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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Verkehrs geworden. Die jetzige Stellung der Stadt zu dieser Bewegung er¬
innert in der That gewissermaßen an das mit der Kette abgegrenzte frühere Ver¬
hältniß der Judengasse zur Christcnstadt; oder noch eigentlicher an die russischen
Slobodcn, welche die deutschen Städte der Ostseeprovinzen umlagern. Die Kette
der Judengasse ist zerrissen und das Hans "zum rochen Schild" an deren Ecke
erscheint nur noch eben so monumental für die Herrn von Rothschild, wie die
Habsluirg am Vierwaldstättersee für die Kaiser von Oesterreich. Auch die deut¬
schen Hansestädte der Ostseeprovinzen mußten den Russen der Slobodcn ihre
Thore, ihre Zünfte, sogar ihre Nathssessel offnen. Aber "der passive Widerstand"
gegen solche Umwandlungen war überall zähe; und der Frankfurter hat sich eben¬
falls sehr schwer entschlossen, seine abgeschlossene Gesellschaft fremden Elementen
zu offnen.

Es ist jedoch, als triebe das Schicksal bei den verschiedensten Veranlassungen
die Menschen von allen Seiten immer wieder heran. So harte man's in den
Kleinstaaten und Kleinstädter ringsum auf dem schriftlichen Vcrordnungswcge
verboten und das Verbot noch am Sylvestertag mit der polizeilichen Schelle ein¬
geschärft, daß in einem Gasthause eine Freinacht gefeiert werde, daß die Gemeinde
für allen Schaden dnrch etwaige Schüsse und Nenjahrsnachtbclnstignngen verant¬
wortlich sei n. s. w. Wer also Geld hatte, fuhr nach Frankfurt, wo man den
Leuten wenigstens uicht verpönte, daS neue Jahr in fröhlicher Gesellschaft anzu¬
treten. Einige kleine Raufereien abgerechnet, welche übrigens in der polizeilich
untersagten Sylvesternacht der Umlaute noch viel weniger fehlten, hat man anch
nicht gehört, daß das Staatswohl gefährdet worden sei. Dagegen war für
Menschen ernsteren Sinnes die Paulskirche zu einem mitternächtlichen Gottesdienst
geöffnet, während eine ähnliche Anregung und Gelegenheit zur Sammlung frommer
Gedanken, soviel bekannt, in keiner Nachbarstadt edle Entschädigung für den
verpöntem Sylvesterjnbel bot.

Abgesehen von der Kirchenfeier erregte aber die strahlend erleuchtete und
durchheizte Paulskirche in dem Besucher wehmüthige Betrachtungen. Man braucht
sie nicht erst zu nennen. Licht und Wärme sind die letzten Ueberbleibsel dessen,
was einst die Nationalversammlung hier geschaffen! Und während in der Erinnerung
durch die heilige Stille des Gebetes erschreckend die Abschläge des 10. Septbr.
an die hohen Pforten des Parlamentes dröhnten, zerfloß dem Auge immer ferner
der Zuruf zwischen den Nationalfahnen jener Zeit:


Des Vaterlandes Größe,
Des Vaterlandes Glück,
O schafft sie, o bringt sie
Dem Volke zurück.

Vorüber, vorüber!. . ..

Trüb und nebelig war der Nenjahrsmorgeu, doch eilte die Bewegung der


Verkehrs geworden. Die jetzige Stellung der Stadt zu dieser Bewegung er¬
innert in der That gewissermaßen an das mit der Kette abgegrenzte frühere Ver¬
hältniß der Judengasse zur Christcnstadt; oder noch eigentlicher an die russischen
Slobodcn, welche die deutschen Städte der Ostseeprovinzen umlagern. Die Kette
der Judengasse ist zerrissen und das Hans „zum rochen Schild" an deren Ecke
erscheint nur noch eben so monumental für die Herrn von Rothschild, wie die
Habsluirg am Vierwaldstättersee für die Kaiser von Oesterreich. Auch die deut¬
schen Hansestädte der Ostseeprovinzen mußten den Russen der Slobodcn ihre
Thore, ihre Zünfte, sogar ihre Nathssessel offnen. Aber „der passive Widerstand"
gegen solche Umwandlungen war überall zähe; und der Frankfurter hat sich eben¬
falls sehr schwer entschlossen, seine abgeschlossene Gesellschaft fremden Elementen
zu offnen.

