Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geradezu nicht, hat instinctartig darüber weggesehen, das ist aber Gewissenlosigkeit."
-- Nock schärfer spricht sich derselbe über Adam Müller ans, einen der Lieblinge
der Schule, einen höchst schädlichen Menschen: "Er ist ein unechter', lügenhafter
Gesell, bei dem öedaukksmiziit die Stelle der Begeisterung und hin- und her¬
schweifende gemeine Witzigkeit die Stelle des strengen Denkens vertreten muß.
Alles liegt in seinem Kopf chaotisch dnrch einander, und wird er den einen leuch¬
tenden Punkt auffinden, der diese verworrene Masse seiner Ansichten zu einem
organischen Ganzen ordnen könnte. Dazu ist er zu faul, zu irreligiös. Und
welcher Tumult in der Darstellung! Wo man erwartet, daß er den Grundstein
seines Gebäudes legen werde, da schweift er ab zu allerlei Auseinandersetzungen,
die darum unverständlich sind, weil sie ganz am Ende einer Reihe liegen, deren
erste Glieder nicht gegeben sind. Wo er gründlich widerlegen soll, da spaße er,
und wie unedel, nnmilde, unsicher, wie pöbelhaft zuweilen. An Talent fehlt es
ihm uicht, aber seines kleinlichen Gemüths halber dringt er nicht ein in den
Kern der Sache, denn statt sich dieser zu ergebe", denkt er überall uur an die
vornehme Rolle, die er vor Zuhörern und Zeitgenossen spielen soll. Daher die
Hohlheit und die pfuschcrnde Unsicherheit seiner Ansichten, die Unzahl schiefer,
verfehlter und ganz nichtssagender Ausdrücke .... Wenn er nichts Anderes
findet, um seine Perioden voll zu machen, so greift er ungescheut zum offenbaren
Unsinn...... Er hat Eingebungen zu Vergleichen, aber während er das
Aehnliche der Dinge und Verhältnisse auffindet, sieht er das Unähnliche nicht,
denn er ist ganz ohne Scharfsinn. Darum reiht er einfache und complicirte Er¬
scheinungen in dieselbe Kategorie und verwirrt das Gemüth des Lesers auf eine
ganz unglaubliche Weise. Mir ist er widerwärtig, uicht blos wegen seines Un-
zusammenhangs, seiner Faulheit, seiner rhapsodischen Willkür, sondern auch wegen
seiner enormen Dürftigkeit, seiner unausstehlichen Breite, mit der er ein Paar
Grundgedanken ewig wiederkäut, seiner Unbekanntschaft mit der Geschichte, die es
ihm neben seiner Steifheit unmöglich macht, sein Buch mit echtem und reichem
Leben zu erfüllen." -- Man kann nicht richtiger und treffender urtheilen. Und
mit ähnlicher Freiheit bewegt sich auch Nadel, die instinctartig die Schädlichkeit
des romantischen Princips fast überall herauserkennt, wenn sie auch zuweilen
selber darin chesangen ist. Wie schön und treffend würdigt sie Lessing! ,,Lessing
wollen sie mit aller Gewalt vergessen, weil seine Recensionen nicht sentimental
waren und er uicht immer das Genie recensirte, analysirte, das hohe Menschliche
heraussuchte und bewies, daß das Genie ein Genie ist, -- sondern das Kunstwerk
vornahm, aufstellte, mit Gründen tadelte oder für das alte Lob welche zeigte, den
Forderungen sichere Grenzen steckte und mit richtenden Blick und enthusiastischem
Beifall das Genie sie erreichen sah und seine Genialität in Ruhe -ließ." Es
ist das eine erschöpfende Verurtheilung der ganzen romantischen Kritik. So
äußert sie sich auch einmal sehr treffend über Tieck's "Phantasus": "Daraus habe


geradezu nicht, hat instinctartig darüber weggesehen, das ist aber Gewissenlosigkeit."
