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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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unnatürlich, daß er, wahrend er sich im Venusberg nach allen möglichen Dingen
sehnt, an Elisabeth allein nicht denkt. Indessen ist in der reinigenden Kraft einer
wahren Liebe, in der Hingebung einer reinen weiblichen Seele min ein neues
Motiv gegeben, deu Zauber des rein sinnlich fesselnden VennSbergeS zu bannen;
die Aufgabe des Dichters ist es, dasselbe mit dem schon eingeführten religiösen
in Einklang zu bringen, beide zu erhöhter Wirksamkeit zu verschmelzen und als
aus einem und demselben tiefen Quell herstammend, in ihrer wesentlichen Einheit
darzustellen. Statt dessen aber kommt keins derselben zu vollkommen klarer Ent¬
wickelung, und schließlich bleiben beide unwirksam.

Der Kampf der Sänger, bei welchem Tannhäuser durch el" Lied zum
Preis der wahren Liebe Elisabeth gewinnen soll, wird sein Verderben. Denn
kaum ist diese Saite berührt, so faßt ihn der dämonische Zauber, der ihn die
Liebe nnr als Genuß, als sinnlichen Genuß begreifen läßt, und die Erinnerung
an Fran Venus bemächtigt sich seiner mit unwiderstehlicher Gewalt. Hierin liegt
unverkennbar eine psychologische Wahrheit, ein tragisches Motiv, das aber den
Untergang Tannhäuser's mit Nothwendigkeit bedingt. Wenn er, nachdem er
sich aus den Armen der Frau Venus losgerissen hat durch seinen Glaube" an
Maria, wie wir Wagner glauben sollen, nachdem er in Elisabeth das Wesen der
wahre" und reinen Liebe erkannt hüt, doch in seinem Jniierste" nnr von der
Frau Venus beherrscht wird, so ist eben der Kampf der i" ihm streitenden Ele¬
mente seiner sinnlichen und sittlichen Natur damit entschiede". Daß in Wahrheit
dieser Kampf i" jedem Menschen sich stets wieder erneuert und durchzuringen ist,
gilt natürlich nicht für den dramatischen Dichter, dessen Aufgabe es ist, diesen
Kampf zu einem entscheidenden Moment zu concentriren. Nach der antiken Auf-
fassung mußte Tannhäuser uach dieser sittlichen Niederlage anch physisch unter¬
gehen, uach mittelalterlicher brennt ewig in der Hölle, wer im Venusberg ge¬
weilt hat; wem "ach jetziger Auffassungsweise Beides zu herbe ist, der muß der
sittliche" Kraft im Menschen freien Spielraum geben zum Kämpfen und Siegen.
Was Wagner weiter für Tannhäuser's Sühnung geschehen läßt, ist rein äußerlich
und ohne psychologische Motivirung, auch stehen sich dabei beide von ihm ange¬
schlagenen Motive im Wege. Er zieht halb auf Befehl, halb aus eigenem An¬
trieb mit den Pilgern "ach Rom, um vom Papst Absolution zu erlange". Und
nun wird es erst recht klar, wie übel berechnet es war, dieses Motiv schon früher
zu benutzen, dann fallen zu lassen, wie ein ungeschickter Arzt nach einem neue"
Mittel greift, ehe das erste wirken konnte, und später ganz in derselbe" Weise
wieder aufzunehmen. Daß Tannhäuser von Rom ""verrichteter Sache heimkehrt,
weiß man vorher; aus der Beschreibung, die er Wolfram von seiner Pilgerfahrt
macht, geht klar hervor, daß seine fanatische Neue nur eine andere Aeußerung
derselben sinnlichen Natur ist, wie seine Liebe. Als ihm der Papst keine Ab¬
solution giebt, ist es auch mit seiner Reue vorbei, und er weiß anch jetzt keine


Grenzbote". I, 1863, i2

unnatürlich, daß er, wahrend er sich im Venusberg nach allen möglichen Dingen
sehnt, an Elisabeth allein nicht denkt. Indessen ist in der reinigenden Kraft einer
wahren Liebe, in der Hingebung einer reinen weiblichen Seele min ein neues
Motiv gegeben, deu Zauber des rein sinnlich fesselnden VennSbergeS zu bannen;
die Aufgabe des Dichters ist es, dasselbe mit dem schon eingeführten religiösen
in Einklang zu bringen, beide zu erhöhter Wirksamkeit zu verschmelzen und als
aus einem und demselben tiefen Quell herstammend, in ihrer wesentlichen Einheit
darzustellen. Statt dessen aber kommt keins derselben zu vollkommen klarer Ent¬
wickelung, und schließlich bleiben beide unwirksam.

