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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Wavre marschirte, weshalb sein letztes Corps erst spät daselbst ankam; dennoch
erschienen seine Vortruppen schon gegen drei Uhr an der Dyle, als Thielemann mit
seinem Corps bereits im Abrücken nach Coutoure begriffen war, nun aber Halt
machen ließ, und die sehr starke Stellung von Wavre mit seinen Truppen besetzte.
Wir schreiben hier keine Geschichte des Feldzugs von 1815, und beschränken uns
darauf, zu bemerken, daß Thielemann mit seinen 15,000 Mann das doppelt so
große Corps von Grouchy durch geschickte Benutzung des allerdings sehr vortheil-
haften Terrains und durch die große Tapferkeit seiner Truppen diesen und für
einen Theil des folgenden Tags festhielt, bis die Nachricht von dem Verlust der
Schlacht von Waterloo die Franzosen zum Rückzuge bewog. Wir haben es hier
blos mit dem Ausbleiben Grouchy's von dem Schlachtfelde von Waterloo zu thun.

Napoleon selbst giebt zu, daß ein angeblich am 17. Abends an Grouchy
abgeschickter Befehl, der dessen ganze oder theilweise Mitwirkung bei Belle Alliance
gesichert habe, trotz eines am andern Morgen abgeschickten Duplicats seine Be¬
stimmung nicht erreicht habe, und wir können diesen daher ganz aus dem Spiele
lassen. So bleiben uns uur noch die zwei einzigen schriftlichen Befehle übrig, die
Soult am 18. Grouchy zugefertigt hat. Der erste derselben ist von 10 Uhr,
unmittelbar vor Beginn der Schlacht datirt, und wiederholt nur den Befehl, den
Preußen nach Wavre zu folgen; er wird Grouchy getroffen haben, als er trotz
G6rard's Vorstellungen seinen Marsch in der alten Richtung fortgesetzt hatte,
ratistcirtc also gewissermaßen seinen Entschluß. Der zweite Befehl, datirt von
1 Uhr Mittags, meldet in einer Nachschrift die Ankunft von Bülow's Corps,
und befiehlt Grouchy, diesem in die Flanke zu fallen, und sich mit Napoleon's
rechtem Flügel in Verbindung zu setzen. Im besten Falle konnte dieser Befehl
Grouchy erst um vier Uhr erreichen, wo er schon mit Thielemann engagirt war,
ohne dessen Stärke zu kennen. Er konnte doch nicht diesem unbekümmert den
Rücken zndrehen, und geraden Wegs nach der Lahne marschiren! Aber selbst in
diesem Falle konnte er, da er zwei Meilen Angesichts des Feindes marschiren
mußte, nicht vor neun Uhr bei Napoleon eintreffen. Um diese Stunde aber war
die Schlacht schon vollständig entschieden.

Aber Napoleon's Generalstabschef rechnete gar nicht darauf, daß Grouchy
den Befehl so zeitig erhalten werde. Die preußischen Patrouillen der Vorhut
von Bülow's Corps machten die Wege in der rechten Flanke der Franzosen bereits
so unsicher, .daß Soult dem die Depesche überbringenden Officier befehlen mußte,
über Gembloux und Quatrebras zu reiten, und also einen Umweg von sieben
Meilen zu machen. Deshalb empfing Grouchy diesen Befehl erst nach sieben Uhr
Abends, wo er ihm keine Folge mehr leisten konnte. Man muß überhaupt
danach denken, daß Napoleon in der Voraussetzung, Wellington zu schlagen,
anch noch im glückliche" Falle, wenn bei Wavre Alles gut ginge, nur zur mög¬
lichsten Verstärkung seiner Erfolge Grouchy habe bei der Hand haben wollen,


Wavre marschirte, weshalb sein letztes Corps erst spät daselbst ankam; dennoch
erschienen seine Vortruppen schon gegen drei Uhr an der Dyle, als Thielemann mit
seinem Corps bereits im Abrücken nach Coutoure begriffen war, nun aber Halt
machen ließ, und die sehr starke Stellung von Wavre mit seinen Truppen besetzte.
Wir schreiben hier keine Geschichte des Feldzugs von 1815, und beschränken uns
darauf, zu bemerken, daß Thielemann mit seinen 15,000 Mann das doppelt so
große Corps von Grouchy durch geschickte Benutzung des allerdings sehr vortheil-
haften Terrains und durch die große Tapferkeit seiner Truppen diesen und für
einen Theil des folgenden Tags festhielt, bis die Nachricht von dem Verlust der
Schlacht von Waterloo die Franzosen zum Rückzuge bewog. Wir haben es hier
blos mit dem Ausbleiben Grouchy's von dem Schlachtfelde von Waterloo zu thun.

Napoleon selbst giebt zu, daß ein angeblich am 17. Abends an Grouchy
abgeschickter Befehl, der dessen ganze oder theilweise Mitwirkung bei Belle Alliance
gesichert habe, trotz eines am andern Morgen abgeschickten Duplicats seine Be¬
stimmung nicht erreicht habe, und wir können diesen daher ganz aus dem Spiele
lassen. So bleiben uns uur noch die zwei einzigen schriftlichen Befehle übrig, die
Soult am 18. Grouchy zugefertigt hat. Der erste derselben ist von 10 Uhr,
unmittelbar vor Beginn der Schlacht datirt, und wiederholt nur den Befehl, den
Preußen nach Wavre zu folgen; er wird Grouchy getroffen haben, als er trotz
G6rard's Vorstellungen seinen Marsch in der alten Richtung fortgesetzt hatte,
ratistcirtc also gewissermaßen seinen Entschluß. Der zweite Befehl, datirt von
1 Uhr Mittags, meldet in einer Nachschrift die Ankunft von Bülow's Corps,
und befiehlt Grouchy, diesem in die Flanke zu fallen, und sich mit Napoleon's
rechtem Flügel in Verbindung zu setzen. Im besten Falle konnte dieser Befehl
Grouchy erst um vier Uhr erreichen, wo er schon mit Thielemann engagirt war,
ohne dessen Stärke zu kennen. Er konnte doch nicht diesem unbekümmert den
Rücken zndrehen, und geraden Wegs nach der Lahne marschiren! Aber selbst in
diesem Falle konnte er, da er zwei Meilen Angesichts des Feindes marschiren
mußte, nicht vor neun Uhr bei Napoleon eintreffen. Um diese Stunde aber war
die Schlacht schon vollständig entschieden.

Aber Napoleon's Generalstabschef rechnete gar nicht darauf, daß Grouchy
den Befehl so zeitig erhalten werde. Die preußischen Patrouillen der Vorhut
von Bülow's Corps machten die Wege in der rechten Flanke der Franzosen bereits
so unsicher, .daß Soult dem die Depesche überbringenden Officier befehlen mußte,
über Gembloux und Quatrebras zu reiten, und also einen Umweg von sieben
Meilen zu machen. Deshalb empfing Grouchy diesen Befehl erst nach sieben Uhr
Abends, wo er ihm keine Folge mehr leisten konnte. Man muß überhaupt
danach denken, daß Napoleon in der Voraussetzung, Wellington zu schlagen,
anch noch im glückliche» Falle, wenn bei Wavre Alles gut ginge, nur zur mög¬
lichsten Verstärkung seiner Erfolge Grouchy habe bei der Hand haben wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/312>, abgerufen am 19.10.2024.