— Nock schärfer spricht sich derselbe über Adam Müller ans, einen der Lieblinge
der Schule, einen höchst schädlichen Menschen: „Er ist ein unechter', lügenhafter
Gesell, bei dem öedaukksmiziit die Stelle der Begeisterung und hin- und her¬
schweifende gemeine Witzigkeit die Stelle des strengen Denkens vertreten muß.
Alles liegt in seinem Kopf chaotisch dnrch einander, und wird er den einen leuch¬
tenden Punkt auffinden, der diese verworrene Masse seiner Ansichten zu einem
organischen Ganzen ordnen könnte. Dazu ist er zu faul, zu irreligiös. Und
welcher Tumult in der Darstellung! Wo man erwartet, daß er den Grundstein
seines Gebäudes legen werde, da schweift er ab zu allerlei Auseinandersetzungen,
die darum unverständlich sind, weil sie ganz am Ende einer Reihe liegen, deren
erste Glieder nicht gegeben sind. Wo er gründlich widerlegen soll, da spaße er,
und wie unedel, nnmilde, unsicher, wie pöbelhaft zuweilen. An Talent fehlt es
ihm uicht, aber seines kleinlichen Gemüths halber dringt er nicht ein in den
Kern der Sache, denn statt sich dieser zu ergebe», denkt er überall uur an die
vornehme Rolle, die er vor Zuhörern und Zeitgenossen spielen soll. Daher die
Hohlheit und die pfuschcrnde Unsicherheit seiner Ansichten, die Unzahl schiefer,
verfehlter und ganz nichtssagender Ausdrücke .... Wenn er nichts Anderes
findet, um seine Perioden voll zu machen, so greift er ungescheut zum offenbaren
Unsinn...... Er hat Eingebungen zu Vergleichen, aber während er das
Aehnliche der Dinge und Verhältnisse auffindet, sieht er das Unähnliche nicht,
denn er ist ganz ohne Scharfsinn. Darum reiht er einfache und complicirte Er¬
scheinungen in dieselbe Kategorie und verwirrt das Gemüth des Lesers auf eine
ganz unglaubliche Weise. Mir ist er widerwärtig, uicht blos wegen seines Un-
zusammenhangs, seiner Faulheit, seiner rhapsodischen Willkür, sondern auch wegen
seiner enormen Dürftigkeit, seiner unausstehlichen Breite, mit der er ein Paar
Grundgedanken ewig wiederkäut, seiner Unbekanntschaft mit der Geschichte, die es
ihm neben seiner Steifheit unmöglich macht, sein Buch mit echtem und reichem
Leben zu erfüllen." — Man kann nicht richtiger und treffender urtheilen. Und
mit ähnlicher Freiheit bewegt sich auch Nadel, die instinctartig die Schädlichkeit
des romantischen Princips fast überall herauserkennt, wenn sie auch zuweilen
selber darin chesangen ist. Wie schön und treffend würdigt sie Lessing! ,,Lessing
wollen sie mit aller Gewalt vergessen, weil seine Recensionen nicht sentimental
waren und er uicht immer das Genie recensirte, analysirte, das hohe Menschliche
heraussuchte und bewies, daß das Genie ein Genie ist, — sondern das Kunstwerk
vornahm, aufstellte, mit Gründen tadelte oder für das alte Lob welche zeigte, den
Forderungen sichere Grenzen steckte und mit richtenden Blick und enthusiastischem
Beifall das Genie sie erreichen sah und seine Genialität in Ruhe -ließ." Es
ist das eine erschöpfende Verurtheilung der ganzen romantischen Kritik. So
äußert sie sich auch einmal sehr treffend über Tieck's „Phantasus": „Daraus habe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95038"/>
            <p xml:id="ID_105" prev="#ID_104" next="#ID_106"> geradezu nicht, hat instinctartig darüber weggesehen, das ist aber Gewissenlosigkeit."<lb/>
