Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Prinzen mit Ernst, Naivetät und Andacht sich diesen Vorstellungen gefügt
hätten; sie amnstrten sich darin, und erzählten nachher die wunderbaren Dinge,
die sie gehört hatten, weiter, nicht um Propaganda zu machen, sonder)? um ihren
minder gebildeten Standesgenossen zu imponiren. Auch in dem Verhalten des
Prinzen zu jenen Kreisen ist doch immer etwas Herablassung. Er läßt sich mit
ihnen in die allerintimsten Herzensverhältnisse ein, aber er bleibt doch immer der
vornehme Herr, der sich in diesen bürgerliche" Sphären mit vollkommeuer Be¬
quemlichkeit bewegt, und jedesmal den Ton anschlägt, den er haben will.

Wir haben vor einiger Zeit das Buch der Fanny Lewald über diesen Gegen¬
stand besprochen, in welchem eine gewisse abscheuliche Wahrheit nicht zu verkennen
ist. Spaßhaft ist es nur, wie die demokratische Schriftstellerin sich sür den Prinzen
begeistert, von dessen Gardelieutenantsempfindnng sie doch Dinge erzählt, die
jedem echten Demokraten Entsetzen einflößen müßten. . Aber in einem andern
Buche finden wir das Leben jener Tage, freilich sehr stark idealisirt, interessanter
wiedergegeben. Es sind die Memoiren des Freiherrn von S -- a, welche
im Jahr 1813 erschienen und entweder von Woltmann, oder seiner Frau herrühren,
einer intimen Freundin der Rahel. Wir kennen kein Buch, in welchem der Goethe-
Cultus so auf die Spitze getrieben wäre, und zwar ohne jene Excentricität des
Gefühls, die uns in Rahel's und Bettinens Briefen entgegentritt. Goethe wird
in allen Dingen als vollkommen dargestellt, die ganze übrige deutsche Literatur in
das, Reich der Barbarei geworfen, und namentlich Schiller alles dramatische Talent
abgesprochen. Die Auffassung ist von einer unerhörten Einseitigkeit; aber sie ist
mit viel Geist und Feinheit durchgeführt und gar nicht im Sinn der romantischen
Schule. Als Summe alles Genies im Dichter wird die Kraft dargestellt, durchaus
individuelle menschliche Gestalten zu schaffen und darzustellen. Dieses Princip wird
auch auf das Leben angewendet, und zwar mit Grazie und Anmuth. Es ist zwar
kein abgeschlossener Roman, aber die einzelnen, Figuren und Situationen aus deu
Jahren 1803 und 1806 werden uns in feinen Umrissen und in geschickter Färbung
vorgeführt. Das Buch hat damals für Goethe sehr viel gewirkt; es ist seit der
Zeit fast ganz in Vergessenheit gerathen, nicht ganz mit Recht, denn es enthält
namentlich über Literatur viel verständigere Bemerkungen, als die sämmtlichen
Kritiken der Schlegel.

Daß der Kreis der Rahel nicht ganz in die romantischen Tendenzen seiner
Jenenser Freunde aufging, zeigen uns einzelne sehr verständige Bemerkungen.
So sagt einmal einer der geistvollsten Männer dieses Kreises, Alexander v. d.
Marwitz, ein Officier, der 1813 fiel, über Friedrich Schlegel: "Neben der ge¬
wissenlosesten Ungründlichkeit und einer ekelhaften Befangenheit in bornirten Vor-
urtheilen hat er doch große und geistreiche Blicke .... Er ist nur vorn erträg¬
lich; je weiter er zu dem Ende kommt, desto alberner wird seine Befangenheit,
desto unredlicher seine Ignoranz, denn ans bloßem Vorurtheil weiß er Manches


des Prinzen mit Ernst, Naivetät und Andacht sich diesen Vorstellungen gefügt
hätten; sie amnstrten sich darin, und erzählten nachher die wunderbaren Dinge,
die sie gehört hatten, weiter, nicht um Propaganda zu machen, sonder)? um ihren
minder gebildeten Standesgenossen zu imponiren. Auch in dem Verhalten des
Prinzen zu jenen Kreisen ist doch immer etwas Herablassung. Er läßt sich mit
ihnen in die allerintimsten Herzensverhältnisse ein, aber er bleibt doch immer der
vornehme Herr, der sich in diesen bürgerliche» Sphären mit vollkommeuer Be¬
quemlichkeit bewegt, und jedesmal den Ton anschlägt, den er haben will.

