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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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auch mit der Ehe selber -- wobei die Leute meinten, er hätte auch selbst in
einer solchen Suche "den Schein" vermeiden sollen. Wenn mau aber bei Hei-
rathssachen immer erst die ganze Gemeinde fragen wollte, würden am Ende wenige
zu Stande kommen wenigstens nicht so, daß sie beiden Theilen behagte, und
solche Sache" muß Jeder immer am besten selber wissen. --

Der nächste Tag war ein Sonntag, und es versteht sich wol von selber,
daß ich die Kavel'sche Kirche besuchte, nach der ich zum Hrn. Pastor zu Tische
geladen war. Der Gottesdienst war natürlich der altlutherische, aber mit eiuer
enormen Zahl von Gesangbnchsvcrsen und Bibelstellen. Das Singen hörte nicht
ans, und wenn ich auch keineswegs meine Meinung als unfehlbar hinstellen will,
so glaube ich doch wahrhaftig auch nicht, daß unsrem Herrgott daran gelegen sein
kann, jeden Sonntag das halbe Gesangbuch vorgesungen zu bekomme". Ich
mußte an dem Tag 32 Gesangbuchsverse singen -- und der Text? Ich bin fest
überzeugt, daß die Leute, die jene Lieder geschrieben haben, denn gedichtet kann
man sie nicht wohl nennen, die beste Absicht dabei hatten, und daß sich ihr innig¬
stes Gefühl dabei aussprach, es bleibt aber doch immer schwierig, "allerheilsamstcu"
z. B. in zwei Sylben zu fingen oder zu sprechen.

Herr Pastor Kavel predigte gut und fließend........d> h. mit gut will ich nicht
etwa sagen, daß ich mit dem Sinn der Predigt einverstanden war -- er sprach
aber wie ans innerster Ueberzeugungnnd ich will das zu seiner Ehre glauben
und sprach so, daß ich auch wohl begreife, wie er gerade die Klasse von Menschen,
mit der er zu thun hat, dem, was er da sagte, gewinnen konnte. Sonst aber
war seine Predigt ein Extract des Unduldsamsten, was man in irgend einem
Glauben mir vorbringen kann -- nur sein kleines Häufchen von Auserwählten
war es, dem das Himmelreich einst offen steht, und einen Satz seiner Predigt
werde ich nie vergessen. "Die, so wirklich nach Gottes Wort handeln, aber nicht
den rechten Glauben haben, sind, mögen sie so gute und Gott sonst wohlgefällige
Thaten thun, als sie wollen -- rettungslos verdammt und gehen zum Teufel.
Ja Gott wird solche Menschen, gerade um ihrer guten Thaten willen, nur noch
um so mehr hassen, weil er ebendieselben als eine Art von Heuchelei ansieht --
da sie den Glauben nicht haben." Und das sollte ein Gott der Liebe sein.

Diese Predigt war sauber zwischen eine unbestimmte Anzahl von Capiteln
aus der Bibel und die vorgenannte Zahl von Gesangbnchsvcrsen eingepackt, mir
wurde aber unheimlich dabei -- ich bin sonst nicht gerade sehr ängstlich,
aber mir schnürte es fast das Herz zusammen, wenn ich daran dachte, Gott
konnte mich vielleicht auch mit zu diesem kleinen Häuflein rechnen, das da vor
allen Dingen verlangte, selig z" werden und die Millionen des Erdballs scho¬
nungslos in die Holle stieß -- ich verlangte in dem Augenblick absolut mit den
Anderen bergunter zu gehn. Ich bin übrigens fest überzeugt, daß Hr. Pastor
Kavel eine ungefähre Idee hatte, was Geistes Kind ich sei, und es ist wol mög-


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auch mit der Ehe selber — wobei die Leute meinten, er hätte auch selbst in
einer solchen Suche „den Schein" vermeiden sollen. Wenn mau aber bei Hei-
rathssachen immer erst die ganze Gemeinde fragen wollte, würden am Ende wenige
zu Stande kommen wenigstens nicht so, daß sie beiden Theilen behagte, und
solche Sache» muß Jeder immer am besten selber wissen. —

Der nächste Tag war ein Sonntag, und es versteht sich wol von selber,
daß ich die Kavel'sche Kirche besuchte, nach der ich zum Hrn. Pastor zu Tische
geladen war. Der Gottesdienst war natürlich der altlutherische, aber mit eiuer
enormen Zahl von Gesangbnchsvcrsen und Bibelstellen. Das Singen hörte nicht
ans, und wenn ich auch keineswegs meine Meinung als unfehlbar hinstellen will,
so glaube ich doch wahrhaftig auch nicht, daß unsrem Herrgott daran gelegen sein
kann, jeden Sonntag das halbe Gesangbuch vorgesungen zu bekomme». Ich
mußte an dem Tag 32 Gesangbuchsverse singen — und der Text? Ich bin fest
überzeugt, daß die Leute, die jene Lieder geschrieben haben, denn gedichtet kann
man sie nicht wohl nennen, die beste Absicht dabei hatten, und daß sich ihr innig¬
stes Gefühl dabei aussprach, es bleibt aber doch immer schwierig, „allerheilsamstcu"
z. B. in zwei Sylben zu fingen oder zu sprechen.

Herr Pastor Kavel predigte gut und fließend........d> h. mit gut will ich nicht
etwa sagen, daß ich mit dem Sinn der Predigt einverstanden war — er sprach
aber wie ans innerster Ueberzeugungnnd ich will das zu seiner Ehre glauben
und sprach so, daß ich auch wohl begreife, wie er gerade die Klasse von Menschen,
mit der er zu thun hat, dem, was er da sagte, gewinnen konnte. Sonst aber
war seine Predigt ein Extract des Unduldsamsten, was man in irgend einem
Glauben mir vorbringen kann — nur sein kleines Häufchen von Auserwählten
war es, dem das Himmelreich einst offen steht, und einen Satz seiner Predigt
werde ich nie vergessen. „Die, so wirklich nach Gottes Wort handeln, aber nicht
den rechten Glauben haben, sind, mögen sie so gute und Gott sonst wohlgefällige
Thaten thun, als sie wollen — rettungslos verdammt und gehen zum Teufel.
Ja Gott wird solche Menschen, gerade um ihrer guten Thaten willen, nur noch
um so mehr hassen, weil er ebendieselben als eine Art von Heuchelei ansieht —
da sie den Glauben nicht haben." Und das sollte ein Gott der Liebe sein.

Diese Predigt war sauber zwischen eine unbestimmte Anzahl von Capiteln
aus der Bibel und die vorgenannte Zahl von Gesangbnchsvcrsen eingepackt, mir
wurde aber unheimlich dabei — ich bin sonst nicht gerade sehr ängstlich,
aber mir schnürte es fast das Herz zusammen, wenn ich daran dachte, Gott
konnte mich vielleicht auch mit zu diesem kleinen Häuflein rechnen, das da vor
allen Dingen verlangte, selig z» werden und die Millionen des Erdballs scho¬
nungslos in die Holle stieß — ich verlangte in dem Augenblick absolut mit den
Anderen bergunter zu gehn. Ich bin übrigens fest überzeugt, daß Hr. Pastor
Kavel eine ungefähre Idee hatte, was Geistes Kind ich sei, und es ist wol mög-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/171>, abgerufen am 01.07.2024.