&#x2014; Nock schärfer spricht sich derselbe über Adam Müller ans, einen der Lieblinge<lb/>
der Schule, einen höchst schädlichen Menschen: &#x201E;Er ist ein unechter', lügenhafter<lb/>
Gesell, bei dem öedaukksmiziit die Stelle der Begeisterung und hin- und her¬<lb/>
schweifende gemeine Witzigkeit die Stelle des strengen Denkens vertreten muß.<lb/>
Alles liegt in seinem Kopf chaotisch dnrch einander, und wird er den einen leuch¬<lb/>
tenden Punkt auffinden, der diese verworrene Masse seiner Ansichten zu einem<lb/>
organischen Ganzen ordnen könnte. Dazu ist er zu faul, zu irreligiös. Und<lb/>
welcher Tumult in der Darstellung! Wo man erwartet, daß er den Grundstein<lb/>
seines Gebäudes legen werde, da schweift er ab zu allerlei Auseinandersetzungen,<lb/>
die darum unverständlich sind, weil sie ganz am Ende einer Reihe liegen, deren<lb/>
erste Glieder nicht gegeben sind. Wo er gründlich widerlegen soll, da spaße er,<lb/>
und wie unedel, nnmilde, unsicher, wie pöbelhaft zuweilen. An Talent fehlt es<lb/>
ihm uicht, aber seines kleinlichen Gemüths halber dringt er nicht ein in den<lb/>
Kern der Sache, denn statt sich dieser zu ergebe», denkt er überall uur an die<lb/>
vornehme Rolle, die er vor Zuhörern und Zeitgenossen spielen soll. Daher die<lb/>
Hohlheit und die pfuschcrnde Unsicherheit seiner Ansichten, die Unzahl schiefer,<lb/>
verfehlter und ganz nichtssagender Ausdrücke .... Wenn er nichts Anderes<lb/>
findet, um seine Perioden voll zu machen, so greift er ungescheut zum offenbaren<lb/>
Unsinn...... Er hat Eingebungen zu Vergleichen, aber während er das<lb/>
Aehnliche der Dinge und Verhältnisse auffindet, sieht er das Unähnliche nicht,<lb/>
denn er ist ganz ohne Scharfsinn. Darum reiht er einfache und complicirte Er¬<lb/>
scheinungen in dieselbe Kategorie und verwirrt das Gemüth des Lesers auf eine<lb/>
ganz unglaubliche Weise. Mir ist er widerwärtig, uicht blos wegen seines Un-<lb/>
zusammenhangs, seiner Faulheit, seiner rhapsodischen Willkür, sondern auch wegen<lb/>
seiner enormen Dürftigkeit, seiner unausstehlichen Breite, mit der er ein Paar<lb/>
Grundgedanken ewig wiederkäut, seiner Unbekanntschaft mit der Geschichte, die es<lb/>
ihm neben seiner Steifheit unmöglich macht, sein Buch mit echtem und reichem<lb/>
Leben zu erfüllen." &#x2014; Man kann nicht richtiger und treffender urtheilen. Und<lb/>
mit ähnlicher Freiheit bewegt sich auch Nadel, die instinctartig die Schädlichkeit<lb/>
des romantischen Princips fast überall herauserkennt, wenn sie auch zuweilen<lb/>
selber darin chesangen ist. Wie schön und treffend würdigt sie Lessing! ,,Lessing<lb/>
wollen sie mit aller Gewalt vergessen, weil seine Recensionen nicht sentimental<lb/>
waren und er uicht immer das Genie recensirte, analysirte, das hohe Menschliche<lb/>
heraussuchte und bewies, daß das Genie ein Genie ist, &#x2014; sondern das Kunstwerk<lb/>
vornahm, aufstellte, mit Gründen tadelte oder für das alte Lob welche zeigte, den<lb/>
Forderungen sichere Grenzen steckte und mit richtenden Blick und enthusiastischem<lb/>
Beifall das Genie sie erreichen sah und seine Genialität in Ruhe -ließ." Es<lb/>
ist das eine erschöpfende Verurtheilung der ganzen romantischen Kritik. So<lb/>
