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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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vier Kinder, welche begeistert Psalmen singen, zum Tode abgeführt. Die Mutter
bricht zusammen. Der Todesgesang der Kinder ist verklungen, da stürmt Juda
mit dem Volk von Jerusalem in wildem Anfall gegen das Heer des Königs;
es ist ein kleiner verzweifelter Haufe, welcher sich Bahn bricht, aber der König,
verstimmt durch die politischen Nachrichten, die er vorher erhalten, und erschüttert
durch die furchtbare Scene vor seinen Augen, erbietet sich gegen Juda, mit seinem
Heer abzuziehen. Die sterbende Lea ermahnt den Sohn, sich damit zu begnügen;
die Syrer ziehen ab, Lea stirbt, das befreite Volk bildet die Schlußgruppe
um Juda.

Diese Darstellung des Inhaltes wird genügen, eine Vorstellung von dem zu
geben, was an der Handlung unkünstlerisch ist. Es sind einzelne Momente ans
dem Freiheitskämpfe eines Volkes und aus dem Schicksal einer Familie mit
einander verbunden. Der Zusammenhang der Begebenheiten ist ein zufälliger,
oder wenn mau will, epischer. Die Einheit und innre Nothwendigkeit der
Handlung fehlt. Denn es ist nicht der übermüthige Stolz der Mutter, welcher
ihre Kinder zum Untergange führt -- was der Dichter selbst als Grundidee der
Handlung anzusehn scheint -- sondern es sind unglückliche Zufälle, Spiele des
Krieges u. s. w.

Dieser Volkskrieg selbst aber ist als Hintergrund der Handlung durchaus
nicht durchsichtig, uicht leicht verständlich, ja kaum interessant. Zwei Syrerkönige,
verschiedene Kriegsscenen, ab- und zuziehende feindliche Heere, der Zufall, daß
das Volk den Wahnsinn hat, am Sabbath nicht zu kämpfen, sondern sich schlachten zu
lassen, und vollends am Schluß die zufälligen politischen Motive, welche den Antiochus
bewegen, abzuziehen, geben diesem ganzen Kampfe etwas Willkürliches, Unverständ¬
liches. Dazu kommt ferner, daß das Volk selbst verdorbener, launischer, ja verrückter
dargestellt wird, als wünschenswert!) ist, wenn wir für seine Sache ein lebhaftes
Interesse haben sollen. Allerdings werden in Wirklichkeit bei einem Volkskampfe alle
die ausgeführte" Stimmungen, knechtische Servilität, wahnsinniger Fanatismus, hohe
Begeisterung, von dem Erfolge abhängiges Schwanken, sich vorfinden, aber nur ein
Geschichtswerk hat Raum, solchen Wechsel zu erklären und zu motiviren. In dem
geschlossenen Raume deö Dramas ist keine Möglichkeit, diese ewigen Umschläge
als etwas Natürliches in ihrer relativen Berechtigung darzustellen; sie vermehren
nicht unser Interesse an der Handlung, sondern sie verringern es, denn sie zer¬
streuen, und der Glaube selbst, für welchen die Familie des Mattathias stirbt und
Juda streitet, wird uns dadurch noch fremdartiger. Und doch ist diesem Kampfe,
der willkürlich und wunderlich um die Hauptpersonen hcrumwvgt, so viel Raum
geopfert, daß kein Raum mehr für eine gründlichere psychologische Darstellung
der einzelnen Charaktere blieb. -- Es ist zunächst Vereinfachung des Hinter¬
grundes zu wünschen, das Hin- und Herziehen der Heere, die zwei verschiedenen
Antiochus, vor Allem die Unordnung in der zweiten Hälfte des dritten Actes


vier Kinder, welche begeistert Psalmen singen, zum Tode abgeführt. Die Mutter
bricht zusammen. Der Todesgesang der Kinder ist verklungen, da stürmt Juda
mit dem Volk von Jerusalem in wildem Anfall gegen das Heer des Königs;
es ist ein kleiner verzweifelter Haufe, welcher sich Bahn bricht, aber der König,
verstimmt durch die politischen Nachrichten, die er vorher erhalten, und erschüttert
durch die furchtbare Scene vor seinen Augen, erbietet sich gegen Juda, mit seinem
Heer abzuziehen. Die sterbende Lea ermahnt den Sohn, sich damit zu begnügen;
die Syrer ziehen ab, Lea stirbt, das befreite Volk bildet die Schlußgruppe
um Juda.

Diese Darstellung des Inhaltes wird genügen, eine Vorstellung von dem zu
geben, was an der Handlung unkünstlerisch ist. Es sind einzelne Momente ans
dem Freiheitskämpfe eines Volkes und aus dem Schicksal einer Familie mit
einander verbunden. Der Zusammenhang der Begebenheiten ist ein zufälliger,
oder wenn mau will, epischer. Die Einheit und innre Nothwendigkeit der
Handlung fehlt. Denn es ist nicht der übermüthige Stolz der Mutter, welcher
ihre Kinder zum Untergange führt — was der Dichter selbst als Grundidee der
Handlung anzusehn scheint — sondern es sind unglückliche Zufälle, Spiele des
Krieges u. s. w.

Dieser Volkskrieg selbst aber ist als Hintergrund der Handlung durchaus
nicht durchsichtig, uicht leicht verständlich, ja kaum interessant. Zwei Syrerkönige,
verschiedene Kriegsscenen, ab- und zuziehende feindliche Heere, der Zufall, daß
das Volk den Wahnsinn hat, am Sabbath nicht zu kämpfen, sondern sich schlachten zu
lassen, und vollends am Schluß die zufälligen politischen Motive, welche den Antiochus
bewegen, abzuziehen, geben diesem ganzen Kampfe etwas Willkürliches, Unverständ¬
liches. Dazu kommt ferner, daß das Volk selbst verdorbener, launischer, ja verrückter
dargestellt wird, als wünschenswert!) ist, wenn wir für seine Sache ein lebhaftes
Interesse haben sollen. Allerdings werden in Wirklichkeit bei einem Volkskampfe alle
die ausgeführte» Stimmungen, knechtische Servilität, wahnsinniger Fanatismus, hohe
Begeisterung, von dem Erfolge abhängiges Schwanken, sich vorfinden, aber nur ein
Geschichtswerk hat Raum, solchen Wechsel zu erklären und zu motiviren. In dem
geschlossenen Raume deö Dramas ist keine Möglichkeit, diese ewigen Umschläge
als etwas Natürliches in ihrer relativen Berechtigung darzustellen; sie vermehren
nicht unser Interesse an der Handlung, sondern sie verringern es, denn sie zer¬
streuen, und der Glaube selbst, für welchen die Familie des Mattathias stirbt und
Juda streitet, wird uns dadurch noch fremdartiger. Und doch ist diesem Kampfe,
der willkürlich und wunderlich um die Hauptpersonen hcrumwvgt, so viel Raum
geopfert, daß kein Raum mehr für eine gründlichere psychologische Darstellung
der einzelnen Charaktere blieb. — Es ist zunächst Vereinfachung des Hinter¬
grundes zu wünschen, das Hin- und Herziehen der Heere, die zwei verschiedenen
Antiochus, vor Allem die Unordnung in der zweiten Hälfte des dritten Actes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/15>, abgerufen am 02.07.2024.