Es ist jedoch, als triebe das Schicksal bei den verschiedensten Veranlassungen
die Menschen von allen Seiten immer wieder heran. So harte man's in den
Kleinstaaten und Kleinstädter ringsum auf dem schriftlichen Vcrordnungswcge
verboten und das Verbot noch am Sylvestertag mit der polizeilichen Schelle ein¬
geschärft, daß in einem Gasthause eine Freinacht gefeiert werde, daß die Gemeinde
für allen Schaden dnrch etwaige Schüsse und Nenjahrsnachtbclnstignngen verant¬
wortlich sei n. s. w. Wer also Geld hatte, fuhr nach Frankfurt, wo man den
Leuten wenigstens uicht verpönte, daS neue Jahr in fröhlicher Gesellschaft anzu¬
treten. Einige kleine Raufereien abgerechnet, welche übrigens in der polizeilich
untersagten Sylvesternacht der Umlaute noch viel weniger fehlten, hat man anch
nicht gehört, daß das Staatswohl gefährdet worden sei. Dagegen war für
Menschen ernsteren Sinnes die Paulskirche zu einem mitternächtlichen Gottesdienst
geöffnet, während eine ähnliche Anregung und Gelegenheit zur Sammlung frommer
Gedanken, soviel bekannt, in keiner Nachbarstadt edle Entschädigung für den
verpöntem Sylvesterjnbel bot.

Abgesehen von der Kirchenfeier erregte aber die strahlend erleuchtete und
durchheizte Paulskirche in dem Besucher wehmüthige Betrachtungen. Man braucht
sie nicht erst zu nennen. Licht und Wärme sind die letzten Ueberbleibsel dessen,
was einst die Nationalversammlung hier geschaffen! Und während in der Erinnerung
durch die heilige Stille des Gebetes erschreckend die Abschläge des 10. Septbr.
an die hohen Pforten des Parlamentes dröhnten, zerfloß dem Auge immer ferner
der Zuruf zwischen den Nationalfahnen jener Zeit:


Des Vaterlandes Größe,
Des Vaterlandes Glück,
O schafft sie, o bringt sie
Dem Volke zurück.

Vorüber, vorüber!. . ..

Trüb und nebelig war der Nenjahrsmorgeu, doch eilte die Bewegung der


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[0159] Verkehrs geworden. Die jetzige Stellung der Stadt zu dieser Bewegung er¬ innert in der That gewissermaßen an das mit der Kette abgegrenzte frühere Ver¬ hältniß der Judengasse zur Christcnstadt; oder noch eigentlicher an die russischen Slobodcn, welche die deutschen Städte der Ostseeprovinzen umlagern. Die Kette der Judengasse ist zerrissen und das Hans „zum rochen Schild" an deren Ecke erscheint nur noch eben so monumental für die Herrn von Rothschild, wie die Habsluirg am Vierwaldstättersee für die Kaiser von Oesterreich. Auch die deut¬ schen Hansestädte der Ostseeprovinzen mußten den Russen der Slobodcn ihre Thore, ihre Zünfte, sogar ihre Nathssessel offnen. Aber „der passive Widerstand" gegen solche Umwandlungen war überall zähe; und der Frankfurter hat sich eben¬ falls sehr schwer entschlossen, seine abgeschlossene Gesellschaft fremden Elementen zu offnen. Es ist jedoch, als triebe das Schicksal bei den verschiedensten Veranlassungen die Menschen von allen Seiten immer wieder heran. So harte man's in den Kleinstaaten und Kleinstädter ringsum auf dem schriftlichen Vcrordnungswcge verboten und das Verbot noch am Sylvestertag mit der polizeilichen Schelle ein¬ geschärft, daß in einem Gasthause eine Freinacht gefeiert werde, daß die Gemeinde für allen Schaden dnrch etwaige Schüsse und Nenjahrsnachtbclnstignngen verant¬ wortlich sei n. s. w. Wer also Geld hatte, fuhr nach Frankfurt, wo man den Leuten wenigstens uicht verpönte, daS neue Jahr in fröhlicher Gesellschaft anzu¬ treten. Einige kleine Raufereien abgerechnet, welche übrigens in der polizeilich untersagten Sylvesternacht der Umlaute noch viel weniger fehlten, hat man anch nicht gehört, daß das Staatswohl gefährdet worden sei. Dagegen war für Menschen ernsteren Sinnes die Paulskirche zu einem mitternächtlichen Gottesdienst geöffnet, während eine ähnliche Anregung und Gelegenheit zur Sammlung frommer Gedanken, soviel bekannt, in keiner Nachbarstadt edle Entschädigung für den verpöntem Sylvesterjnbel bot. Abgesehen von der Kirchenfeier erregte aber die strahlend erleuchtete und durchheizte Paulskirche in dem Besucher wehmüthige Betrachtungen. Man braucht sie nicht erst zu nennen. Licht und Wärme sind die letzten Ueberbleibsel dessen, was einst die Nationalversammlung hier geschaffen! Und während in der Erinnerung durch die heilige Stille des Gebetes erschreckend die Abschläge des 10. Septbr. an die hohen Pforten des Parlamentes dröhnten, zerfloß dem Auge immer ferner der Zuruf zwischen den Nationalfahnen jener Zeit: Des Vaterlandes Größe, Des Vaterlandes Glück, O schafft sie, o bringt sie Dem Volke zurück. Vorüber, vorüber!. . .. Trüb und nebelig war der Nenjahrsmorgeu, doch eilte die Bewegung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/159>, abgerufen am 04.07.2024.