äußert sie sich auch einmal sehr treffend über Tieck's &#x201E;Phantasus": &#x201E;Daraus habe</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] geradezu nicht, hat instinctartig darüber weggesehen, das ist aber Gewissenlosigkeit." — Nock schärfer spricht sich derselbe über Adam Müller ans, einen der Lieblinge der Schule, einen höchst schädlichen Menschen: „Er ist ein unechter', lügenhafter Gesell, bei dem öedaukksmiziit die Stelle der Begeisterung und hin- und her¬ schweifende gemeine Witzigkeit die Stelle des strengen Denkens vertreten muß. Alles liegt in seinem Kopf chaotisch dnrch einander, und wird er den einen leuch¬ tenden Punkt auffinden, der diese verworrene Masse seiner Ansichten zu einem organischen Ganzen ordnen könnte. Dazu ist er zu faul, zu irreligiös. Und welcher Tumult in der Darstellung! Wo man erwartet, daß er den Grundstein seines Gebäudes legen werde, da schweift er ab zu allerlei Auseinandersetzungen, die darum unverständlich sind, weil sie ganz am Ende einer Reihe liegen, deren erste Glieder nicht gegeben sind. Wo er gründlich widerlegen soll, da spaße er, und wie unedel, nnmilde, unsicher, wie pöbelhaft zuweilen. An Talent fehlt es ihm uicht, aber seines kleinlichen Gemüths halber dringt er nicht ein in den Kern der Sache, denn statt sich dieser zu ergebe», denkt er überall uur an die vornehme Rolle, die er vor Zuhörern und Zeitgenossen spielen soll. Daher die Hohlheit und die pfuschcrnde Unsicherheit seiner Ansichten, die Unzahl schiefer, verfehlter und ganz nichtssagender Ausdrücke .... Wenn er nichts Anderes findet, um seine Perioden voll zu machen, so greift er ungescheut zum offenbaren Unsinn...... Er hat Eingebungen zu Vergleichen, aber während er das Aehnliche der Dinge und Verhältnisse auffindet, sieht er das Unähnliche nicht, denn er ist ganz ohne Scharfsinn. Darum reiht er einfache und complicirte Er¬ scheinungen in dieselbe Kategorie und verwirrt das Gemüth des Lesers auf eine ganz unglaubliche Weise. Mir ist er widerwärtig, uicht blos wegen seines Un- zusammenhangs, seiner Faulheit, seiner rhapsodischen Willkür, sondern auch wegen seiner enormen Dürftigkeit, seiner unausstehlichen Breite, mit der er ein Paar Grundgedanken ewig wiederkäut, seiner Unbekanntschaft mit der Geschichte, die es ihm neben seiner Steifheit unmöglich macht, sein Buch mit echtem und reichem Leben zu erfüllen." — Man kann nicht richtiger und treffender urtheilen. Und mit ähnlicher Freiheit bewegt sich auch Nadel, die instinctartig die Schädlichkeit des romantischen Princips fast überall herauserkennt, wenn sie auch zuweilen selber darin chesangen ist. Wie schön und treffend würdigt sie Lessing! ,,Lessing wollen sie mit aller Gewalt vergessen, weil seine Recensionen nicht sentimental waren und er uicht immer das Genie recensirte, analysirte, das hohe Menschliche heraussuchte und bewies, daß das Genie ein Genie ist, — sondern das Kunstwerk vornahm, aufstellte, mit Gründen tadelte oder für das alte Lob welche zeigte, den Forderungen sichere Grenzen steckte und mit richtenden Blick und enthusiastischem Beifall das Genie sie erreichen sah und seine Genialität in Ruhe -ließ." Es ist das eine erschöpfende Verurtheilung der ganzen romantischen Kritik. So äußert sie sich auch einmal sehr treffend über Tieck's „Phantasus": „Daraus habe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/57>, abgerufen am 20.10.2024.