Wir haben vor einiger Zeit das Buch der Fanny Lewald über diesen Gegen¬
stand besprochen, in welchem eine gewisse abscheuliche Wahrheit nicht zu verkennen
ist. Spaßhaft ist es nur, wie die demokratische Schriftstellerin sich sür den Prinzen
begeistert, von dessen Gardelieutenantsempfindnng sie doch Dinge erzählt, die
jedem echten Demokraten Entsetzen einflößen müßten. . Aber in einem andern
Buche finden wir das Leben jener Tage, freilich sehr stark idealisirt, interessanter
wiedergegeben. Es sind die Memoiren des Freiherrn von S — a, welche
im Jahr 1813 erschienen und entweder von Woltmann, oder seiner Frau herrühren,
einer intimen Freundin der Rahel. Wir kennen kein Buch, in welchem der Goethe-
Cultus so auf die Spitze getrieben wäre, und zwar ohne jene Excentricität des
Gefühls, die uns in Rahel's und Bettinens Briefen entgegentritt. Goethe wird
in allen Dingen als vollkommen dargestellt, die ganze übrige deutsche Literatur in
das, Reich der Barbarei geworfen, und namentlich Schiller alles dramatische Talent
abgesprochen. Die Auffassung ist von einer unerhörten Einseitigkeit; aber sie ist
mit viel Geist und Feinheit durchgeführt und gar nicht im Sinn der romantischen
Schule. Als Summe alles Genies im Dichter wird die Kraft dargestellt, durchaus
individuelle menschliche Gestalten zu schaffen und darzustellen. Dieses Princip wird
auch auf das Leben angewendet, und zwar mit Grazie und Anmuth. Es ist zwar
kein abgeschlossener Roman, aber die einzelnen, Figuren und Situationen aus deu
Jahren 1803 und 1806 werden uns in feinen Umrissen und in geschickter Färbung
vorgeführt. Das Buch hat damals für Goethe sehr viel gewirkt; es ist seit der
Zeit fast ganz in Vergessenheit gerathen, nicht ganz mit Recht, denn es enthält
namentlich über Literatur viel verständigere Bemerkungen, als die sämmtlichen
Kritiken der Schlegel.

Daß der Kreis der Rahel nicht ganz in die romantischen Tendenzen seiner
Jenenser Freunde aufging, zeigen uns einzelne sehr verständige Bemerkungen.
So sagt einmal einer der geistvollsten Männer dieses Kreises, Alexander v. d.
Marwitz, ein Officier, der 1813 fiel, über Friedrich Schlegel: „Neben der ge¬
wissenlosesten Ungründlichkeit und einer ekelhaften Befangenheit in bornirten Vor-
urtheilen hat er doch große und geistreiche Blicke .... Er ist nur vorn erträg¬
lich; je weiter er zu dem Ende kommt, desto alberner wird seine Befangenheit,
desto unredlicher seine Ignoranz, denn ans bloßem Vorurtheil weiß er Manches


