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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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lich, daß er wenigstens einen Theil der Predigt zu meinem eigenen Besten hielt,
damit ich einsähe, in welcher entsetzlichen Gefahr ich schwebe, oder, wen" das
nicht anschlüge, mir vorzeitige Warnung meiner einstigen Bestimmung in einem
sehr warmen Klima zu geben; jedenfalls wußte er, daß ich kein Altlnthcraner sei,
ich hätte mich sonst gleich bei meinem ersten Besuch ihm als solchen vorgestellt,
und die natürliche Folge davon war meine spätere Verdammnis;, mit der er mich
also freundlich genug bekannt machte. Doch wie dem auch sei, für eine" Ver¬
dammten nahm er mich, als ich nachher zu ihm zu Tische kam, so gastlich und
herzlich auf, wie er es mit einem Rechtgläubigen nicht hätte besser thun können,
und sein kleines junges Frauchen war eben so -- ich kann es ihm gar nicht ver-
denken, daß er den Junggesellenstaud deu Jnnggescllcnstaud sein ließ, und sich
für sein Alter eine freundliche und menschliche Existenz sicherte. Ans Religions-
gespräche wollte er übrigens in seinem Hause uicht eingehen nud wußte sie auf
sehr geschickte Art stets abzuleiten -- ich kann ihm das anch gar nicht verdenken,
ich hätte es ebenso gemacht, so was gehört ans die Kanzel, aber uicht in'ö Haus;
ich verdachte ihm aber die Masse Gebete und Capitel ans der Bibel vor und
uach Tische -- so etwas gehört ebenfalls auf die Kanzel, und wenn mau sich auch
das mit in's Hans nimmt, so ist das eben nur eine Geschmackssache.

Ueber die Religion der Kavel'schen Gemeinde, ihren Glauben an ein bald
bevorstehendes tausendjähriges Reich, aus ihre eigene und alleinige Auscrwähllheit
kann und will ich Nichts sagen -- es ist dies eben ein Glaube", eine Religion
wie jede andere, und so lauge die Leute mir wirklich dem, was sie da bete", auch
vou ganzer Seele ergebe" sind, und mit inniger Ueberzeugung daran hangen, so
sehe ich uicht ein, warum ihr Glaube nicht ein eben so guter sein sollte, wie jeder
andere. Ihre Irrthümer werden sie schon einsehn, wenn wir da oben einmal
zusammenkommen.

Die Gemeinde hält sich übrigens sehr streng abgeschieden -- der Artikel 1
ihrer Kirchenordnung sagt:


"Die Gemeinde geht von dem Grundsatz aus, daß nur Die als wahre
Glieder der Kirche betrachtet werden können, welche nicht meinen, aus
eigener Vernunft und Kraft an Jesum Christum glauben zu können,
sondern die vom h. Geiste durch das Evangelium berufen, mit Seinen
Gaben erleuchtet, im rechten Glaube" geheiligt sind und in demselben
erhalte" zu werden trachten.

Zu unsrer Verwahrung aber gegen alle Donatistische und Nova-
tianische Jrrsale wollen wir hierbei zugleich ausdrücklich ans den 8. Artikel
der Augsburgischen Confession, so wie ans alle, el" Gleiches besagende
Stellen in den übrige" symbolischen Büchern unsrer evangelisch-lutheri¬
schen Kirche verwiesen haben.


In die Kirche nud Gemeinde werden, nach sorgfältiger Prüfung,


lich, daß er wenigstens einen Theil der Predigt zu meinem eigenen Besten hielt,
damit ich einsähe, in welcher entsetzlichen Gefahr ich schwebe, oder, wen» das
nicht anschlüge, mir vorzeitige Warnung meiner einstigen Bestimmung in einem
sehr warmen Klima zu geben; jedenfalls wußte er, daß ich kein Altlnthcraner sei,
ich hätte mich sonst gleich bei meinem ersten Besuch ihm als solchen vorgestellt,
und die natürliche Folge davon war meine spätere Verdammnis;, mit der er mich
also freundlich genug bekannt machte. Doch wie dem auch sei, für eine» Ver¬
dammten nahm er mich, als ich nachher zu ihm zu Tische kam, so gastlich und
herzlich auf, wie er es mit einem Rechtgläubigen nicht hätte besser thun können,
und sein kleines junges Frauchen war eben so — ich kann es ihm gar nicht ver-
denken, daß er den Junggesellenstaud deu Jnnggescllcnstaud sein ließ, und sich
für sein Alter eine freundliche und menschliche Existenz sicherte. Ans Religions-
gespräche wollte er übrigens in seinem Hause uicht eingehen nud wußte sie auf
sehr geschickte Art stets abzuleiten — ich kann ihm das anch gar nicht verdenken,
ich hätte es ebenso gemacht, so was gehört ans die Kanzel, aber uicht in'ö Haus;
ich verdachte ihm aber die Masse Gebete und Capitel ans der Bibel vor und
uach Tische — so etwas gehört ebenfalls auf die Kanzel, und wenn mau sich auch
das mit in's Hans nimmt, so ist das eben nur eine Geschmackssache.

