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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Lucia, Massauunciate, Rocinato, Paterno und andere. Auch sie und die aus
ihnen hervorragenden Kirchen bestehen, gleichwie die einzeln umherliegenden
Häuschen, aus Lava, und sind selbst mit dieser Masse gedeckt. Man möchte glauben,
die kunstfertige Hand irgend eines Schnitzers habe die netten Sächelchen aus dem
harten Erguß des Kraters geformt, und sie hier aufgestellt; eine Weile zur Er¬
götzung, bis sie wieder von dem Vulcane vernichtet werden.

Gegen drei Uhr Nachmittags erreichten wir Nieolost und mit ihm das Ende
der guten Chaussee. Das Städtchen, das sich an der äußersten bewohnten Grenze
des Gürtels erhebt, der den Aetna als Sohle umgiebt, ist natürlich auch wieder
aus Lava aufgeführt, und macht einen weniger heitern Eindruck, als das, was
wir bisher gesehen hatten. Je mehr wir uns ihm näherten, desto matter wurde
auch die reiche Vegetation; der Weinstock rankte sich wol noch überall fröhlich
in die Höhe, doch die Orange war bereits der Kastanie gewichen, und anstatt
der Aloe, des Cactus und der indischen Feige erblickte man jetzt die lazurfarbene
Distel und die niedrige Palme.

Gleichwie in Italien, so giebt es auch auf der Insel Sicilien keinen Ort,
der irgend ein Andenken an das Alterthum oder sonst etwas Eigenthümliches
aufzuweisen hat und deshalb von Fremden besucht wird, an dem man nicht einen
Cicerone, so eine Art lebenslänglichen Pächter des von ihm in Beschlag genom¬
menen Punktes fände, der aus eigener Machtvollkommenheit sich das Recht
zugesprochen hat, die Neugierigen auf seinem Terrain herumzuführen, um'von
dem, was dieses Geschäft abwirft, sein Leben zu fristen. Monopole der Art werden
weder von der Behörde, noch weniger von den Bewohnern der nächsten Umgebung
ertheilt; tritt irgend eine Vacanz ein, so macht der erste beste Bettler oder Land¬
streicher sich nach dem führerlosen Platze auf den Weg, nimmt Besitz von ihm,
und genießt von dem Augenblicke an alle damit verbundenen Vortheile, ohne daß
es einem Andern einfällt, ihn in seinem Gewerbe zu stören. Daß der Altvater
Aetna ohne ein derartiges Individuum nicht bestiegen werden darf und auch nicht
kann, liegt aus der Hand; demjenigen nun, der die Verpflichtung des Führers
und Erklärens übernommen hat, muß man zum Ruhme nachsagen, daß er unter
seinen zahlreichen College" als eine Perle, eine große Ausnahme von der Regel
gelten darf. In Agrigent schon söhnte uns der dortige Cicerone, Professor Politi,
einigermaßen mit der Corporation aus, zu deren Mitgliedern er sich zählt, denn
wir lernten in ihm nicht nur einen tüchtigen Alterthumskundigen, sondern auch
einen recht gescheidten, wissenschaftlich gebildeten und dabei nicht mittellosen Mann
kennen. Signor Gemmelaro, der Monopolist des Aetna, kann ihm dreist an die
Seite gestellt werden. Er nennt sich zwar nicht Professor wie sein Agrigenter
Mitbruder, ist, aber deshalb nichts weniger eine bedeutende und sogar eines ge¬
wissen Rufs genießende Persönlichkeit, Archäolog, Antiquar, Naturalist und Bo¬
taniker. Seit 60 Jahren, d. h. seit der Stunde seiner Geburt, lebt er in Nicolost,


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Lucia, Massauunciate, Rocinato, Paterno und andere. Auch sie und die aus
ihnen hervorragenden Kirchen bestehen, gleichwie die einzeln umherliegenden
Häuschen, aus Lava, und sind selbst mit dieser Masse gedeckt. Man möchte glauben,
die kunstfertige Hand irgend eines Schnitzers habe die netten Sächelchen aus dem
harten Erguß des Kraters geformt, und sie hier aufgestellt; eine Weile zur Er¬
götzung, bis sie wieder von dem Vulcane vernichtet werden.

Gegen drei Uhr Nachmittags erreichten wir Nieolost und mit ihm das Ende
der guten Chaussee. Das Städtchen, das sich an der äußersten bewohnten Grenze
des Gürtels erhebt, der den Aetna als Sohle umgiebt, ist natürlich auch wieder
aus Lava aufgeführt, und macht einen weniger heitern Eindruck, als das, was
wir bisher gesehen hatten. Je mehr wir uns ihm näherten, desto matter wurde
auch die reiche Vegetation; der Weinstock rankte sich wol noch überall fröhlich
in die Höhe, doch die Orange war bereits der Kastanie gewichen, und anstatt
der Aloe, des Cactus und der indischen Feige erblickte man jetzt die lazurfarbene
Distel und die niedrige Palme.

Gleichwie in Italien, so giebt es auch auf der Insel Sicilien keinen Ort,
der irgend ein Andenken an das Alterthum oder sonst etwas Eigenthümliches
aufzuweisen hat und deshalb von Fremden besucht wird, an dem man nicht einen
Cicerone, so eine Art lebenslänglichen Pächter des von ihm in Beschlag genom¬
menen Punktes fände, der aus eigener Machtvollkommenheit sich das Recht
zugesprochen hat, die Neugierigen auf seinem Terrain herumzuführen, um'von
dem, was dieses Geschäft abwirft, sein Leben zu fristen. Monopole der Art werden
weder von der Behörde, noch weniger von den Bewohnern der nächsten Umgebung
ertheilt; tritt irgend eine Vacanz ein, so macht der erste beste Bettler oder Land¬
streicher sich nach dem führerlosen Platze auf den Weg, nimmt Besitz von ihm,
und genießt von dem Augenblicke an alle damit verbundenen Vortheile, ohne daß
es einem Andern einfällt, ihn in seinem Gewerbe zu stören. Daß der Altvater
Aetna ohne ein derartiges Individuum nicht bestiegen werden darf und auch nicht
kann, liegt aus der Hand; demjenigen nun, der die Verpflichtung des Führers
und Erklärens übernommen hat, muß man zum Ruhme nachsagen, daß er unter
seinen zahlreichen College» als eine Perle, eine große Ausnahme von der Regel
gelten darf. In Agrigent schon söhnte uns der dortige Cicerone, Professor Politi,
einigermaßen mit der Corporation aus, zu deren Mitgliedern er sich zählt, denn
wir lernten in ihm nicht nur einen tüchtigen Alterthumskundigen, sondern auch
einen recht gescheidten, wissenschaftlich gebildeten und dabei nicht mittellosen Mann
kennen. Signor Gemmelaro, der Monopolist des Aetna, kann ihm dreist an die
Seite gestellt werden. Er nennt sich zwar nicht Professor wie sein Agrigenter
Mitbruder, ist, aber deshalb nichts weniger eine bedeutende und sogar eines ge¬
wissen Rufs genießende Persönlichkeit, Archäolog, Antiquar, Naturalist und Bo¬
taniker. Seit 60 Jahren, d. h. seit der Stunde seiner Geburt, lebt er in Nicolost,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/77>, abgerufen am 20.10.2024.