Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.betrifft, so kann ein Stadttheater natürlich sich nicht auf europäische Großen einlasse"; 20*
betrifft, so kann ein Stadttheater natürlich sich nicht auf europäische Großen einlasse»; 20*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186039"/> <p xml:id="ID_446" prev="#ID_445" next="#ID_447"> betrifft, so kann ein Stadttheater natürlich sich nicht auf europäische Großen einlasse»;<lb/> indessen war für die Zusammensetzung eines tüchtigen Ensemble, wie es für die moderne<lb/> Oper nothwendig ist (zwei Soprane, ein Alt, zwei Tenore, ein Bariton, zwei Bässe),<lb/> wenigstens eine tüchtige Grundlage vorhanden, die durch allmähliche geschickte Acquifltionen<lb/> erweitert und verbessert werden konnte. Ein Stadttheater, welches im Ganzen über so<lb/> große Mittel disponiren kann, wie das Leipziger, kann in der Oper immer ein tüchtiges<lb/> Ensemble herstellen, welches die Absichten des Componisten, soweit sie in das musikalische<lb/> Gebiet gehören, vollständig wiedergiebt, wenn es nur seine Aufgabe streng im Auge<lb/> behält und sich auf keine Charlatanerien einläßt. Daß übrigens dem Zeitgeschmack<lb/> einige Concessionen gemacht werden, namentlich für die Mcßzeit, die dem Theater eine<lb/> große Einnahme verschafft, und die ganz andere Ansprüche macht als künstlerische, daß<lb/> mau also für diese Zeit eine Knallopcr mit Auszügen, bunten Costnms und ähnlichem<lb/> Flitterstaat einübt, ist ganz in der Ordnung und würde auch im Uebrigen der Harmonie<lb/> keinen Eintrag thun, wenn man nur sür die andere Zeit strenger an dem künstlerischen<lb/> Gesichtspunkt festhielte. Sobald aber in die Höhere Leitung des Theaters jene Unstetigkeit<lb/> und Zerfahrenheit eintritt, wie wir sie jetzt an unsrem Theater sehen, wird nicht allein<lb/> das gesunde Verhältniß zwischen Dirigenten, Sängern und Orchcstermitgliedcrn gestört,<lb/> sondern, was das Schlimmste ist, der Geschmack des Publicums verwildert in einer<lb/> Weise, die auch sür die Zukunft die ernsthaftesten Besorgnisse einflößen muß. Das<lb/> Publicum ist keineswegs eine souveraine, in ihrem Geschmack vollständig ausgebildete<lb/> Behörde, die keinem Einflusse unterworfen wäre, aber es hat in der Regel einen guten<lb/> Fonds, der nur einer festen Tradition und Autorität bedarf, um seinerseits anch wieder<lb/> fördernd aus die Künstler einzuwirken. Wenn die Localkritik nicht zufälligen<lb/> Stimmungen oder noch mißliebigeren Einflüssen folgt, so kann auch sie schon viel<lb/> thun, aber die Hauptsache bleibt immer, daß dem Publicum eine Reihe von durchdachten,<lb/> abgerundeten, dem Zweck der Kunst entsprechenden Leistungen geboten wird, an denen<lb/> es sein Urtheil schuld, daß es sich mit einem Wort daran gewöhnt, mit Vertrauen in<lb/> die Vorstellung zu gehen, ungefähr in derselben Weise, wie das Institut deö Gewand¬<lb/> hauses sich durch die Cvuscanenz seiner Wirksamkeit ein wenigstens im Ganzen billiges<lb/> und urthcilsfähigcs Publicum geschaffen hat. Nun springen aber im Theater die Mi߬<lb/> griffe zu lebhaft in die Augen, und der Mangel an einem festen Plan, an einer zweck¬<lb/> mäßigen Organisation ist zu handgreiflich, als daß sich ein solches gcmüthvolles und<lb/> bildungsfähiges Verhältniß zwischen dem Publicum und den Künstlern herstellen könnte.<lb/> Wir wollen heute uns daraus beschränken, nur einen dieser Mißbräuche hervorzuheben.<lb/> Das Theater hat gegenwärtig vier fest angestellte Sängerinnen, von denen zwei, die<lb/> eine als Primadonna, die andere vorzugsweise als Soubrette und Localsäugcrin ihre<lb/> Ausgabe vollständig und zum Theil glänzend lösen, die beiden anderen dagegen, in denen<lb/> gleichfalls nicht »»bedeutende Kräfte vorhanden sind, werden fast gar nicht verwandt.<lb/> Nun ist für de» Winter noch eine fünfte als Gast engagirt, Frau von Marra, die in<lb/> der letzten Zeit fast ausschließlich das Repertoir füllt. Wir wolle» dem künstlerischen<lb/> Ruf dieser Dame nicht im geringsten zu nahe treten; sie hat als Koloratursängerin<lb/> unbestreitbare Vorzüge und giebt durch ihre Virtuosität dem Publicum häufig Gelegenheit<lb/> zu gerechtfertigter Beifallsbezeigungen. Aber wir müssen behaupten, daß ihr lange<lb/> dauerndes Gastspiel sür unser Theater von dem allcrnachthciligstcn Einfluß ist. Wir<lb/> haben dazu folgende Gründe. — Ein Gastspiel halten wir überhaupt nur dann für</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 20*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