Der Kampf der Sänger, bei welchem Tannhäuser durch el» Lied zum
Preis der wahren Liebe Elisabeth gewinnen soll, wird sein Verderben. Denn
kaum ist diese Saite berührt, so faßt ihn der dämonische Zauber, der ihn die
Liebe nnr als Genuß, als sinnlichen Genuß begreifen läßt, und die Erinnerung
an Fran Venus bemächtigt sich seiner mit unwiderstehlicher Gewalt. Hierin liegt
unverkennbar eine psychologische Wahrheit, ein tragisches Motiv, das aber den
Untergang Tannhäuser's mit Nothwendigkeit bedingt. Wenn er, nachdem er
sich aus den Armen der Frau Venus losgerissen hat durch seinen Glaube» an
Maria, wie wir Wagner glauben sollen, nachdem er in Elisabeth das Wesen der
wahre» und reinen Liebe erkannt hüt, doch in seinem Jniierste» nnr von der
Frau Venus beherrscht wird, so ist eben der Kampf der i» ihm streitenden Ele¬
mente seiner sinnlichen und sittlichen Natur damit entschiede». Daß in Wahrheit
dieser Kampf i» jedem Menschen sich stets wieder erneuert und durchzuringen ist,
gilt natürlich nicht für den dramatischen Dichter, dessen Aufgabe es ist, diesen
Kampf zu einem entscheidenden Moment zu concentriren. Nach der antiken Auf-
fassung mußte Tannhäuser uach dieser sittlichen Niederlage anch physisch unter¬
gehen, uach mittelalterlicher brennt ewig in der Hölle, wer im Venusberg ge¬
weilt hat; wem »ach jetziger Auffassungsweise Beides zu herbe ist, der muß der
sittliche» Kraft im Menschen freien Spielraum geben zum Kämpfen und Siegen.
Was Wagner weiter für Tannhäuser's Sühnung geschehen läßt, ist rein äußerlich
und ohne psychologische Motivirung, auch stehen sich dabei beide von ihm ange¬
schlagenen Motive im Wege. Er zieht halb auf Befehl, halb aus eigenem An¬
trieb mit den Pilgern »ach Rom, um vom Papst Absolution zu erlange». Und
nun wird es erst recht klar, wie übel berechnet es war, dieses Motiv schon früher
zu benutzen, dann fallen zu lassen, wie ein ungeschickter Arzt nach einem neue»
Mittel greift, ehe das erste wirken konnte, und später ganz in derselbe» Weise
wieder aufzunehmen. Daß Tannhäuser von Rom »»verrichteter Sache heimkehrt,
weiß man vorher; aus der Beschreibung, die er Wolfram von seiner Pilgerfahrt
macht, geht klar hervor, daß seine fanatische Neue nur eine andere Aeußerung
derselben sinnlichen Natur ist, wie seine Liebe. Als ihm der Papst keine Ab¬
solution giebt, ist es auch mit seiner Reue vorbei, und er weiß anch jetzt keine


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[0337] unnatürlich, daß er, wahrend er sich im Venusberg nach allen möglichen Dingen sehnt, an Elisabeth allein nicht denkt. Indessen ist in der reinigenden Kraft einer wahren Liebe, in der Hingebung einer reinen weiblichen Seele min ein neues Motiv gegeben, deu Zauber des rein sinnlich fesselnden VennSbergeS zu bannen; die Aufgabe des Dichters ist es, dasselbe mit dem schon eingeführten religiösen in Einklang zu bringen, beide zu erhöhter Wirksamkeit zu verschmelzen und als aus einem und demselben tiefen Quell herstammend, in ihrer wesentlichen Einheit darzustellen. Statt dessen aber kommt keins derselben zu vollkommen klarer Ent¬ wickelung, und schließlich bleiben beide unwirksam. Der Kampf der Sänger, bei welchem Tannhäuser durch el» Lied zum Preis der wahren Liebe Elisabeth gewinnen soll, wird sein Verderben. Denn kaum ist diese Saite berührt, so faßt ihn der dämonische Zauber, der ihn die Liebe nnr als Genuß, als sinnlichen Genuß begreifen läßt, und die Erinnerung an Fran Venus bemächtigt sich seiner mit unwiderstehlicher Gewalt. Hierin liegt unverkennbar eine psychologische Wahrheit, ein tragisches Motiv, das aber den Untergang Tannhäuser's mit Nothwendigkeit bedingt. Wenn er, nachdem er sich aus den Armen der Frau Venus losgerissen hat durch seinen Glaube» an Maria, wie wir Wagner glauben sollen, nachdem er in Elisabeth das Wesen der wahre» und reinen Liebe erkannt hüt, doch in seinem Jniierste» nnr von der Frau Venus beherrscht wird, so ist eben der Kampf der i» ihm streitenden Ele¬ mente seiner sinnlichen und sittlichen Natur damit entschiede». Daß in Wahrheit dieser Kampf i» jedem Menschen sich stets wieder erneuert und durchzuringen ist, gilt natürlich nicht für den dramatischen Dichter, dessen Aufgabe es ist, diesen Kampf zu einem entscheidenden Moment zu concentriren. Nach der antiken Auf- fassung mußte Tannhäuser uach dieser sittlichen Niederlage anch physisch unter¬ gehen, uach mittelalterlicher brennt ewig in der Hölle, wer im Venusberg ge¬ weilt hat; wem »ach jetziger Auffassungsweise Beides zu herbe ist, der muß der sittliche» Kraft im Menschen freien Spielraum geben zum Kämpfen und Siegen. Was Wagner weiter für Tannhäuser's Sühnung geschehen läßt, ist rein äußerlich und ohne psychologische Motivirung, auch stehen sich dabei beide von ihm ange¬ schlagenen Motive im Wege. Er zieht halb auf Befehl, halb aus eigenem An¬ trieb mit den Pilgern »ach Rom, um vom Papst Absolution zu erlange». Und nun wird es erst recht klar, wie übel berechnet es war, dieses Motiv schon früher zu benutzen, dann fallen zu lassen, wie ein ungeschickter Arzt nach einem neue» Mittel greift, ehe das erste wirken konnte, und später ganz in derselbe» Weise wieder aufzunehmen. Daß Tannhäuser von Rom »»verrichteter Sache heimkehrt, weiß man vorher; aus der Beschreibung, die er Wolfram von seiner Pilgerfahrt macht, geht klar hervor, daß seine fanatische Neue nur eine andere Aeußerung derselben sinnlichen Natur ist, wie seine Liebe. Als ihm der Papst keine Ab¬ solution giebt, ist es auch mit seiner Reue vorbei, und er weiß anch jetzt keine Grenzbote». I, 1863, i2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/337>, abgerufen am 24.07.2024.