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95037"/>
            <p xml:id="ID_102" prev="#ID_101"> des Prinzen mit Ernst, Naivetät und Andacht sich diesen Vorstellungen gefügt<lb/>
hätten; sie amnstrten sich darin, und erzählten nachher die wunderbaren Dinge,<lb/>
die sie gehört hatten, weiter, nicht um Propaganda zu machen, sonder)? um ihren<lb/>
minder gebildeten Standesgenossen zu imponiren. Auch in dem Verhalten des<lb/>
Prinzen zu jenen Kreisen ist doch immer etwas Herablassung. Er läßt sich mit<lb/>
ihnen in die allerintimsten Herzensverhältnisse ein, aber er bleibt doch immer der<lb/>
vornehme Herr, der sich in diesen bürgerliche» Sphären mit vollkommeuer Be¬<lb/>
quemlichkeit bewegt, und jedesmal den Ton anschlägt, den er haben will.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_103"> Wir haben vor einiger Zeit das Buch der Fanny Lewald über diesen Gegen¬<lb/>
stand besprochen, in welchem eine gewisse abscheuliche Wahrheit nicht zu verkennen<lb/>
ist. Spaßhaft ist es nur, wie die demokratische Schriftstellerin sich sür den Prinzen<lb/>
begeistert, von dessen Gardelieutenantsempfindnng sie doch Dinge erzählt, die<lb/>
jedem echten Demokraten Entsetzen einflößen müßten. . Aber in einem andern<lb/>
Buche finden wir das Leben jener Tage, freilich sehr stark idealisirt, interessanter<lb/>
wiedergegeben. Es sind die Memoiren des Freiherrn von S &#x2014; a, welche<lb/>
im Jahr 1813 erschienen und entweder von Woltmann, oder seiner Frau herrühren,<lb/>
einer intimen Freundin der Rahel. Wir kennen kein Buch, in welchem der Goethe-<lb/>
Cultus so auf die Spitze getrieben wäre, und zwar ohne jene Excentricität des<lb/>
Gefühls, die uns in Rahel's und Bettinens Briefen entgegentritt. Goethe wird<lb/>
in allen Dingen als vollkommen dargestellt, die ganze übrige deutsche Literatur in<lb/>
das, Reich der Barbarei geworfen, und namentlich Schiller alles dramatische Talent<lb/>
abgesprochen. Die Auffassung ist von einer unerhörten Einseitigkeit; aber sie ist<lb/>
mit viel Geist und Feinheit durchgeführt und gar nicht im Sinn der romantischen<lb/>
Schule. Als Summe alles Genies im Dichter wird die Kraft dargestellt, durchaus<lb/>
individuelle menschliche Gestalten zu schaffen und darzustellen. Dieses Princip wird<lb/>
auch auf das Leben angewendet, und zwar mit Grazie und Anmuth. Es ist zwar<lb/>
kein abgeschlossener Roman, aber die einzelnen, Figuren und Situationen aus deu<lb/>
Jahren 1803 und 1806 werden uns in feinen Umrissen und in geschickter Färbung<lb/>
vorgeführt. Das Buch hat damals für Goethe sehr viel gewirkt; es ist seit der<lb/>
Zeit fast ganz in Vergessenheit gerathen, nicht ganz mit Recht, denn es enthält<lb/>
namentlich über Literatur viel verständigere Bemerkungen, als die sämmtlichen<lb/>
Kritiken der Schlegel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_104" next="#ID_105"> Daß der Kreis der Rahel nicht ganz in die romantischen Tendenzen seiner<lb/>
Jenenser Freunde aufging, zeigen uns einzelne sehr verständige Bemerkungen.<lb/>
So sagt einmal einer der geistvollsten Männer dieses Kreises, Alexander v. d.<lb/>
Marwitz, ein Officier, der 1813 fiel, über Friedrich Schlegel: &#x201E;Neben der ge¬<lb/>
wissenlosesten Ungründlichkeit und einer ekelhaften Befangenheit in bornirten Vor-<lb/>
urtheilen hat er doch große und geistreiche Blicke .... Er ist nur vorn erträg¬<lb/>
lich; je weiter er zu dem Ende kommt, desto alberner wird seine Befangenheit,<lb/>
desto unredlicher seine Ignoranz, denn ans bloßem Vorurtheil weiß er Manches</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] des Prinzen mit Ernst, Naivetät und Andacht sich diesen Vorstellungen gefügt hätten; sie amnstrten sich darin, und erzählten nachher die wunderbaren Dinge, die sie gehört hatten, weiter, nicht um Propaganda zu machen, sonder)? um ihren minder gebildeten Standesgenossen zu imponiren. Auch in dem Verhalten des Prinzen zu jenen Kreisen ist doch immer etwas Herablassung. Er läßt sich mit ihnen in die allerintimsten Herzensverhältnisse ein, aber er bleibt doch immer der vornehme Herr, der sich in diesen bürgerliche» Sphären mit vollkommeuer Be¬ quemlichkeit bewegt, und jedesmal den Ton anschlägt, den er haben will. Wir haben vor einiger Zeit das Buch der Fanny Lewald über diesen Gegen¬ stand besprochen, in welchem eine gewisse abscheuliche Wahrheit nicht zu verkennen ist. Spaßhaft ist es nur, wie die demokratische Schriftstellerin sich sür den Prinzen begeistert, von dessen Gardelieutenantsempfindnng sie doch Dinge erzählt, die jedem echten Demokraten Entsetzen einflößen müßten. . Aber in einem andern Buche finden wir das Leben jener Tage, freilich sehr stark idealisirt, interessanter wiedergegeben. Es sind die Memoiren des Freiherrn von S — a, welche im Jahr 1813 erschienen und entweder von Woltmann, oder seiner Frau herrühren, einer intimen Freundin der Rahel. Wir kennen kein Buch, in welchem der Goethe- Cultus so auf die Spitze getrieben wäre, und zwar ohne jene Excentricität des Gefühls, die uns in Rahel's und Bettinens Briefen entgegentritt. Goethe wird in allen Dingen als vollkommen dargestellt, die ganze übrige deutsche Literatur in das, Reich der Barbarei geworfen, und namentlich Schiller alles dramatische Talent abgesprochen. Die Auffassung ist von einer unerhörten Einseitigkeit; aber sie ist mit viel Geist und Feinheit durchgeführt und gar nicht im Sinn der romantischen Schule. Als Summe alles Genies im Dichter wird die Kraft dargestellt, durchaus individuelle menschliche Gestalten zu schaffen und darzustellen. Dieses Princip wird auch auf das Leben angewendet, und zwar mit Grazie und Anmuth. Es ist zwar kein abgeschlossener Roman, aber die einzelnen, Figuren und Situationen aus deu Jahren 1803 und 1806 werden uns in feinen Umrissen und in geschickter Färbung vorgeführt. Das Buch hat damals für Goethe sehr viel gewirkt; es ist seit der Zeit fast ganz in Vergessenheit gerathen, nicht ganz mit Recht, denn es enthält namentlich über Literatur viel verständigere Bemerkungen, als die sämmtlichen Kritiken der Schlegel. Daß der Kreis der Rahel nicht ganz in die romantischen Tendenzen seiner Jenenser Freunde aufging, zeigen uns einzelne sehr verständige Bemerkungen. So sagt einmal einer der geistvollsten Männer dieses Kreises, Alexander v. d. Marwitz, ein Officier, der 1813 fiel, über Friedrich Schlegel: „Neben der ge¬ wissenlosesten Ungründlichkeit und einer ekelhaften Befangenheit in bornirten Vor- urtheilen hat er doch große und geistreiche Blicke .... Er ist nur vorn erträg¬ lich; je weiter er zu dem Ende kommt, desto alberner wird seine Befangenheit, desto unredlicher seine Ignoranz, denn ans bloßem Vorurtheil weiß er Manches

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/56>, abgerufen am 20.10.2024.