betrifft, so kann ein Stadttheater natürlich sich nicht auf europäische Großen einlasse»;
indessen war für die Zusammensetzung eines tüchtigen Ensemble, wie es für die moderne
Oper nothwendig ist (zwei Soprane, ein Alt, zwei Tenore, ein Bariton, zwei Bässe),
wenigstens eine tüchtige Grundlage vorhanden, die durch allmähliche geschickte Acquifltionen
erweitert und verbessert werden konnte. Ein Stadttheater, welches im Ganzen über so
große Mittel disponiren kann, wie das Leipziger, kann in der Oper immer ein tüchtiges
Ensemble herstellen, welches die Absichten des Componisten, soweit sie in das musikalische
Gebiet gehören, vollständig wiedergiebt, wenn es nur seine Aufgabe streng im Auge
behält und sich auf keine Charlatanerien einläßt. Daß übrigens dem Zeitgeschmack
einige Concessionen gemacht werden, namentlich für die Mcßzeit, die dem Theater eine
große Einnahme verschafft, und die ganz andere Ansprüche macht als künstlerische, daß
mau also für diese Zeit eine Knallopcr mit Auszügen, bunten Costnms und ähnlichem
Flitterstaat einübt, ist ganz in der Ordnung und würde auch im Uebrigen der Harmonie
keinen Eintrag thun, wenn man nur sür die andere Zeit strenger an dem künstlerischen
Gesichtspunkt festhielte. Sobald aber in die Höhere Leitung des Theaters jene Unstetigkeit
und Zerfahrenheit eintritt, wie wir sie jetzt an unsrem Theater sehen, wird nicht allein
das gesunde Verhältniß zwischen Dirigenten, Sängern und Orchcstermitgliedcrn gestört,
sondern, was das Schlimmste ist, der Geschmack des Publicums verwildert in einer
Weise, die auch sür die Zukunft die ernsthaftesten Besorgnisse einflößen muß. Das
Publicum ist keineswegs eine souveraine, in ihrem Geschmack vollständig ausgebildete
Behörde, die keinem Einflusse unterworfen wäre, aber es hat in der Regel einen guten
Fonds, der nur einer festen Tradition und Autorität bedarf, um seinerseits anch wieder
fördernd aus die Künstler einzuwirken. Wenn die Localkritik nicht zufälligen
Stimmungen oder noch mißliebigeren Einflüssen folgt, so kann auch sie schon viel
thun, aber die Hauptsache bleibt immer, daß dem Publicum eine Reihe von durchdachten,
abgerundeten, dem Zweck der Kunst entsprechenden Leistungen geboten wird, an denen
es sein Urtheil schuld, daß es sich mit einem Wort daran gewöhnt, mit Vertrauen in
die Vorstellung zu gehen, ungefähr in derselben Weise, wie das Institut deö Gewand¬
hauses sich durch die Cvuscanenz seiner Wirksamkeit ein wenigstens im Ganzen billiges
und urthcilsfähigcs Publicum geschaffen hat. Nun springen aber im Theater die Mi߬
griffe zu lebhaft in die Augen, und der Mangel an einem festen Plan, an einer zweck¬
mäßigen Organisation ist zu handgreiflich, als daß sich ein solches gcmüthvolles und
bildungsfähiges Verhältniß zwischen dem Publicum und den Künstlern herstellen könnte.
Wir wollen heute uns daraus beschränken, nur einen dieser Mißbräuche hervorzuheben.
Das Theater hat gegenwärtig vier fest angestellte Sängerinnen, von denen zwei, die
eine als Primadonna, die andere vorzugsweise als Soubrette und Localsäugcrin ihre
Ausgabe vollständig und zum Theil glänzend lösen, die beiden anderen dagegen, in denen
gleichfalls nicht »»bedeutende Kräfte vorhanden sind, werden fast gar nicht verwandt.
Nun ist für de» Winter noch eine fünfte als Gast engagirt, Frau von Marra, die in
der letzten Zeit fast ausschließlich das Repertoir füllt. Wir wolle» dem künstlerischen
Ruf dieser Dame nicht im geringsten zu nahe treten; sie hat als Koloratursängerin
unbestreitbare Vorzüge und giebt durch ihre Virtuosität dem Publicum häufig Gelegenheit
zu gerechtfertigter Beifallsbezeigungen. Aber wir müssen behaupten, daß ihr lange
dauerndes Gastspiel sür unser Theater von dem allcrnachthciligstcn Einfluß ist. Wir
haben dazu folgende Gründe. — Ein Gastspiel halten wir überhaupt nur dann für
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