Ueber die Religion der Kavel'schen Gemeinde, ihren Glauben an ein bald
bevorstehendes tausendjähriges Reich, aus ihre eigene und alleinige Auscrwähllheit
kann und will ich Nichts sagen — es ist dies eben ein Glaube», eine Religion
wie jede andere, und so lauge die Leute mir wirklich dem, was sie da bete», auch
vou ganzer Seele ergebe» sind, und mit inniger Ueberzeugung daran hangen, so
sehe ich uicht ein, warum ihr Glaube nicht ein eben so guter sein sollte, wie jeder
andere. Ihre Irrthümer werden sie schon einsehn, wenn wir da oben einmal
zusammenkommen.

Die Gemeinde hält sich übrigens sehr streng abgeschieden — der Artikel 1
ihrer Kirchenordnung sagt:


„Die Gemeinde geht von dem Grundsatz aus, daß nur Die als wahre
Glieder der Kirche betrachtet werden können, welche nicht meinen, aus
eigener Vernunft und Kraft an Jesum Christum glauben zu können,
sondern die vom h. Geiste durch das Evangelium berufen, mit Seinen
Gaben erleuchtet, im rechten Glaube» geheiligt sind und in demselben
erhalte» zu werden trachten.

Zu unsrer Verwahrung aber gegen alle Donatistische und Nova-
tianische Jrrsale wollen wir hierbei zugleich ausdrücklich ans den 8. Artikel
der Augsburgischen Confession, so wie ans alle, el» Gleiches besagende
Stellen in den übrige» symbolischen Büchern unsrer evangelisch-lutheri¬
schen Kirche verwiesen haben.


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[0172] lich, daß er wenigstens einen Theil der Predigt zu meinem eigenen Besten hielt, damit ich einsähe, in welcher entsetzlichen Gefahr ich schwebe, oder, wen» das nicht anschlüge, mir vorzeitige Warnung meiner einstigen Bestimmung in einem sehr warmen Klima zu geben; jedenfalls wußte er, daß ich kein Altlnthcraner sei, ich hätte mich sonst gleich bei meinem ersten Besuch ihm als solchen vorgestellt, und die natürliche Folge davon war meine spätere Verdammnis;, mit der er mich also freundlich genug bekannt machte. Doch wie dem auch sei, für eine» Ver¬ dammten nahm er mich, als ich nachher zu ihm zu Tische kam, so gastlich und herzlich auf, wie er es mit einem Rechtgläubigen nicht hätte besser thun können, und sein kleines junges Frauchen war eben so — ich kann es ihm gar nicht ver- denken, daß er den Junggesellenstaud deu Jnnggescllcnstaud sein ließ, und sich für sein Alter eine freundliche und menschliche Existenz sicherte. Ans Religions- gespräche wollte er übrigens in seinem Hause uicht eingehen nud wußte sie auf sehr geschickte Art stets abzuleiten — ich kann ihm das anch gar nicht verdenken, ich hätte es ebenso gemacht, so was gehört ans die Kanzel, aber uicht in'ö Haus; ich verdachte ihm aber die Masse Gebete und Capitel ans der Bibel vor und uach Tische — so etwas gehört ebenfalls auf die Kanzel, und wenn mau sich auch das mit in's Hans nimmt, so ist das eben nur eine Geschmackssache. Ueber die Religion der Kavel'schen Gemeinde, ihren Glauben an ein bald bevorstehendes tausendjähriges Reich, aus ihre eigene und alleinige Auscrwähllheit kann und will ich Nichts sagen — es ist dies eben ein Glaube», eine Religion wie jede andere, und so lauge die Leute mir wirklich dem, was sie da bete», auch vou ganzer Seele ergebe» sind, und mit inniger Ueberzeugung daran hangen, so sehe ich uicht ein, warum ihr Glaube nicht ein eben so guter sein sollte, wie jeder andere. Ihre Irrthümer werden sie schon einsehn, wenn wir da oben einmal zusammenkommen. Die Gemeinde hält sich übrigens sehr streng abgeschieden — der Artikel 1 ihrer Kirchenordnung sagt: „Die Gemeinde geht von dem Grundsatz aus, daß nur Die als wahre Glieder der Kirche betrachtet werden können, welche nicht meinen, aus eigener Vernunft und Kraft an Jesum Christum glauben zu können, sondern die vom h. Geiste durch das Evangelium berufen, mit Seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glaube» geheiligt sind und in demselben erhalte» zu werden trachten. Zu unsrer Verwahrung aber gegen alle Donatistische und Nova- tianische Jrrsale wollen wir hierbei zugleich ausdrücklich ans den 8. Artikel der Augsburgischen Confession, so wie ans alle, el» Gleiches besagende Stellen in den übrige» symbolischen Büchern unsrer evangelisch-lutheri¬ schen Kirche verwiesen haben. In die Kirche nud Gemeinde werden, nach sorgfältiger Prüfung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/172>, abgerufen am 04.07.2024.