar gemacht ist.

Ju das Verhältniß der Frau Venus zu Tannhäuser hat nun Wagner ein eignes
Motiv hineingebracht, das man aber nicht glücklich nennen kann. Ursprünglich ist sie
nichts, als der zum Dämon verkörperte sinnliche Liebesreiz in seiner den Menschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/338>, abgerufen am 24.07.2024.