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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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wo er sein Observatorium angelegt hat und den mächtigen Vulcan, den er, im
Vorbeigehen gesagt, als sein Eigenthum betrachtet, beobachtet. Was sich in dem
Zeitraume der letzten 30 Jahre an und auf dem Riesen zugetragen hat, davon
wurde sorgfältig Act genommen. Zeigte sich irgend eine Veränderung an der
Oberfläche, so wurde sie sofort aufgezeichnet und abgebildet, und aus den täg¬
lichen Erscheinungen am Berge und im Krater hat Gemmelaro mit Hilfe eigener
Schlüsse und Combinationen ein so untrügliches Register zusammengestellt, daß er
mit fast mathematischer Gewißheit Alles voraussagt, was auf seinem Territorium
eintreffen wird, und sich in seinen Prophezeiungen nie irrt, ein Umstand, den man
unsren Kalendermachern nicht nachrühmen kann. In seiner Wohnung findet mau
eine vollständige Sammlung aller Lavaergüsse seit zehn Jahrhunderten, so wie der
aufs Sorgfältigste getrockneten Pflanzen der Flora des Aetna. Gemmelaro kann
ein zweiter Empedocles genannt werden, hat aber vor dem Agrigenter Philo¬
sophen den Vorzug, daß er nicht wie dieser, der sich bekanntlich aus Neugierde
in den Krater stürzte, seine Forschungen bis in's Abenteuerliche treibt, sondern
ihnen einen vernünftigen, nützlichen Zweck unterlegt.

Daß wir, um den Aetna zu besteigen, dessen Cicerone weder umgehen moch¬
ten noch konnten, darf nicht erst erwähnt werden. Zum Ueberflusse hatte uns
unser gefälliger Wirth in Katania noch mit einer schriftlichen Empfehlung an ihn
versehen, obgleich es deren bei der überall bekannten Gastfreundlichkeit Gem-
melaro's nicht bedurft hätte. Doch hatten wir diesmal recht eigentlich die Rech¬
nung ohne den Wirth gemacht und uns umsonst daraus gefreut, den greisen Wächter
der himmelanstrebenden Warte Siciliens persönlich kennen zu lernen. Das schöne
Wetter hatte ihn zu einem botanischen Ausflüge verlockt, und uns dadurch die
Gelegenheit geraubt, seinen Rath in Anspruch zu nehmen. Wir besuchten seine
Wohnung, ein niedliches Häuschen, das sein Eigenthum ist, und sein Famulus,
dem wir unsre Karten überreichten, war so artig, uns zu gestatten, daß wir die
Lavansammlung, so wie die anderen geologischen und zoologischen Merkwürdig¬
keiten in Augenschein nehmen konnten, welche in zwei Zimmern in mehreren Glas¬
schränken aufgestellt siud.

Um von Nicvlosi wenigstens eine Erinnerung mitzunehmen, besuchten wir
den nur eine italienische Meile entfernten Monte Rosso, schon deshalb, weil er
einen so großen, wenn auch traurigen Ruf erlangt hat. Der Ausbruch des Aetna
im Jahre 1669, der einer'der heftigsten war, welche die Geschichte aufzuweisen
hat, geschah vorzugsweise durch den genannten Monte Rosso, der damals den
glühenden Strom aussandte, unter welchem das alte Katania heute begraben liegt.
Man muß nämlich wissen, daß der Aetna als großer Herr ost nicht in der Laune
ist, seine Aufgabe, Tod und Verderben um sich her zu verbreiten, in eigener
Person zu lösen, sondern sich dazu kleinerer, um ihn herumliegender Vulcane be¬
dient. Der Vesuv sowol, wie auch die Feuerberge aus den Liparischen Inseln


wo er sein Observatorium angelegt hat und den mächtigen Vulcan, den er, im
Vorbeigehen gesagt, als sein Eigenthum betrachtet, beobachtet. Was sich in dem
Zeitraume der letzten 30 Jahre an und auf dem Riesen zugetragen hat, davon
wurde sorgfältig Act genommen. Zeigte sich irgend eine Veränderung an der
Oberfläche, so wurde sie sofort aufgezeichnet und abgebildet, und aus den täg¬
lichen Erscheinungen am Berge und im Krater hat Gemmelaro mit Hilfe eigener
Schlüsse und Combinationen ein so untrügliches Register zusammengestellt, daß er
mit fast mathematischer Gewißheit Alles voraussagt, was auf seinem Territorium
eintreffen wird, und sich in seinen Prophezeiungen nie irrt, ein Umstand, den man
unsren Kalendermachern nicht nachrühmen kann. In seiner Wohnung findet mau
eine vollständige Sammlung aller Lavaergüsse seit zehn Jahrhunderten, so wie der
aufs Sorgfältigste getrockneten Pflanzen der Flora des Aetna. Gemmelaro kann
ein zweiter Empedocles genannt werden, hat aber vor dem Agrigenter Philo¬
sophen den Vorzug, daß er nicht wie dieser, der sich bekanntlich aus Neugierde
in den Krater stürzte, seine Forschungen bis in's Abenteuerliche treibt, sondern
ihnen einen vernünftigen, nützlichen Zweck unterlegt.

Daß wir, um den Aetna zu besteigen, dessen Cicerone weder umgehen moch¬
ten noch konnten, darf nicht erst erwähnt werden. Zum Ueberflusse hatte uns
unser gefälliger Wirth in Katania noch mit einer schriftlichen Empfehlung an ihn
versehen, obgleich es deren bei der überall bekannten Gastfreundlichkeit Gem-
melaro's nicht bedurft hätte. Doch hatten wir diesmal recht eigentlich die Rech¬
nung ohne den Wirth gemacht und uns umsonst daraus gefreut, den greisen Wächter
der himmelanstrebenden Warte Siciliens persönlich kennen zu lernen. Das schöne
Wetter hatte ihn zu einem botanischen Ausflüge verlockt, und uns dadurch die
Gelegenheit geraubt, seinen Rath in Anspruch zu nehmen. Wir besuchten seine
Wohnung, ein niedliches Häuschen, das sein Eigenthum ist, und sein Famulus,
dem wir unsre Karten überreichten, war so artig, uns zu gestatten, daß wir die
Lavansammlung, so wie die anderen geologischen und zoologischen Merkwürdig¬
keiten in Augenschein nehmen konnten, welche in zwei Zimmern in mehreren Glas¬
schränken aufgestellt siud.

Um von Nicvlosi wenigstens eine Erinnerung mitzunehmen, besuchten wir
den nur eine italienische Meile entfernten Monte Rosso, schon deshalb, weil er
einen so großen, wenn auch traurigen Ruf erlangt hat. Der Ausbruch des Aetna
im Jahre 1669, der einer'der heftigsten war, welche die Geschichte aufzuweisen
hat, geschah vorzugsweise durch den genannten Monte Rosso, der damals den
glühenden Strom aussandte, unter welchem das alte Katania heute begraben liegt.
Man muß nämlich wissen, daß der Aetna als großer Herr ost nicht in der Laune
ist, seine Aufgabe, Tod und Verderben um sich her zu verbreiten, in eigener
Person zu lösen, sondern sich dazu kleinerer, um ihn herumliegender Vulcane be¬
dient. Der Vesuv sowol, wie auch die Feuerberge aus den Liparischen Inseln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/78>, abgerufen am 20.10.2024.