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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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geißelt worden von dem einzigen Manne vom Geiste, den ihre Partei zahlte von
Proudhon, jenem Swift der Demagogie, der so vortrefflich deren Lilipntiaua
dargestellt."

Schon aus dieser Stelle erhellt, daß der Verfasser es nicht wagt und es
auch nicht mag, den Socialismus dive zu verurtheile". Von Proudhon sagt
er gar nichts, und die anderen Socialisten behandelt er als unschuldige Träumer,
während der Socialismus im Allgemeinen als Krebs bezeichnet wird. Aber anch
das ist nicht ganz ernst gemeint, denn an einem andern Orte lesen wir folgende
Stelle: "Von den untere" Klassen der Gesellschaft schlecht verstanden wurde der
Socialismus eine wahrhafte öffentliche Gefahr", worin alle socialistischen Schrift¬
steller mit Louis Bonaparte einverstanden sein werden.

Diese Gefahr kam aber auch daher, daß mau in Frankreich, sagt der, Ver¬
fasser, nicht genug davou überzeugt gewesen, daß durch den Kaiser die französische
Revolution abgeschlossen und nichts mehr zu thun sei. Die Geschichte der Na¬
tionalversammlung beweise das -- keine einzige große Frage wäre an der Tages¬
ordnung gewesen, und man habe blos die Parteistreitigkeiten sortgesetzt mit den¬
selben Menschen und mit derselben Redseligkeit. Der Versasser vergißt" daß diese
Männer nnr darum wieder gewählt wordeu, weil sie dem Laude feierlichst ver¬
sprochen, sich deu neuen Ideen anzuschließen, und für den materiellen wie geistigen
Fortschritt, für die Republik zu kämpfen. Sie haben das Land belogen.
Es ist jedenfalls eine sonderbare Beweisführung, wenn man sagt,, es ist kein
Fortschritt mehr zu machen, weil eine gegebene Nationalversammlung eines Landes
keinen gemacht. Wo wäre denn aber auch die große reformatorische Mission
des Präsidenten selbst? Das wird also wol nur ein Irrthum sein!

Die Nationalversammlung erhitzte sich in diesen Parteistreitigkeiten so lange,
wie sie ihr Mandat überschritt und das allgemeine Stimmrecht verletzte (Louis
Bonaparte und seine Minister, welche die Versammlung unterstützt, waren da¬
mals etwa in Australien?); sie wollte trotz ihrer Entzweiung und trotz ihrer Jm-
popularität alle Gewalt an sich bringen, da stand ein Genie aus, welches das
versinkende Staatsschiff rettete. Louis Bonaparte war der Mann, und der
2. December die rettende That.

Trotz Lamartine und Cavaignac, trotz der Regierung, welche alle Mittel in
Händen hatte und gebrauchte, Louis Bonaparte in der öffentlichen Meinung zu
schaden, wurde dieser doch wieder gewählt. "Sechs Millionen Stimmen pro-
testiren gegen die republikanische Minorität und geben dem neu¬
erwählten das Kaiserthum. Von jenem Tage brauche Louis Bo¬
naparte keine Krone zu beneiden, weder Notxe Dame noch Rheims,
das allgemeine Stimmrecht hat ihn geheiligt."

Mit einer unmöglichen Verfassung in Widerspruch gebracht, in Antagonis¬
mus versetzt mit eiuer unvolksthümlichen retrograden Versammlung, welche Frank-


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geißelt worden von dem einzigen Manne vom Geiste, den ihre Partei zahlte von
Proudhon, jenem Swift der Demagogie, der so vortrefflich deren Lilipntiaua
dargestellt."

Schon aus dieser Stelle erhellt, daß der Verfasser es nicht wagt und es
auch nicht mag, den Socialismus dive zu verurtheile». Von Proudhon sagt
er gar nichts, und die anderen Socialisten behandelt er als unschuldige Träumer,
während der Socialismus im Allgemeinen als Krebs bezeichnet wird. Aber anch
das ist nicht ganz ernst gemeint, denn an einem andern Orte lesen wir folgende
Stelle: „Von den untere» Klassen der Gesellschaft schlecht verstanden wurde der
Socialismus eine wahrhafte öffentliche Gefahr", worin alle socialistischen Schrift¬
steller mit Louis Bonaparte einverstanden sein werden.

Diese Gefahr kam aber auch daher, daß mau in Frankreich, sagt der, Ver¬
fasser, nicht genug davou überzeugt gewesen, daß durch den Kaiser die französische
Revolution abgeschlossen und nichts mehr zu thun sei. Die Geschichte der Na¬
tionalversammlung beweise das — keine einzige große Frage wäre an der Tages¬
ordnung gewesen, und man habe blos die Parteistreitigkeiten sortgesetzt mit den¬
selben Menschen und mit derselben Redseligkeit. Der Versasser vergißt» daß diese
Männer nnr darum wieder gewählt wordeu, weil sie dem Laude feierlichst ver¬
sprochen, sich deu neuen Ideen anzuschließen, und für den materiellen wie geistigen
Fortschritt, für die Republik zu kämpfen. Sie haben das Land belogen.
Es ist jedenfalls eine sonderbare Beweisführung, wenn man sagt,, es ist kein
Fortschritt mehr zu machen, weil eine gegebene Nationalversammlung eines Landes
keinen gemacht. Wo wäre denn aber auch die große reformatorische Mission
des Präsidenten selbst? Das wird also wol nur ein Irrthum sein!

Die Nationalversammlung erhitzte sich in diesen Parteistreitigkeiten so lange,
wie sie ihr Mandat überschritt und das allgemeine Stimmrecht verletzte (Louis
Bonaparte und seine Minister, welche die Versammlung unterstützt, waren da¬
mals etwa in Australien?); sie wollte trotz ihrer Entzweiung und trotz ihrer Jm-
popularität alle Gewalt an sich bringen, da stand ein Genie aus, welches das
versinkende Staatsschiff rettete. Louis Bonaparte war der Mann, und der
2. December die rettende That.

Trotz Lamartine und Cavaignac, trotz der Regierung, welche alle Mittel in
Händen hatte und gebrauchte, Louis Bonaparte in der öffentlichen Meinung zu
schaden, wurde dieser doch wieder gewählt. „Sechs Millionen Stimmen pro-
testiren gegen die republikanische Minorität und geben dem neu¬
erwählten das Kaiserthum. Von jenem Tage brauche Louis Bo¬
naparte keine Krone zu beneiden, weder Notxe Dame noch Rheims,
das allgemeine Stimmrecht hat ihn geheiligt."

Mit einer unmöglichen Verfassung in Widerspruch gebracht, in Antagonis¬
mus versetzt mit eiuer unvolksthümlichen retrograden Versammlung, welche Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/99>, abgerufen am 28.09.2024.