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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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verderbenden Natur aufgefaßt, die Motive, welche ihr als handelnden Person geliehen
werden, können nur ans diesem ihrem Wesen abgeleitet werden, Alles, was diesem
fremd ist, wirkt störend. Daß sie für Tannhäuser eine persönliche Liebe empfindet,
daß diese auf seine Dichtergaben gegründet ist, daß sie aus Zorn und Trauer
über sein Weggehen dem Menschengeschlecht Haß schwört, das Alles ist gegen das
Wesen der Frau Venus, welche die ewig gleiche, stets reizende und bezaubernde ist,
die nnr verführt, um zu verführen, -- wie es auch dem Teufel nur ums Holen zu
thun ist, ohne daß er für das Individuum ein besonderes Interesse hätte. Wagner
kam es auf einen theatralisch wirksamen Gegensatz, auf eine leidenschaftliche
Scene an; diesen ist die wahrhaft poetische Auffassung, wie sie in der Sage liegt,
geopfert.

Unter den übrigen Personen kann höchstens bei Wolfram von Eschenbach
von einer individuellen Charakteristik die Rede sein, und auch bei diesem kaum.
Daß er als tugendsamer, resignirender Liebhaber, Freund und Dichter das Gegen¬
stück zu Tannhäuser bilden soll, das sieht man freilich, aber er ist viel zu bescheiden,
um recht in die Handlung einzugreifen, und seine lobenswerthen Eigenschaften sind
so passiver Natur, daß er es zu einer lebendigen Gestalt, die einiges Interesse dar¬
bieten könnte, uicht bringt. Eine interessante Aufgabe individueller Charakteristik
bietet allerdings der Wettstreit der Sänger, wenn jeder derselben als ein Dichter
von eigenthümlicher Begabung und Richtung, die im Geist und in der Form der
von jedem vorgetragenen Lieder scharf ausgeprägt hervortreten müßte, geschildert
werden sollte -- aber freilich diese Aufgabe zu lösen, erforderte einen wahrhaften
Dichter. Und daß Wagner dieses nicht ist, das bedarf wohl keines weiteren Nach¬
weises mehr, der aus der nicht selten ungeschickten, noch öfter trivialen Behand¬
lung des Einzelnen leicht, aber für Niemand unterhaltend zu geben wäre.

Nicht selten hat schon das Talent des Komponisten die Schwächen seines Textes
zu verdecken gewußt, und dnrch die musikalische Behandlung die Lücken desselben
ergänzt. Wo Dichter und Componist in einer Person vereinigt sind, ist das nicht
zu erwarte", sondern daß die Schwächen der dichterischen Conception sich in der
musikalischen wiederfinden werden. Es ist überhaupt eine mißliche Sache, wenn der
Componist sich seinen Text selbst macht. Denn es ist auf keine Weise zu läugnen,
daß dnrch die poetische Gestaltung und detaillirte Durchbildung des Stoffes die
Productionskraft des Musikers bereits im Voraus geschwächt sei, er tritt nicht
mehr frisch einem ihm fremden Object gegenüber, das er aus sich heraus zu durch-
dringen und so neu zu gestalten hat, sondern er hat einen guten, vielleicht
den besten Theil seiner Kraft schon an dasselbe gesetzt, seine musikalische Begeisterung
für den Stoff ist nur der zweite Aufguß seiner poetischen. Je mehr diese eine
wahre und innige gewesen ist, um so mehr wird sie das musikalische Element in
den Hintergrund drängen, und es ist auch ans diesem Grunde begreiflich, daß
Wagner principiell der Musik eine secundäre Stellung anweist, wie z. B. Göthe


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verderbenden Natur aufgefaßt, die Motive, welche ihr als handelnden Person geliehen
werden, können nur ans diesem ihrem Wesen abgeleitet werden, Alles, was diesem
fremd ist, wirkt störend. Daß sie für Tannhäuser eine persönliche Liebe empfindet,
daß diese auf seine Dichtergaben gegründet ist, daß sie aus Zorn und Trauer
über sein Weggehen dem Menschengeschlecht Haß schwört, das Alles ist gegen das
Wesen der Frau Venus, welche die ewig gleiche, stets reizende und bezaubernde ist,
die nnr verführt, um zu verführen, — wie es auch dem Teufel nur ums Holen zu
thun ist, ohne daß er für das Individuum ein besonderes Interesse hätte. Wagner
kam es auf einen theatralisch wirksamen Gegensatz, auf eine leidenschaftliche
Scene an; diesen ist die wahrhaft poetische Auffassung, wie sie in der Sage liegt,
geopfert.

Unter den übrigen Personen kann höchstens bei Wolfram von Eschenbach
von einer individuellen Charakteristik die Rede sein, und auch bei diesem kaum.
Daß er als tugendsamer, resignirender Liebhaber, Freund und Dichter das Gegen¬
stück zu Tannhäuser bilden soll, das sieht man freilich, aber er ist viel zu bescheiden,
um recht in die Handlung einzugreifen, und seine lobenswerthen Eigenschaften sind
so passiver Natur, daß er es zu einer lebendigen Gestalt, die einiges Interesse dar¬
bieten könnte, uicht bringt. Eine interessante Aufgabe individueller Charakteristik
bietet allerdings der Wettstreit der Sänger, wenn jeder derselben als ein Dichter
von eigenthümlicher Begabung und Richtung, die im Geist und in der Form der
von jedem vorgetragenen Lieder scharf ausgeprägt hervortreten müßte, geschildert
werden sollte — aber freilich diese Aufgabe zu lösen, erforderte einen wahrhaften
Dichter. Und daß Wagner dieses nicht ist, das bedarf wohl keines weiteren Nach¬
weises mehr, der aus der nicht selten ungeschickten, noch öfter trivialen Behand¬
lung des Einzelnen leicht, aber für Niemand unterhaltend zu geben wäre.

Nicht selten hat schon das Talent des Komponisten die Schwächen seines Textes
zu verdecken gewußt, und dnrch die musikalische Behandlung die Lücken desselben
ergänzt. Wo Dichter und Componist in einer Person vereinigt sind, ist das nicht
zu erwarte», sondern daß die Schwächen der dichterischen Conception sich in der
musikalischen wiederfinden werden. Es ist überhaupt eine mißliche Sache, wenn der
Componist sich seinen Text selbst macht. Denn es ist auf keine Weise zu läugnen,
daß dnrch die poetische Gestaltung und detaillirte Durchbildung des Stoffes die
Productionskraft des Musikers bereits im Voraus geschwächt sei, er tritt nicht
mehr frisch einem ihm fremden Object gegenüber, das er aus sich heraus zu durch-
dringen und so neu zu gestalten hat, sondern er hat einen guten, vielleicht
den besten Theil seiner Kraft schon an dasselbe gesetzt, seine musikalische Begeisterung
für den Stoff ist nur der zweite Aufguß seiner poetischen. Je mehr diese eine
wahre und innige gewesen ist, um so mehr wird sie das musikalische Element in
den Hintergrund drängen, und es ist auch ans diesem Grunde begreiflich, daß
Wagner principiell der Musik eine secundäre Stellung anweist, wie z. B. Göthe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/339>, abgerufen am 28.12.2024.